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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zukunfts- Philosophie.

werden kann. Das Buch kann trotz der ausgesprochen pessimistischen Stimmung,
die darin herrscht, nicht geradezu Widerwillen erregen, denn man muß die Kraft
und Kühnheit bewundern, mit der hier versucht wird, die Schranken zu durch¬
brechen, welche Kant der menschlichen Erkenntnis gezogen hat. Die Logik zu
verspotten als eine bloße Gesundheitsregel für menschliches Denken, welche mit
dem wahren Wesen der Dinge gar nichts zu thun habe, und nun gar die Dinge
selbst ohne Logik erkennen zu wollen, das ist jedenfalls originell, wenn auch für
das menschliche Gehirn nicht passend. Wenn die Philosophie erst soweit ge¬
kommen ist, die Logik zu verachten, wozu man jn vielleicht durch deu Mißbrauch
derselben in gewissen philosophischen Systemen veranlaßt werden kann, dann
stellt sie sich wieder ans den Standpunkt, wo sie vor Sokrates gestanden hat,
das heißt, die menschliche Vernunft giebt es auf, Wahrheit überhaupt zu erkennen;
sie dankt ab vou ihrem pflichtmüßigeu Beruf, denn andre Mittel als das logische
Denken hat sie nicht zur Disposition zur Erkenntnis der Wahrheit. Daran
läßt sich nichts ändern, wenn mau auch noch so sehr am Widerstreit der Dinge
(Realdialektik) seine Freude bilden mag.

Bahnsen hatte gewiß in vollem Maße die natürliche Begabung und rast¬
lose Energie genug, um die Philosophie im besten Sinne zu fordern. Umso
dringender tritt uns die Frage entgegen, wie denn so ausgezeichnete Kräfte ans
die pessimistischen Wege gelenkt werden konnten, die geradezu jeden wirklichen.
Fortschritt in der Erkenntnis illusorisch macheu müssen. Die Verbitterung dnrch
trübe Lebenserfnhrnngen allein genügt nicht. Es mag ihm in seinem pommerschen
Städtchen Lauenburg, wo er als Lehrer wirkte, zuweilen öde und heimwchartig
zu Mute gewesen sein. Aber die Hauptursache müssen wir doch darin finden,
daß sein vorzüglichster Lehrer in der Philosophie Schvpenhnner gewesen ist,
jener sympathische Trost für so viele verstimmte und verbitterte Gemüter.
Schopenhauer hat allerdings das Verdienst, den durch die Philosophieprvfessoren
scheinbar überwundenen Kant wenigstens wieder in seiner Weise hochgestellt und
ans ihn zurückgewiesen zu yabeu, aber er erklärte das wichtigste Kapitel i" der
Kritik der reinen Vernunft, den Eckstein, um den sich alles dreht, die Deduktion
der reinen Verstandesbegriffe, für so dunkel und unklar, daß ans demselben nie
ein Mensch klug geworden sei, und nie einer klug werden könne. Somit mußte
ihm wie seinen Schülern dasjenige vollständig entgehen, worauf es zum Ver¬
ständnis Kants vor allein ankommt: der Zusammenhang der logischen Regeln
mit der ursprünglichen unveränderlichen Natur des menschlichen Geistes, die
transzendentale Logik.

Eben dnrch die Zurückführung der Formell des Denkens und Anschauens
auf Funktionen oder Fähigkeiten im menschlichen Erkenntnisvermögen hat Kant
jene uralten ewigen Fragen nach dem Verhältnis des göttlichen Geistes zum
Irdischen und Materiellen soweit gelöst, wie sie zu losen sind. Nicht die Na¬
tur, die Beschaffenheit und das Allssehen des Transzendentalen, sondern nur


Zukunfts- Philosophie.

werden kann. Das Buch kann trotz der ausgesprochen pessimistischen Stimmung,
die darin herrscht, nicht geradezu Widerwillen erregen, denn man muß die Kraft
und Kühnheit bewundern, mit der hier versucht wird, die Schranken zu durch¬
brechen, welche Kant der menschlichen Erkenntnis gezogen hat. Die Logik zu
verspotten als eine bloße Gesundheitsregel für menschliches Denken, welche mit
dem wahren Wesen der Dinge gar nichts zu thun habe, und nun gar die Dinge
selbst ohne Logik erkennen zu wollen, das ist jedenfalls originell, wenn auch für
das menschliche Gehirn nicht passend. Wenn die Philosophie erst soweit ge¬
kommen ist, die Logik zu verachten, wozu man jn vielleicht durch deu Mißbrauch
derselben in gewissen philosophischen Systemen veranlaßt werden kann, dann
stellt sie sich wieder ans den Standpunkt, wo sie vor Sokrates gestanden hat,
das heißt, die menschliche Vernunft giebt es auf, Wahrheit überhaupt zu erkennen;
sie dankt ab vou ihrem pflichtmüßigeu Beruf, denn andre Mittel als das logische
Denken hat sie nicht zur Disposition zur Erkenntnis der Wahrheit. Daran
läßt sich nichts ändern, wenn mau auch noch so sehr am Widerstreit der Dinge
(Realdialektik) seine Freude bilden mag.

