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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ursprung "ut Entwicklung der ägyptischen Krisis.

zu handeln? Ist es sicher, daß die Türken ausgeschlossen bleiben sollen, bis
sie mit offener Karte spielen und sich mit einer untergeordnete,? Stellung be¬
gnügen? Wir haben abwechselnd bald den, bald jenen Weg und zuletzt alle
möglichen Wege, um aus der ägyptischen Schwierigkeit herauszukommen, ver¬
sucht und wieder verlassen. Friedfertige Depeschen, Unterhandlungen mit Arabi,
ausschließliche Allianz mit Frankreich, das europäische .Konzert, die türkische
Einmischung, direkte Drohungen, Seymours Kanonenkugeln, alleiniges Vor¬
gehen -- alles hat mau ergriffen und uach einer kurzen Erfahrung fallen
lassen, ausgenommen das letzte. Wo soll das enden? Dann würde die Ko¬
mödie oder Tragödie der Irrungen nicht vollständig sein ohne den seltsamen
Anblick, den die neueste Phase der Konferenz darbietet. Das einzige Inter¬
esse Englands in Ägypten (richtiger das Hauptinteresse; denn es giebt, wie
wir zu Anfang dieser Betrachtung sahen, auch noch ein anderes, das sich
freilich nicht gut als Interesse Englands bezeichnen läßt) ist der Suezknnal.
Wäre der uicht unsre Hauptstraße nach dem Osten, so hätten wir mit der
Anarchie im Nillande nicht mehr zu schaffen als mit etwaigen Wirren am
Amazonenstrom. Und doch soll dieser Seeweg, zu dessen Handelsbewegung Eng¬
land zweiundachtzig Prozent beiträgt, uuter die Fürsorge Gesammtcuropas
gestellt werden, während wir die Rolle von irrenden Rittern übernehmen und
uus der mühseligen und undankbaren Laufbahn widmen, eine Militäremeute im
Innern niederzuschlagen. Es ist gleichfalls charakteristisch sür die Ironie der
Ereignisse, daß Frankreich, das nächst uns um Kanal an: meisten interessirte
Land, sich von der vorgeschlagnen Bevormundung ganz zurückzieht und es Herrn
von Lesseps, diesen: echten Typus eines Galliers, überläßt, sich ans Bewachung
seines heiligen Grabens durch Fremde zu verlassen. . . . Sehr stark tritt eine
andre Veränderung hervor. Während des russisch-türkischen Krieges hat man
uns von Berlin her wiederholt zugerufen: So nehmt doch Ägypten! Jetzt ist
es anders geworden, und ob es nun so ist oder nicht, Deutschland scheint
wenigstens an der Spitze einer Quadrupelallianz des Mißtrauens und der Eifer¬
sucht zu stehen. Ohne Zweifel wäre die ideale Politik in Ägypten ein Angriff
auf Arnbi und die Anarchie mit der Sanktion des Sultans und der Mitwirkung
Europas. Darauf stützte sich die höchst erfolgreiche Okkupation Syriens durch
Frankreich im Jahr 1860. Wir versuchen jetzt vergebens, uns eine Kombination
zu sichern, die noch vor weniger als einem Jahre offenbar möglich war, jetzt
aber wohl nicht mehr zu hoffen ist. . . . Ebenso klar ist, daß die Zeit unsers
Sieges zwar vorauszusehen ist, das Ende unsers politischen Unternehmens aber
schwerlich."

Ähnlich klagte der Marquis of Salisbury neulich in einer Rede zu Hntfield:
"Bisher ist es unsre Praxis gewesen, alles zu thun, was nur konnten, um die
Allianz dieses Landes (Englands) mit der Türkei zu kultiviren, weil dieselbe
immer ein guter Bundesgenosse Englands gewesen ist und deren Interessen in


Ursprung »ut Entwicklung der ägyptischen Krisis.

zu handeln? Ist es sicher, daß die Türken ausgeschlossen bleiben sollen, bis
sie mit offener Karte spielen und sich mit einer untergeordnete,? Stellung be¬
gnügen? Wir haben abwechselnd bald den, bald jenen Weg und zuletzt alle
möglichen Wege, um aus der ägyptischen Schwierigkeit herauszukommen, ver¬
sucht und wieder verlassen. Friedfertige Depeschen, Unterhandlungen mit Arabi,
ausschließliche Allianz mit Frankreich, das europäische .Konzert, die türkische
Einmischung, direkte Drohungen, Seymours Kanonenkugeln, alleiniges Vor¬
gehen — alles hat mau ergriffen und uach einer kurzen Erfahrung fallen
lassen, ausgenommen das letzte. Wo soll das enden? Dann würde die Ko¬
mödie oder Tragödie der Irrungen nicht vollständig sein ohne den seltsamen
Anblick, den die neueste Phase der Konferenz darbietet. Das einzige Inter¬
esse Englands in Ägypten (richtiger das Hauptinteresse; denn es giebt, wie
wir zu Anfang dieser Betrachtung sahen, auch noch ein anderes, das sich
freilich nicht gut als Interesse Englands bezeichnen läßt) ist der Suezknnal.
Wäre der uicht unsre Hauptstraße nach dem Osten, so hätten wir mit der
Anarchie im Nillande nicht mehr zu schaffen als mit etwaigen Wirren am
Amazonenstrom. Und doch soll dieser Seeweg, zu dessen Handelsbewegung Eng¬
land zweiundachtzig Prozent beiträgt, uuter die Fürsorge Gesammtcuropas
gestellt werden, während wir die Rolle von irrenden Rittern übernehmen und
uus der mühseligen und undankbaren Laufbahn widmen, eine Militäremeute im
Innern niederzuschlagen. Es ist gleichfalls charakteristisch sür die Ironie der
Ereignisse, daß Frankreich, das nächst uns um Kanal an: meisten interessirte
Land, sich von der vorgeschlagnen Bevormundung ganz zurückzieht und es Herrn
von Lesseps, diesen: echten Typus eines Galliers, überläßt, sich ans Bewachung
seines heiligen Grabens durch Fremde zu verlassen. . . . Sehr stark tritt eine
andre Veränderung hervor. Während des russisch-türkischen Krieges hat man
uns von Berlin her wiederholt zugerufen: So nehmt doch Ägypten! Jetzt ist
es anders geworden, und ob es nun so ist oder nicht, Deutschland scheint
wenigstens an der Spitze einer Quadrupelallianz des Mißtrauens und der Eifer¬
sucht zu stehen. Ohne Zweifel wäre die ideale Politik in Ägypten ein Angriff
auf Arnbi und die Anarchie mit der Sanktion des Sultans und der Mitwirkung
Europas. Darauf stützte sich die höchst erfolgreiche Okkupation Syriens durch
Frankreich im Jahr 1860. Wir versuchen jetzt vergebens, uns eine Kombination
zu sichern, die noch vor weniger als einem Jahre offenbar möglich war, jetzt
aber wohl nicht mehr zu hoffen ist. . . . Ebenso klar ist, daß die Zeit unsers
Sieges zwar vorauszusehen ist, das Ende unsers politischen Unternehmens aber
schwerlich."

