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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Laienbriefe von der Internationalen Kunstausstellung,

Poet sein müsse, Tragöde, Novellist, Elegiker, Humorist, Idyllen- oder Oden-
vder Hymnendichter -- gleichviel. Selbst jene Gebildeten, welche glauben vor
jedem Kunstwerk den gewiegten Kritiker spielen, wie ein Thorschreiber inquiriren
und nach Kontrebande an Zeichnungsfehlern u. s. w. untersuche:, zu müssen,
selbst sie vergessen ihre Reputation sehr leicht gegenüber einem Künstler, der bei
seiner Arbeit etwas gedacht oder doch etwas geträumt hat. Vielleicht darf man
sogar hoffen, daß die Wiener Ausstellung in dieser Richtung einigermaßen epoche¬
machend werde. Wenigstens hat die so lange Zeit gehätschelte musikalische Ma¬
lerei erfahren müssen, daß die Fanfaren und kontrapunktischen Kunststücke nicht
mehr "ziehen." Neben der Historienmalerei, welche etwa aus einer Stufe mit
der nachschillerschen Dramendichtung steht, hatten die Nichts-als-Koloristen
allerdings leichtes Spiel; aber sobald einer auftritt, der vou der Geschichte und
den Menschen mehr kennt als ihre Garderobe, der einen Stoff in die Breite
und in die Tiefe auszubeuten weiß, müssen jene die Segel streichen.

Werden wie gesagt vou Helqvist die übrigens ganz tüchtigen Figurenmaler
Sinding, Werenstjold, Mariens ?e. verdunkelt, so darf doch der ausgezeichnete
Porträtist, Akademiedirektvr Graf Rosen in Stockholm, nicht so beiläufig ab¬
gefertigt werden. Das Bildnis eines höherei: Offiziers hält sich neben den besten
Stücken dieser Gattung in der ganzen Ausstellung.

Der Abteilung Dänemark ist im Katalog als Vignette der Kopf Thor-
waldsens mit einem Stückchen Alexanderzug vorgesetzt. Die landläufige Vor-
stellung, daß Thorwaldsen der Kunst seines Vaterlandes die klassizistische Richtung
gegeben habe, lebt eben fort, obgleich längst nachgewiesen worden ist, daß er
selbst bereits in einer geistigen Strömung aufwuchs, die um die Zeit seiner
Geburt durch deu Bildhauer Wiedewelt, den Architekten Harsdorff und den
Maler Abildgaar hervorgerufen worden war. Und vollends zu den in Wien
erschienenen Werken der Malerei paßt jene Vignette wie die Faust aufs Auge.
Wo ist da eine Spur von Klassizismus? Allerdings pilgern verhältnismäßig
sehr viele Kunstjünger von: Sund aus nach Italien; der kleine Staat thut be¬
kanntlich großes für Künste und Wissenschaften, und in Deutschland in die Lehre
zu gehen, hält sie wohl noch der politische Antagonismus ab. Doch nehmen
sie vom Süden nicht mehr an als andre, und der Geist, welcher in der dänischen
Gelehrtenwelt lebendig ist und in der Erforschung der eignen Vergangenheit, und
zwar der vorgeschichtlichen, wie der Blütezeit dänischer Bau- und Oruamentativns-
kunst unter Christian IV., lohnende Aufgaben findet, der Trieb der Einkehr in die Hei¬
mat, hat auch die Maler erfaßt. Ganz Treffliches ist in dieser Richtung entstanden.
So eine Gruppe von Schiffern, welche voll höchster Spannung die Anstrengung
eines Bootes beobachten, das beim Sturm eine gefährliche Klippe umschiffen soll,
von einem Bornholmer, Michael An eher; dann das erwartungsvoll in der Thür
stehende Mädchen von Dalsgaard, alles so schlicht und wahr, die Person
selbst, der man ansteht, daß sie weder Freude noch Enttäuschung lebhaft äußern


