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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Rrists.

Telegraph" die im englischen Publikum in dieser Beziehung gehegten Befürch¬
tungen in folgender Betrachtung aus:

"Sollte die Türkei in Ägypten Truppen landen, welcher Art würde ihre
Stellung sein? Arabi behauptet bereits, daß der Sultan sein Beschützer sei, und
es liegt auf der Hand, daß seine Anhänger leicht bewogen werden können, zu
glauben, daß der Chalif sein Kriegsheer absendet, um die Engländer ins Meer
zu jagen. Auch liegt es uicht außerhalb des Bereiches der politischen Möglich¬
keiten, daß jeder in Ägypten ausgeschiffte Türke einen britischen Soldaten mehr
nötig machen wird, wenn wir vor verdeckter Feindschaft oder offnem Abfall
gesichert sein sollen. Kein englischer General bei gesunden Sinnen würde ein
türkisches Kontingent als Teil seiner Streitkräfte annehmen, sein ganzer strate¬
gischer Plan sür einen Feldzug oder seine Taktik an einem Schlachttage könnte
sofort umgestoßen werden, wenn die-Osmanen während einer wichtigen Krisis
zum Feinde übergingen. Wenn die Armee des Sultans getrennt vorginge, so
würde vielleicht ein Korps zu ihrer Beobachtung detnchirt werden müssen, sodaß
das englische Heer, gleichviel welche Proklamation der Sultan erlassen, welche
Militärlonventivu er unterzeichnen möchte, durch jeden türkischen Soldaten,
der deu Fuß auf ägyptischen Boden setzte, geschwächt, Arabi dagegen gestärkt
werden würde. In der That, die beiden politischen Wege, auf deuen unser
Ministerium noch immer behnrrt, widersprechen einander thatsächlich. Als wir
an dein Gedanken einer türkischen Intervention festhielten, konnte von getrennter
Aktion unsrerseits nicht die Rede sein, und als diese notwendig wurde, mußten
wir uns von der Konferenz zurückziehen und ihr damit ein Ende machen. Wir
befinden uns jetzt in der verdrießlichen Lage, Soldaten, welche zur Rechtfertigung
ihrer Anwesenheit auf unsere Einladung hinweisen können, schlimmer als offne
Feinde, d. h. als zweifelhafte Verbündete betrachten zu müssen. Wollten wir
sie an der Landung hindern, so würden wir unsere eigene Unterschrift ver¬
leugnen und mit Gewalt die einzige Armee zurücktreiben, die kraft einer Art
europäischen Maubads nach Ägypten gekommen wäre. Dahin hat uns die
tastende, schüchterne, doppelte Politik des Ministeriums Gladstone gebracht. Die
Herren versuchten zwei Pferde anf einmal zu reiten, sie hingen und hängen
noch jetzt an dem Fetzen alter Pläne, nachdem sie völlig neue und entgegen¬
gesetzte Wege betreten haben. In der That, das diplomatische Thun Englands
ist im letzten Jahre ein Rutschen und Hinundhertreiben, eine Kleinmeisterei und
ewiges Wechseln gewesen. . . . Das schärfste Auge vermag in den Blaubüchern
nicht zu entdecken, wann wir uns zuerst entschlossen haben, mit Frankreich
allein vorzugehen. Dann ist das Datum, wo wir die dualistische Politik auf¬
gaben, ebenso unsicher. Wir verliebten uns in das europäische Konzert so all¬
mählich, daß die ersten Spuren unsrer Neigung nicht aufzufinden sind. Jetzt
sind unsere getrennte Aktion und unsere thatsächliche Zurückweisung der tür¬
kischen Mitwirkung gleichfalls schemenhaft. Sind wir wirklich entschlossen, allein


Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Rrists.

Telegraph" die im englischen Publikum in dieser Beziehung gehegten Befürch¬
tungen in folgender Betrachtung aus:

