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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Laienbriefe von der Internationalen Kunstausstellung.

sich: Sieh' da, der hat sich seinen Pieter de Hooghe oder van der Heyden gut
angesehen. Aber mehr gewinnt uns die holländische Kunst nicht ab.

Nun von der einstigen spanischen Provinz zu Spanien selbst! Beide er¬
lebten ja gleichzeitig eine verspätete Renaissance und sind auch so ziemlich gleich¬
zeitig um dieselbe gekommen. Aber welch ein Unterschied in den heutigen
Leistungen beider! Die Zahl der Bilder ist im spanischen Saale nicht viel
größer als an der holländischen Wand, doch welches Leben, wie viel Originalität!
Wir sind der madrider Nativnalgalerie zu besonderem Danke verpflichtet, daß
sie eine erkleckliche Anzahl ihrer neuen Erwerbungen hat die weite Reise machen
lassen. Denn uicht jeder kann die seltenen Pausen zwischen bürgerlichen Un¬
ruhen zu Ausflügen an den Ebro und Manzanares benutzen, und voll dem
dortigen Schaffen gaben unsre Ausstellungen bisher wenig Kunde. Jetzt er¬
fahre" wir wenigstens, was dermalen im Lande am höchsten geschützt wird, und
so sehr die Zeit sie verändert hat, die nationalen Züge der großen spanischen
Malerei sind doch wiederzuerkennen. An die Stelle der Mystik und religiösen
Exaltation ist, wenn man so sagen darf, profane Blutgier getreten. Es werden,
nach dem Ausgestellten zu urteilen, nicht mehr Konzessionen, aber immer noch
Marterbilder gemalt, nur daß keine Heiligen dabei im Spiele sind. Das süd¬
liche Temperament, welchem Stiergefechte die höchste Ergötzung gewähren, ver¬
leugnet sich nicht, ebensowenig die Farbenlust, ebensowenig das Behagen an
Schilderungen aus dem Volksleben. Ein gesunder Humor lebt in dem Bilde
Melidas. Vier Pärchen haben eine Landpartie gemacht, sie haben sich auf
freiem Felde zum Schmause gelagert, sind seelenvergnügt, auch das Saitenspiel
mangelt nicht. Plötzlich erscheint auf einer Anhöhe der nationale Liebling, ein
Stier und mißt mit verdächtigem Blicke die verblüffte Gesellschaft. Die Welt
der Gil Blas und Konsorten geht uns auf in dem ^. son g.i8v betitelten Bilde
von Fernandiz. Ein Mönchlein und sein Esel werden von Verehrerinnen be¬
wirtet, eine schon stark verwitterte Schöne schmachtet den derben geistlichen Herrn
am auffälligste" a", der aber hat nur Augen für eine andere, zufällig die jüngste
und hübscheste, welche ihr Röckchen zum Troge für das Granaden hergiebt,
ohne zu beachten, daß ihr Kostüm auf die Hitze berechnet ist. Don Quixote
tritt persönlich auf bei einem Garcia (wir lernen deren drei kennen), doch uicht
nach Gebühr behandelt, nur als Heiratsstifter zwischen Vasilio und Qniteria.
So wie Adolf Schrödter hat doch kein zweiter den sinnreichen Junker getroffen!
Die spanischen Koloristcn leisten Bravonrstücke, denen auch unter einem ziemlich
niedrigen Breitengrade die Wahrscheinlichkeit nicht zugestanden werden kann.
Wir machen alle mögliche" Konzessionen, was die Luftperspektive betrifft, aber
wo viel Licht, ist doch auch in Spanien viel Schatten, wenn es ans Hinder¬
nisse stößt. Dergleichen Skrupel regen sich vor den Architekturen von Garcia
du Corral und Gonsnlvo y Perez, auch vor der Gartenszene von Casndv bei
Alisnl, die überhaupt rätselhaft bleibt. Dxisocls <t"z nicxzurs 68pg.Zno1<Z8 ist das


Laienbriefe von der Internationalen Kunstausstellung.

sich: Sieh' da, der hat sich seinen Pieter de Hooghe oder van der Heyden gut
angesehen. Aber mehr gewinnt uns die holländische Kunst nicht ab.