Laienbriefe von der Internationalen Kunstausstellung,

Poet sein müsse, Tragöde, Novellist, Elegiker, Humorist, Idyllen- oder Oden-
vder Hymnendichter — gleichviel. Selbst jene Gebildeten, welche glauben vor
jedem Kunstwerk den gewiegten Kritiker spielen, wie ein Thorschreiber inquiriren
und nach Kontrebande an Zeichnungsfehlern u. s. w. untersuche:, zu müssen,
selbst sie vergessen ihre Reputation sehr leicht gegenüber einem Künstler, der bei
seiner Arbeit etwas gedacht oder doch etwas geträumt hat. Vielleicht darf man
sogar hoffen, daß die Wiener Ausstellung in dieser Richtung einigermaßen epoche¬
machend werde. Wenigstens hat die so lange Zeit gehätschelte musikalische Ma¬
lerei erfahren müssen, daß die Fanfaren und kontrapunktischen Kunststücke nicht
mehr „ziehen." Neben der Historienmalerei, welche etwa aus einer Stufe mit
der nachschillerschen Dramendichtung steht, hatten die Nichts-als-Koloristen
allerdings leichtes Spiel; aber sobald einer auftritt, der vou der Geschichte und
den Menschen mehr kennt als ihre Garderobe, der einen Stoff in die Breite
und in die Tiefe auszubeuten weiß, müssen jene die Segel streichen.

Werden wie gesagt vou Helqvist die übrigens ganz tüchtigen Figurenmaler
Sinding, Werenstjold, Mariens ?e. verdunkelt, so darf doch der ausgezeichnete
Porträtist, Akademiedirektvr Graf Rosen in Stockholm, nicht so beiläufig ab¬
gefertigt werden. Das Bildnis eines höherei: Offiziers hält sich neben den besten
Stücken dieser Gattung in der ganzen Ausstellung.

Der Abteilung Dänemark ist im Katalog als Vignette der Kopf Thor-
waldsens mit einem Stückchen Alexanderzug vorgesetzt. Die landläufige Vor-
stellung, daß Thorwaldsen der Kunst seines Vaterlandes die klassizistische Richtung
gegeben habe, lebt eben fort, obgleich längst nachgewiesen worden ist, daß er
selbst bereits in einer geistigen Strömung aufwuchs, die um die Zeit seiner
Geburt durch deu Bildhauer Wiedewelt, den Architekten Harsdorff und den
Maler Abildgaar hervorgerufen worden war. Und vollends zu den in Wien
erschienenen Werken der Malerei paßt jene Vignette wie die Faust aufs Auge.
Wo ist da eine Spur von Klassizismus? Allerdings pilgern verhältnismäßig
sehr viele Kunstjünger von: Sund aus nach Italien; der kleine Staat thut be¬
kanntlich großes für Künste und Wissenschaften, und in Deutschland in die Lehre
zu gehen, hält sie wohl noch der politische Antagonismus ab. Doch nehmen
sie vom Süden nicht mehr an als andre, und der Geist, welcher in der dänischen
Gelehrtenwelt lebendig ist und in der Erforschung der eignen Vergangenheit, und
zwar der vorgeschichtlichen, wie der Blütezeit dänischer Bau- und Oruamentativns-
kunst unter Christian IV., lohnende Aufgaben findet, der Trieb der Einkehr in die Hei¬
mat, hat auch die Maler erfaßt. Ganz Treffliches ist in dieser Richtung entstanden.
So eine Gruppe von Schiffern, welche voll höchster Spannung die Anstrengung
eines Bootes beobachten, das beim Sturm eine gefährliche Klippe umschiffen soll,
von einem Bornholmer, Michael An eher; dann das erwartungsvoll in der Thür
stehende Mädchen von Dalsgaard, alles so schlicht und wahr, die Person
selbst, der man ansteht, daß sie weder Freude noch Enttäuschung lebhaft äußern