Bahnsen hatte gewiß in vollem Maße die natürliche Begabung und rast¬
lose Energie genug, um die Philosophie im besten Sinne zu fordern. Umso
dringender tritt uns die Frage entgegen, wie denn so ausgezeichnete Kräfte ans
die pessimistischen Wege gelenkt werden konnten, die geradezu jeden wirklichen.
Fortschritt in der Erkenntnis illusorisch macheu müssen. Die Verbitterung dnrch
trübe Lebenserfnhrnngen allein genügt nicht. Es mag ihm in seinem pommerschen
Städtchen Lauenburg, wo er als Lehrer wirkte, zuweilen öde und heimwchartig
zu Mute gewesen sein. Aber die Hauptursache müssen wir doch darin finden,
daß sein vorzüglichster Lehrer in der Philosophie Schvpenhnner gewesen ist,
jener sympathische Trost für so viele verstimmte und verbitterte Gemüter.
Schopenhauer hat allerdings das Verdienst, den durch die Philosophieprvfessoren
scheinbar überwundenen Kant wenigstens wieder in seiner Weise hochgestellt und
ans ihn zurückgewiesen zu yabeu, aber er erklärte das wichtigste Kapitel i» der
Kritik der reinen Vernunft, den Eckstein, um den sich alles dreht, die Deduktion
der reinen Verstandesbegriffe, für so dunkel und unklar, daß ans demselben nie
ein Mensch klug geworden sei, und nie einer klug werden könne. Somit mußte
ihm wie seinen Schülern dasjenige vollständig entgehen, worauf es zum Ver¬
ständnis Kants vor allein ankommt: der Zusammenhang der logischen Regeln
mit der ursprünglichen unveränderlichen Natur des menschlichen Geistes, die
transzendentale Logik.

Eben dnrch die Zurückführung der Formell des Denkens und Anschauens
auf Funktionen oder Fähigkeiten im menschlichen Erkenntnisvermögen hat Kant
jene uralten ewigen Fragen nach dem Verhältnis des göttlichen Geistes zum
Irdischen und Materiellen soweit gelöst, wie sie zu losen sind. Nicht die Na¬
tur, die Beschaffenheit und das Allssehen des Transzendentalen, sondern nur


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[0405] Zukunfts- Philosophie. werden kann. Das Buch kann trotz der ausgesprochen pessimistischen Stimmung, die darin herrscht, nicht geradezu Widerwillen erregen, denn man muß die Kraft und Kühnheit bewundern, mit der hier versucht wird, die Schranken zu durch¬ brechen, welche Kant der menschlichen Erkenntnis gezogen hat. Die Logik zu verspotten als eine bloße Gesundheitsregel für menschliches Denken, welche mit dem wahren Wesen der Dinge gar nichts zu thun habe, und nun gar die Dinge selbst ohne Logik erkennen zu wollen, das ist jedenfalls originell, wenn auch für das menschliche Gehirn nicht passend. Wenn die Philosophie erst soweit ge¬ kommen ist, die Logik zu verachten, wozu man jn vielleicht durch deu Mißbrauch derselben in gewissen philosophischen Systemen veranlaßt werden kann, dann stellt sie sich wieder ans den Standpunkt, wo sie vor Sokrates gestanden hat, das heißt, die menschliche Vernunft giebt es auf, Wahrheit überhaupt zu erkennen; sie dankt ab vou ihrem pflichtmüßigeu Beruf, denn andre Mittel als das logische Denken hat sie nicht zur Disposition zur Erkenntnis der Wahrheit. Daran läßt sich nichts ändern, wenn mau auch noch so sehr am Widerstreit der Dinge (Realdialektik) seine Freude bilden mag. Bahnsen hatte gewiß in vollem Maße die natürliche Begabung und rast¬ lose Energie genug, um die Philosophie im besten Sinne zu fordern. Umso dringender tritt uns die Frage entgegen, wie denn so ausgezeichnete Kräfte ans die pessimistischen Wege gelenkt werden konnten, die geradezu jeden wirklichen. Fortschritt in der Erkenntnis illusorisch macheu müssen. Die Verbitterung dnrch trübe Lebenserfnhrnngen allein genügt nicht. Es mag ihm in seinem pommerschen Städtchen Lauenburg, wo er als Lehrer wirkte, zuweilen öde und heimwchartig zu Mute gewesen sein. Aber die Hauptursache müssen wir doch darin finden, daß sein vorzüglichster Lehrer in der Philosophie Schvpenhnner gewesen ist, jener sympathische Trost für so viele verstimmte und verbitterte Gemüter. Schopenhauer hat allerdings das Verdienst, den durch die Philosophieprvfessoren scheinbar überwundenen Kant wenigstens wieder in seiner Weise hochgestellt und ans ihn zurückgewiesen zu yabeu, aber er erklärte das wichtigste Kapitel i» der Kritik der reinen Vernunft, den Eckstein, um den sich alles dreht, die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, für so dunkel und unklar, daß ans demselben nie ein Mensch klug geworden sei, und nie einer klug werden könne. Somit mußte ihm wie seinen Schülern dasjenige vollständig entgehen, worauf es zum Ver¬ ständnis Kants vor allein ankommt: der Zusammenhang der logischen Regeln mit der ursprünglichen unveränderlichen Natur des menschlichen Geistes, die transzendentale Logik. Eben dnrch die Zurückführung der Formell des Denkens und Anschauens auf Funktionen oder Fähigkeiten im menschlichen Erkenntnisvermögen hat Kant jene uralten ewigen Fragen nach dem Verhältnis des göttlichen Geistes zum Irdischen und Materiellen soweit gelöst, wie sie zu losen sind. Nicht die Na¬ tur, die Beschaffenheit und das Allssehen des Transzendentalen, sondern nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/405>, abgerufen am 25.08.2024.