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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zuknnfts - Philosophie.

untersuchen, und haben sie vollständig erklärt, wenn wir sie auf alle Prinzipien
des Verstandes zurückgeführt haben, so wie ich es mit den Gesichtswahrnehmungen
in der Physiologie des Gesichtssinns versucht habe.

Wenn wir um an die Erkenntnis des noch unerklärten dunkeln Gebietes
im menschlichen Gemüte, des Gefühles und Willens herantreten, so müssen
wir notwendig sofort nach dein Beispiel aller modernen philosophischen Systeme
auf falsche Wege geraten, wenn wir die einmal für richtig anerkannte Theorie
der Erkenntnis verlassen. Wir müssen vielmehr darnach fragen, ob in den¬
jenigen geistigen Vorgängen, die wir zum Gefühlsleben rechnen, Funktionen der
Erkenntnis aufzufinden sind. Ist das der Fall, so ist die Möglichkeit da, auch
weiter, sogar bis zur vollen Aufklärung dieser Erscheinungen für den inneren
Sinn, zu gelangen; ist es nicht möglich, solche Funktionen darin nachzuweisen,
so werden wir nie zu irgend einer sichern Erkenntnis in diesem Gebiet kommen,
und können dann höchstens noch phantasiren über das Absolute, das Unbewußte,
den Urwillen, das Ding an sich n. s. w. Nun sind eben einige Funktionen
in einigen Gefühlen sehr leicht zu erkennen. Daß z. V. Liebe und Haß charak-
terisirt siud durch etwas Positives und etwas Negatives, daß auch im ethischen
Gebiet Gut und Böse, Freude und Trauer sich als positiv und negativ charak-
terisiren, ist längst erkannt worden. Alle Gegensätze in Bahnsens Realdialektik
laufen auf Bejahen und Verneinen hinaus, und damit ist geradezu bewiesen,
daß sie durch Funktionen der Erkenntnis charakterisirt sind. Also kann man
und muß matt hoffen, auch in diesem Gebiete an der Hand der Erkenntnistheorie,
an dein Leitfaden der Kategorieen und ihrer gesetzmäßigen Kombinationen zu
sicher:? Erkenntnissen zu kommen.

Diesen Weg hat freilich bisher kein Mensch weiter eingeschlagen, als allein
der von den Fachgenossen hochmütig ignorirte Albrecht Krause. Dennoch sind
seine Resultate weit hinaus über das Vereich bloßer Hypothesen, da sie von
dem Kenner täglich und stündlich in der Erfahrung bestätigt werden. Seine
kühnen Vorschläge, die verschiedene!? Arten des Gemütslebens, die wir Verstand,
Wahrnehmung, Streben, Gefühl und Willen nennen, dadurch zu erklären, daß
die zwei Seiten unseres Erkenntnisvermögens, die Spontaneität und Rezeptivität,
auf verschiedene Weise nach den Kategorien der Relation mit einander ver-
bunden sind oder in verschiedenem Verhältnis zu einander stehen, find zwar
vorerst noch in Form vorsichtiger Hypothesen aufgestellt, aber überall, wo man
Erfahrungsthatsachen zur Kontrole herbeiziehen kann, findet sich Übereinstinunnng
und nirgends Widerspruch mit diesen Hypothesen. Der Vorzug des von Krause
eingeschlagenen Weges ist eben der, daß er nach der Vorschrift Kants, die dieser
als den Hauptnutzen seiner Topik der Kategorien für die Wissenschaft erhoffte,
Irrtümer vermeidet und abwehrt, in denen sich alle Schwärmer und Charlatane
so gern bewegen. Er ist freilich nicht ganz bequem und verspricht uicht, in
kürzester Zeit ans letzte Ziel zu führen, aber er hat den Vorzug der Sicher-


Zuknnfts - Philosophie.

untersuchen, und haben sie vollständig erklärt, wenn wir sie auf alle Prinzipien
des Verstandes zurückgeführt haben, so wie ich es mit den Gesichtswahrnehmungen
in der Physiologie des Gesichtssinns versucht habe.

Wenn wir um an die Erkenntnis des noch unerklärten dunkeln Gebietes
im menschlichen Gemüte, des Gefühles und Willens herantreten, so müssen
wir notwendig sofort nach dein Beispiel aller modernen philosophischen Systeme
auf falsche Wege geraten, wenn wir die einmal für richtig anerkannte Theorie
der Erkenntnis verlassen. Wir müssen vielmehr darnach fragen, ob in den¬
jenigen geistigen Vorgängen, die wir zum Gefühlsleben rechnen, Funktionen der
Erkenntnis aufzufinden sind. Ist das der Fall, so ist die Möglichkeit da, auch
weiter, sogar bis zur vollen Aufklärung dieser Erscheinungen für den inneren
Sinn, zu gelangen; ist es nicht möglich, solche Funktionen darin nachzuweisen,
so werden wir nie zu irgend einer sichern Erkenntnis in diesem Gebiet kommen,
und können dann höchstens noch phantasiren über das Absolute, das Unbewußte,
den Urwillen, das Ding an sich n. s. w. Nun sind eben einige Funktionen
in einigen Gefühlen sehr leicht zu erkennen. Daß z. V. Liebe und Haß charak-
terisirt siud durch etwas Positives und etwas Negatives, daß auch im ethischen
Gebiet Gut und Böse, Freude und Trauer sich als positiv und negativ charak-
terisiren, ist längst erkannt worden. Alle Gegensätze in Bahnsens Realdialektik
laufen auf Bejahen und Verneinen hinaus, und damit ist geradezu bewiesen,
daß sie durch Funktionen der Erkenntnis charakterisirt sind. Also kann man
und muß matt hoffen, auch in diesem Gebiete an der Hand der Erkenntnistheorie,
an dein Leitfaden der Kategorieen und ihrer gesetzmäßigen Kombinationen zu
sicher:? Erkenntnissen zu kommen.