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[0038] Laienbriefe von der Internationalen Kunstausstellung, Poet sein müsse, Tragöde, Novellist, Elegiker, Humorist, Idyllen- oder Oden- vder Hymnendichter — gleichviel. Selbst jene Gebildeten, welche glauben vor jedem Kunstwerk den gewiegten Kritiker spielen, wie ein Thorschreiber inquiriren und nach Kontrebande an Zeichnungsfehlern u. s. w. untersuche:, zu müssen, selbst sie vergessen ihre Reputation sehr leicht gegenüber einem Künstler, der bei seiner Arbeit etwas gedacht oder doch etwas geträumt hat. Vielleicht darf man sogar hoffen, daß die Wiener Ausstellung in dieser Richtung einigermaßen epoche¬ machend werde. Wenigstens hat die so lange Zeit gehätschelte musikalische Ma¬ lerei erfahren müssen, daß die Fanfaren und kontrapunktischen Kunststücke nicht mehr „ziehen." Neben der Historienmalerei, welche etwa aus einer Stufe mit der nachschillerschen Dramendichtung steht, hatten die Nichts-als-Koloristen allerdings leichtes Spiel; aber sobald einer auftritt, der vou der Geschichte und den Menschen mehr kennt als ihre Garderobe, der einen Stoff in die Breite und in die Tiefe auszubeuten weiß, müssen jene die Segel streichen. Werden wie gesagt vou Helqvist die übrigens ganz tüchtigen Figurenmaler Sinding, Werenstjold, Mariens ?e. verdunkelt, so darf doch der ausgezeichnete Porträtist, Akademiedirektvr Graf Rosen in Stockholm, nicht so beiläufig ab¬ gefertigt werden. Das Bildnis eines höherei: Offiziers hält sich neben den besten Stücken dieser Gattung in der ganzen Ausstellung. Der Abteilung Dänemark ist im Katalog als Vignette der Kopf Thor- waldsens mit einem Stückchen Alexanderzug vorgesetzt. Die landläufige Vor- stellung, daß Thorwaldsen der Kunst seines Vaterlandes die klassizistische Richtung gegeben habe, lebt eben fort, obgleich längst nachgewiesen worden ist, daß er selbst bereits in einer geistigen Strömung aufwuchs, die um die Zeit seiner Geburt durch deu Bildhauer Wiedewelt, den Architekten Harsdorff und den Maler Abildgaar hervorgerufen worden war. Und vollends zu den in Wien erschienenen Werken der Malerei paßt jene Vignette wie die Faust aufs Auge. Wo ist da eine Spur von Klassizismus? Allerdings pilgern verhältnismäßig sehr viele Kunstjünger von: Sund aus nach Italien; der kleine Staat thut be¬ kanntlich großes für Künste und Wissenschaften, und in Deutschland in die Lehre zu gehen, hält sie wohl noch der politische Antagonismus ab. Doch nehmen sie vom Süden nicht mehr an als andre, und der Geist, welcher in der dänischen Gelehrtenwelt lebendig ist und in der Erforschung der eignen Vergangenheit, und zwar der vorgeschichtlichen, wie der Blütezeit dänischer Bau- und Oruamentativns- kunst unter Christian IV., lohnende Aufgaben findet, der Trieb der Einkehr in die Hei¬ mat, hat auch die Maler erfaßt. Ganz Treffliches ist in dieser Richtung entstanden. So eine Gruppe von Schiffern, welche voll höchster Spannung die Anstrengung eines Bootes beobachten, das beim Sturm eine gefährliche Klippe umschiffen soll, von einem Bornholmer, Michael An eher; dann das erwartungsvoll in der Thür stehende Mädchen von Dalsgaard, alles so schlicht und wahr, die Person selbst, der man ansteht, daß sie weder Freude noch Enttäuschung lebhaft äußern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/38>, abgerufen am 03.07.2024.