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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zukunfts- Philosophie.

die überall thätige Wirksamkeit desselben, die soweit geht, daß die ganze sinn¬
liche Welt uns gnr nicht erscheinen würde, wenn nicht das transzendentale
Vermögen in uns vorher vorhanden wäre, diese giebt dem Philosophen die Be¬
ruhigung, daß über der materiellen Welt ein göttlicher Geist waltet, mich wenn
wir ihn nicht in irgend einer sinnlichen Form vorstellen können. Wenn man
aber den tiefen Sinn der transzendentalen Logik bei Kant nicht begreift, dann
ist es kein Wunder, wenn man jene Fragen immer von neuem aufwirft und
nach neue" Lösungen sucht; und wenn man die Schranken, die dnrch die Er¬
kenntnistheorie dein menschlichen Erkennen gezogen sind, nicht respektirt, dann
ist es kein sehr weiter Schritt mehr vom Jgnoriren der Kräfte des menschlichen
Geistes zum Verspotten derselben, wie man es that, wenn man etwas Alogisches
oder Antilogisches als Grund der Welt zu erkennen glaubt. Macht doch Schopen-
hauer für sich selbst, um seinen UrWillen zu erfinden, den freiesten Gebrauch
von all denselben Jnkonsequenzen, die er mit unübertrefflicher Schärfe und
beißendem Hohn seinen Gegnern vorwirft.

Nichts ist je so drastisch angegriffen worden, als von Schopenhauer die
Philosophieprvfessoren, die einen Beweis für das Dasein Gottes trotz der Kantischen
Widerlegung der drei berühmten Beweise (dein ontologischen, kosmologischen und
physiko-theologischen) auf einem andern Wege wieder feststellen wollten. "Hat
der alte Königsbergs Krittler die Vernunft kritisirt, -- so läßt er seine verhaßten
Gegner reden -- und ihr die Flügel beschnitten, gut! so erfinden wir eine neue
Vernunft, von der bis dahin noch kein Mensch etwas gehört hatte, eine Ver¬
nunft, welche nicht denkt, sondern unmittelbar anschaut, Ideen (ein vornehmes
Wort, zum mystifizireu geschaffen) anscheint, leibhaftig; oder mich sie vernimmt,
unmittelbar vernimmt, was dn und die andern (nämlich die drei Beweise) erst
beweisen wollten; oder -- bei denen nämlich, welche nur wenig zugestehen, aber
auch mit wenig verlieh nehmen -- es ahndet. Die alte, nnstritisirte Vernunft
aber, die degradiren wir, nennen sie Verstand und schicken sie promeuireu. Und
den wahren, eigentlichen Verstand? -- was in aller Welt geht uns der wahre,
eigentliche Verstand an? Will dich Verzagtheit anwandeln, so denke nur immer
daran, daß wir in Deutschland sind n. s. w. Haben wir also trotz Kant und
Kritik mir erst daS Absvlntum, so sind wir geborgen. Dann Philosophiren wir
von oben herab, lassen aus demselben die Welt hervorgehen und reden über¬
haupt immer nur von Gott, expliziren, wie, warum, wozu, weshalb, dnrch welchen
willkürlichen oder unwillkürlichen Prozeß er die Welt gemacht oder geboren
habe, ob er draußen, ob er drinnen sei n. s. f." Fast noch drastischer
schildert er die Art, wie daS Absolute erfunden wird: "Was haben sie gethan
für ihren alten Freund. den hart bedrängten, ja schon auf dem Rücken liegenden
kosmologischen Beweis? -- O, sie haben eiuen seinen Pfiff erdacht: Freund,
haben sie zu ihm gesagt, es steht schlecht mit dir, recht schlecht, seit deinem fatalen
Rencontre mit dem alten Königsberger Stnrrkvpf; so schlecht, wie mit deinen


Zukunfts- Philosophie.

die überall thätige Wirksamkeit desselben, die soweit geht, daß die ganze sinn¬
liche Welt uns gnr nicht erscheinen würde, wenn nicht das transzendentale
Vermögen in uns vorher vorhanden wäre, diese giebt dem Philosophen die Be¬
ruhigung, daß über der materiellen Welt ein göttlicher Geist waltet, mich wenn
wir ihn nicht in irgend einer sinnlichen Form vorstellen können. Wenn man
aber den tiefen Sinn der transzendentalen Logik bei Kant nicht begreift, dann
ist es kein Wunder, wenn man jene Fragen immer von neuem aufwirft und
nach neue» Lösungen sucht; und wenn man die Schranken, die dnrch die Er¬
kenntnistheorie dein menschlichen Erkennen gezogen sind, nicht respektirt, dann
ist es kein sehr weiter Schritt mehr vom Jgnoriren der Kräfte des menschlichen
Geistes zum Verspotten derselben, wie man es that, wenn man etwas Alogisches
oder Antilogisches als Grund der Welt zu erkennen glaubt. Macht doch Schopen-
hauer für sich selbst, um seinen UrWillen zu erfinden, den freiesten Gebrauch
von all denselben Jnkonsequenzen, die er mit unübertrefflicher Schärfe und
beißendem Hohn seinen Gegnern vorwirft.