Diesen Weg hat freilich bisher kein Mensch weiter eingeschlagen, als allein
der von den Fachgenossen hochmütig ignorirte Albrecht Krause. Dennoch sind
seine Resultate weit hinaus über das Vereich bloßer Hypothesen, da sie von
dem Kenner täglich und stündlich in der Erfahrung bestätigt werden. Seine
kühnen Vorschläge, die verschiedene!? Arten des Gemütslebens, die wir Verstand,
Wahrnehmung, Streben, Gefühl und Willen nennen, dadurch zu erklären, daß
die zwei Seiten unseres Erkenntnisvermögens, die Spontaneität und Rezeptivität,
auf verschiedene Weise nach den Kategorien der Relation mit einander ver-
bunden sind oder in verschiedenem Verhältnis zu einander stehen, find zwar
vorerst noch in Form vorsichtiger Hypothesen aufgestellt, aber überall, wo man
Erfahrungsthatsachen zur Kontrole herbeiziehen kann, findet sich Übereinstinunnng
und nirgends Widerspruch mit diesen Hypothesen. Der Vorzug des von Krause
eingeschlagenen Weges ist eben der, daß er nach der Vorschrift Kants, die dieser
als den Hauptnutzen seiner Topik der Kategorien für die Wissenschaft erhoffte,
Irrtümer vermeidet und abwehrt, in denen sich alle Schwärmer und Charlatane
so gern bewegen. Er ist freilich nicht ganz bequem und verspricht uicht, in
kürzester Zeit ans letzte Ziel zu führen, aber er hat den Vorzug der Sicher-


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[0410] Zuknnfts - Philosophie. untersuchen, und haben sie vollständig erklärt, wenn wir sie auf alle Prinzipien des Verstandes zurückgeführt haben, so wie ich es mit den Gesichtswahrnehmungen in der Physiologie des Gesichtssinns versucht habe. Wenn wir um an die Erkenntnis des noch unerklärten dunkeln Gebietes im menschlichen Gemüte, des Gefühles und Willens herantreten, so müssen wir notwendig sofort nach dein Beispiel aller modernen philosophischen Systeme auf falsche Wege geraten, wenn wir die einmal für richtig anerkannte Theorie der Erkenntnis verlassen. Wir müssen vielmehr darnach fragen, ob in den¬ jenigen geistigen Vorgängen, die wir zum Gefühlsleben rechnen, Funktionen der Erkenntnis aufzufinden sind. Ist das der Fall, so ist die Möglichkeit da, auch weiter, sogar bis zur vollen Aufklärung dieser Erscheinungen für den inneren Sinn, zu gelangen; ist es nicht möglich, solche Funktionen darin nachzuweisen, so werden wir nie zu irgend einer sichern Erkenntnis in diesem Gebiet kommen, und können dann höchstens noch phantasiren über das Absolute, das Unbewußte, den Urwillen, das Ding an sich n. s. w. Nun sind eben einige Funktionen in einigen Gefühlen sehr leicht zu erkennen. Daß z. V. Liebe und Haß charak- terisirt siud durch etwas Positives und etwas Negatives, daß auch im ethischen Gebiet Gut und Böse, Freude und Trauer sich als positiv und negativ charak- terisiren, ist längst erkannt worden. Alle Gegensätze in Bahnsens Realdialektik laufen auf Bejahen und Verneinen hinaus, und damit ist geradezu bewiesen, daß sie durch Funktionen der Erkenntnis charakterisirt sind. Also kann man und muß matt hoffen, auch in diesem Gebiete an der Hand der Erkenntnistheorie, an dein Leitfaden der Kategorieen und ihrer gesetzmäßigen Kombinationen zu sicher:? Erkenntnissen zu kommen. Diesen Weg hat freilich bisher kein Mensch weiter eingeschlagen, als allein der von den Fachgenossen hochmütig ignorirte Albrecht Krause. Dennoch sind seine Resultate weit hinaus über das Vereich bloßer Hypothesen, da sie von dem Kenner täglich und stündlich in der Erfahrung bestätigt werden. Seine kühnen Vorschläge, die verschiedene!? Arten des Gemütslebens, die wir Verstand, Wahrnehmung, Streben, Gefühl und Willen nennen, dadurch zu erklären, daß die zwei Seiten unseres Erkenntnisvermögens, die Spontaneität und Rezeptivität, auf verschiedene Weise nach den Kategorien der Relation mit einander ver- bunden sind oder in verschiedenem Verhältnis zu einander stehen, find zwar vorerst noch in Form vorsichtiger Hypothesen aufgestellt, aber überall, wo man Erfahrungsthatsachen zur Kontrole herbeiziehen kann, findet sich Übereinstinunnng und nirgends Widerspruch mit diesen Hypothesen. Der Vorzug des von Krause eingeschlagenen Weges ist eben der, daß er nach der Vorschrift Kants, die dieser als den Hauptnutzen seiner Topik der Kategorien für die Wissenschaft erhoffte, Irrtümer vermeidet und abwehrt, in denen sich alle Schwärmer und Charlatane so gern bewegen. Er ist freilich nicht ganz bequem und verspricht uicht, in kürzester Zeit ans letzte Ziel zu führen, aber er hat den Vorzug der Sicher-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/410>, abgerufen am 25.08.2024.