Ähnlich klagte der Marquis of Salisbury neulich in einer Rede zu Hntfield:
„Bisher ist es unsre Praxis gewesen, alles zu thun, was nur konnten, um die
Allianz dieses Landes (Englands) mit der Türkei zu kultiviren, weil dieselbe
immer ein guter Bundesgenosse Englands gewesen ist und deren Interessen in


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[0379] Ursprung »ut Entwicklung der ägyptischen Krisis. zu handeln? Ist es sicher, daß die Türken ausgeschlossen bleiben sollen, bis sie mit offener Karte spielen und sich mit einer untergeordnete,? Stellung be¬ gnügen? Wir haben abwechselnd bald den, bald jenen Weg und zuletzt alle möglichen Wege, um aus der ägyptischen Schwierigkeit herauszukommen, ver¬ sucht und wieder verlassen. Friedfertige Depeschen, Unterhandlungen mit Arabi, ausschließliche Allianz mit Frankreich, das europäische .Konzert, die türkische Einmischung, direkte Drohungen, Seymours Kanonenkugeln, alleiniges Vor¬ gehen — alles hat mau ergriffen und uach einer kurzen Erfahrung fallen lassen, ausgenommen das letzte. Wo soll das enden? Dann würde die Ko¬ mödie oder Tragödie der Irrungen nicht vollständig sein ohne den seltsamen Anblick, den die neueste Phase der Konferenz darbietet. Das einzige Inter¬ esse Englands in Ägypten (richtiger das Hauptinteresse; denn es giebt, wie wir zu Anfang dieser Betrachtung sahen, auch noch ein anderes, das sich freilich nicht gut als Interesse Englands bezeichnen läßt) ist der Suezknnal. Wäre der uicht unsre Hauptstraße nach dem Osten, so hätten wir mit der Anarchie im Nillande nicht mehr zu schaffen als mit etwaigen Wirren am Amazonenstrom. Und doch soll dieser Seeweg, zu dessen Handelsbewegung Eng¬ land zweiundachtzig Prozent beiträgt, uuter die Fürsorge Gesammtcuropas gestellt werden, während wir die Rolle von irrenden Rittern übernehmen und uus der mühseligen und undankbaren Laufbahn widmen, eine Militäremeute im Innern niederzuschlagen. Es ist gleichfalls charakteristisch sür die Ironie der Ereignisse, daß Frankreich, das nächst uns um Kanal an: meisten interessirte Land, sich von der vorgeschlagnen Bevormundung ganz zurückzieht und es Herrn von Lesseps, diesen: echten Typus eines Galliers, überläßt, sich ans Bewachung seines heiligen Grabens durch Fremde zu verlassen. . . . Sehr stark tritt eine andre Veränderung hervor. Während des russisch-türkischen Krieges hat man uns von Berlin her wiederholt zugerufen: So nehmt doch Ägypten! Jetzt ist es anders geworden, und ob es nun so ist oder nicht, Deutschland scheint wenigstens an der Spitze einer Quadrupelallianz des Mißtrauens und der Eifer¬ sucht zu stehen. Ohne Zweifel wäre die ideale Politik in Ägypten ein Angriff auf Arnbi und die Anarchie mit der Sanktion des Sultans und der Mitwirkung Europas. Darauf stützte sich die höchst erfolgreiche Okkupation Syriens durch Frankreich im Jahr 1860. Wir versuchen jetzt vergebens, uns eine Kombination zu sichern, die noch vor weniger als einem Jahre offenbar möglich war, jetzt aber wohl nicht mehr zu hoffen ist. . . . Ebenso klar ist, daß die Zeit unsers Sieges zwar vorauszusehen ist, das Ende unsers politischen Unternehmens aber schwerlich." Ähnlich klagte der Marquis of Salisbury neulich in einer Rede zu Hntfield: „Bisher ist es unsre Praxis gewesen, alles zu thun, was nur konnten, um die Allianz dieses Landes (Englands) mit der Türkei zu kultiviren, weil dieselbe immer ein guter Bundesgenosse Englands gewesen ist und deren Interessen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/379>, abgerufen am 24.08.2024.