Nichts ist je so drastisch angegriffen worden, als von Schopenhauer die
Philosophieprvfessoren, die einen Beweis für das Dasein Gottes trotz der Kantischen
Widerlegung der drei berühmten Beweise (dein ontologischen, kosmologischen und
physiko-theologischen) auf einem andern Wege wieder feststellen wollten. „Hat
der alte Königsbergs Krittler die Vernunft kritisirt, — so läßt er seine verhaßten
Gegner reden — und ihr die Flügel beschnitten, gut! so erfinden wir eine neue
Vernunft, von der bis dahin noch kein Mensch etwas gehört hatte, eine Ver¬
nunft, welche nicht denkt, sondern unmittelbar anschaut, Ideen (ein vornehmes
Wort, zum mystifizireu geschaffen) anscheint, leibhaftig; oder mich sie vernimmt,
unmittelbar vernimmt, was dn und die andern (nämlich die drei Beweise) erst
beweisen wollten; oder — bei denen nämlich, welche nur wenig zugestehen, aber
auch mit wenig verlieh nehmen — es ahndet. Die alte, nnstritisirte Vernunft
aber, die degradiren wir, nennen sie Verstand und schicken sie promeuireu. Und
den wahren, eigentlichen Verstand? — was in aller Welt geht uns der wahre,
eigentliche Verstand an? Will dich Verzagtheit anwandeln, so denke nur immer
daran, daß wir in Deutschland sind n. s. w. Haben wir also trotz Kant und
Kritik mir erst daS Absvlntum, so sind wir geborgen. Dann Philosophiren wir
von oben herab, lassen aus demselben die Welt hervorgehen und reden über¬
haupt immer nur von Gott, expliziren, wie, warum, wozu, weshalb, dnrch welchen
willkürlichen oder unwillkürlichen Prozeß er die Welt gemacht oder geboren
habe, ob er draußen, ob er drinnen sei n. s. f." Fast noch drastischer
schildert er die Art, wie daS Absolute erfunden wird: „Was haben sie gethan
für ihren alten Freund. den hart bedrängten, ja schon auf dem Rücken liegenden
kosmologischen Beweis? — O, sie haben eiuen seinen Pfiff erdacht: Freund,
haben sie zu ihm gesagt, es steht schlecht mit dir, recht schlecht, seit deinem fatalen
Rencontre mit dem alten Königsberger Stnrrkvpf; so schlecht, wie mit deinen


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[0406] Zukunfts- Philosophie. die überall thätige Wirksamkeit desselben, die soweit geht, daß die ganze sinn¬ liche Welt uns gnr nicht erscheinen würde, wenn nicht das transzendentale Vermögen in uns vorher vorhanden wäre, diese giebt dem Philosophen die Be¬ ruhigung, daß über der materiellen Welt ein göttlicher Geist waltet, mich wenn wir ihn nicht in irgend einer sinnlichen Form vorstellen können. Wenn man aber den tiefen Sinn der transzendentalen Logik bei Kant nicht begreift, dann ist es kein Wunder, wenn man jene Fragen immer von neuem aufwirft und nach neue» Lösungen sucht; und wenn man die Schranken, die dnrch die Er¬ kenntnistheorie dein menschlichen Erkennen gezogen sind, nicht respektirt, dann ist es kein sehr weiter Schritt mehr vom Jgnoriren der Kräfte des menschlichen Geistes zum Verspotten derselben, wie man es that, wenn man etwas Alogisches oder Antilogisches als Grund der Welt zu erkennen glaubt. Macht doch Schopen- hauer für sich selbst, um seinen UrWillen zu erfinden, den freiesten Gebrauch von all denselben Jnkonsequenzen, die er mit unübertrefflicher Schärfe und beißendem Hohn seinen Gegnern vorwirft. Nichts ist je so drastisch angegriffen worden, als von Schopenhauer die Philosophieprvfessoren, die einen Beweis für das Dasein Gottes trotz der Kantischen Widerlegung der drei berühmten Beweise (dein ontologischen, kosmologischen und physiko-theologischen) auf einem andern Wege wieder feststellen wollten. „Hat der alte Königsbergs Krittler die Vernunft kritisirt, — so läßt er seine verhaßten Gegner reden — und ihr die Flügel beschnitten, gut! so erfinden wir eine neue Vernunft, von der bis dahin noch kein Mensch etwas gehört hatte, eine Ver¬ nunft, welche nicht denkt, sondern unmittelbar anschaut, Ideen (ein vornehmes Wort, zum mystifizireu geschaffen) anscheint, leibhaftig; oder mich sie vernimmt, unmittelbar vernimmt, was dn und die andern (nämlich die drei Beweise) erst beweisen wollten; oder — bei denen nämlich, welche nur wenig zugestehen, aber auch mit wenig verlieh nehmen — es ahndet. Die alte, nnstritisirte Vernunft aber, die degradiren wir, nennen sie Verstand und schicken sie promeuireu. Und den wahren, eigentlichen Verstand? — was in aller Welt geht uns der wahre, eigentliche Verstand an? Will dich Verzagtheit anwandeln, so denke nur immer daran, daß wir in Deutschland sind n. s. w. Haben wir also trotz Kant und Kritik mir erst daS Absvlntum, so sind wir geborgen. Dann Philosophiren wir von oben herab, lassen aus demselben die Welt hervorgehen und reden über¬ haupt immer nur von Gott, expliziren, wie, warum, wozu, weshalb, dnrch welchen willkürlichen oder unwillkürlichen Prozeß er die Welt gemacht oder geboren habe, ob er draußen, ob er drinnen sei n. s. f." Fast noch drastischer schildert er die Art, wie daS Absolute erfunden wird: „Was haben sie gethan für ihren alten Freund. den hart bedrängten, ja schon auf dem Rücken liegenden kosmologischen Beweis? — O, sie haben eiuen seinen Pfiff erdacht: Freund, haben sie zu ihm gesagt, es steht schlecht mit dir, recht schlecht, seit deinem fatalen Rencontre mit dem alten Königsberger Stnrrkvpf; so schlecht, wie mit deinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/406>, abgerufen am 25.08.2024.