„Sollte die Türkei in Ägypten Truppen landen, welcher Art würde ihre
Stellung sein? Arabi behauptet bereits, daß der Sultan sein Beschützer sei, und
es liegt auf der Hand, daß seine Anhänger leicht bewogen werden können, zu
glauben, daß der Chalif sein Kriegsheer absendet, um die Engländer ins Meer
zu jagen. Auch liegt es uicht außerhalb des Bereiches der politischen Möglich¬
keiten, daß jeder in Ägypten ausgeschiffte Türke einen britischen Soldaten mehr
nötig machen wird, wenn wir vor verdeckter Feindschaft oder offnem Abfall
gesichert sein sollen. Kein englischer General bei gesunden Sinnen würde ein
türkisches Kontingent als Teil seiner Streitkräfte annehmen, sein ganzer strate¬
gischer Plan sür einen Feldzug oder seine Taktik an einem Schlachttage könnte
sofort umgestoßen werden, wenn die-Osmanen während einer wichtigen Krisis
zum Feinde übergingen. Wenn die Armee des Sultans getrennt vorginge, so
würde vielleicht ein Korps zu ihrer Beobachtung detnchirt werden müssen, sodaß
das englische Heer, gleichviel welche Proklamation der Sultan erlassen, welche
Militärlonventivu er unterzeichnen möchte, durch jeden türkischen Soldaten,
der deu Fuß auf ägyptischen Boden setzte, geschwächt, Arabi dagegen gestärkt
werden würde. In der That, die beiden politischen Wege, auf deuen unser
Ministerium noch immer behnrrt, widersprechen einander thatsächlich. Als wir
an dein Gedanken einer türkischen Intervention festhielten, konnte von getrennter
Aktion unsrerseits nicht die Rede sein, und als diese notwendig wurde, mußten
wir uns von der Konferenz zurückziehen und ihr damit ein Ende machen. Wir
befinden uns jetzt in der verdrießlichen Lage, Soldaten, welche zur Rechtfertigung
ihrer Anwesenheit auf unsere Einladung hinweisen können, schlimmer als offne
Feinde, d. h. als zweifelhafte Verbündete betrachten zu müssen. Wollten wir
sie an der Landung hindern, so würden wir unsere eigene Unterschrift ver¬
leugnen und mit Gewalt die einzige Armee zurücktreiben, die kraft einer Art
europäischen Maubads nach Ägypten gekommen wäre. Dahin hat uns die
tastende, schüchterne, doppelte Politik des Ministeriums Gladstone gebracht. Die
Herren versuchten zwei Pferde anf einmal zu reiten, sie hingen und hängen
noch jetzt an dem Fetzen alter Pläne, nachdem sie völlig neue und entgegen¬
gesetzte Wege betreten haben. In der That, das diplomatische Thun Englands
ist im letzten Jahre ein Rutschen und Hinundhertreiben, eine Kleinmeisterei und
ewiges Wechseln gewesen. . . . Das schärfste Auge vermag in den Blaubüchern
nicht zu entdecken, wann wir uns zuerst entschlossen haben, mit Frankreich
allein vorzugehen. Dann ist das Datum, wo wir die dualistische Politik auf¬
gaben, ebenso unsicher. Wir verliebten uns in das europäische Konzert so all¬
mählich, daß die ersten Spuren unsrer Neigung nicht aufzufinden sind. Jetzt
sind unsere getrennte Aktion und unsere thatsächliche Zurückweisung der tür¬
kischen Mitwirkung gleichfalls schemenhaft. Sind wir wirklich entschlossen, allein


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[0378] Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Rrists. Telegraph" die im englischen Publikum in dieser Beziehung gehegten Befürch¬ tungen in folgender Betrachtung aus: „Sollte die Türkei in Ägypten Truppen landen, welcher Art würde ihre Stellung sein? Arabi behauptet bereits, daß der Sultan sein Beschützer sei, und es liegt auf der Hand, daß seine Anhänger leicht bewogen werden können, zu glauben, daß der Chalif sein Kriegsheer absendet, um die Engländer ins Meer zu jagen. Auch liegt es uicht außerhalb des Bereiches der politischen Möglich¬ keiten, daß jeder in Ägypten ausgeschiffte Türke einen britischen Soldaten mehr nötig machen wird, wenn wir vor verdeckter Feindschaft oder offnem Abfall gesichert sein sollen. Kein englischer General bei gesunden Sinnen würde ein türkisches Kontingent als Teil seiner Streitkräfte annehmen, sein ganzer strate¬ gischer Plan sür einen Feldzug oder seine Taktik an einem Schlachttage könnte sofort umgestoßen werden, wenn die-Osmanen während einer wichtigen Krisis zum Feinde übergingen. Wenn die Armee des Sultans getrennt vorginge, so würde vielleicht ein Korps zu ihrer Beobachtung detnchirt werden müssen, sodaß das englische Heer, gleichviel welche Proklamation der Sultan erlassen, welche Militärlonventivu er unterzeichnen möchte, durch jeden türkischen Soldaten, der deu Fuß auf ägyptischen Boden setzte, geschwächt, Arabi dagegen gestärkt werden würde. In der That, die beiden politischen Wege, auf deuen unser Ministerium noch immer behnrrt, widersprechen einander thatsächlich. Als wir an dein Gedanken einer türkischen Intervention festhielten, konnte von getrennter Aktion unsrerseits nicht die Rede sein, und als diese notwendig wurde, mußten wir uns von der Konferenz zurückziehen und ihr damit ein Ende machen. Wir befinden uns jetzt in der verdrießlichen Lage, Soldaten, welche zur Rechtfertigung ihrer Anwesenheit auf unsere Einladung hinweisen können, schlimmer als offne Feinde, d. h. als zweifelhafte Verbündete betrachten zu müssen. Wollten wir sie an der Landung hindern, so würden wir unsere eigene Unterschrift ver¬ leugnen und mit Gewalt die einzige Armee zurücktreiben, die kraft einer Art europäischen Maubads nach Ägypten gekommen wäre. Dahin hat uns die tastende, schüchterne, doppelte Politik des Ministeriums Gladstone gebracht. Die Herren versuchten zwei Pferde anf einmal zu reiten, sie hingen und hängen noch jetzt an dem Fetzen alter Pläne, nachdem sie völlig neue und entgegen¬ gesetzte Wege betreten haben. In der That, das diplomatische Thun Englands ist im letzten Jahre ein Rutschen und Hinundhertreiben, eine Kleinmeisterei und ewiges Wechseln gewesen. . . . Das schärfste Auge vermag in den Blaubüchern nicht zu entdecken, wann wir uns zuerst entschlossen haben, mit Frankreich allein vorzugehen. Dann ist das Datum, wo wir die dualistische Politik auf¬ gaben, ebenso unsicher. Wir verliebten uns in das europäische Konzert so all¬ mählich, daß die ersten Spuren unsrer Neigung nicht aufzufinden sind. Jetzt sind unsere getrennte Aktion und unsere thatsächliche Zurückweisung der tür¬ kischen Mitwirkung gleichfalls schemenhaft. Sind wir wirklich entschlossen, allein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/378>, abgerufen am 24.08.2024.