Nun von der einstigen spanischen Provinz zu Spanien selbst! Beide er¬
lebten ja gleichzeitig eine verspätete Renaissance und sind auch so ziemlich gleich¬
zeitig um dieselbe gekommen. Aber welch ein Unterschied in den heutigen
Leistungen beider! Die Zahl der Bilder ist im spanischen Saale nicht viel
größer als an der holländischen Wand, doch welches Leben, wie viel Originalität!
Wir sind der madrider Nativnalgalerie zu besonderem Danke verpflichtet, daß
sie eine erkleckliche Anzahl ihrer neuen Erwerbungen hat die weite Reise machen
lassen. Denn uicht jeder kann die seltenen Pausen zwischen bürgerlichen Un¬
ruhen zu Ausflügen an den Ebro und Manzanares benutzen, und voll dem
dortigen Schaffen gaben unsre Ausstellungen bisher wenig Kunde. Jetzt er¬
fahre» wir wenigstens, was dermalen im Lande am höchsten geschützt wird, und
so sehr die Zeit sie verändert hat, die nationalen Züge der großen spanischen
Malerei sind doch wiederzuerkennen. An die Stelle der Mystik und religiösen
Exaltation ist, wenn man so sagen darf, profane Blutgier getreten. Es werden,
nach dem Ausgestellten zu urteilen, nicht mehr Konzessionen, aber immer noch
Marterbilder gemalt, nur daß keine Heiligen dabei im Spiele sind. Das süd¬
liche Temperament, welchem Stiergefechte die höchste Ergötzung gewähren, ver¬
leugnet sich nicht, ebensowenig die Farbenlust, ebensowenig das Behagen an
Schilderungen aus dem Volksleben. Ein gesunder Humor lebt in dem Bilde
Melidas. Vier Pärchen haben eine Landpartie gemacht, sie haben sich auf
freiem Felde zum Schmause gelagert, sind seelenvergnügt, auch das Saitenspiel
mangelt nicht. Plötzlich erscheint auf einer Anhöhe der nationale Liebling, ein
Stier und mißt mit verdächtigem Blicke die verblüffte Gesellschaft. Die Welt
der Gil Blas und Konsorten geht uns auf in dem ^. son g.i8v betitelten Bilde
von Fernandiz. Ein Mönchlein und sein Esel werden von Verehrerinnen be¬
wirtet, eine schon stark verwitterte Schöne schmachtet den derben geistlichen Herrn
am auffälligste» a», der aber hat nur Augen für eine andere, zufällig die jüngste
und hübscheste, welche ihr Röckchen zum Troge für das Granaden hergiebt,
ohne zu beachten, daß ihr Kostüm auf die Hitze berechnet ist. Don Quixote
tritt persönlich auf bei einem Garcia (wir lernen deren drei kennen), doch uicht
nach Gebühr behandelt, nur als Heiratsstifter zwischen Vasilio und Qniteria.
So wie Adolf Schrödter hat doch kein zweiter den sinnreichen Junker getroffen!
Die spanischen Koloristcn leisten Bravonrstücke, denen auch unter einem ziemlich
niedrigen Breitengrade die Wahrscheinlichkeit nicht zugestanden werden kann.
Wir machen alle mögliche» Konzessionen, was die Luftperspektive betrifft, aber
wo viel Licht, ist doch auch in Spanien viel Schatten, wenn es ans Hinder¬
nisse stößt. Dergleichen Skrupel regen sich vor den Architekturen von Garcia
du Corral und Gonsnlvo y Perez, auch vor der Gartenszene von Casndv bei
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/40>, abgerufen am 03.07.2024.