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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Städten Ägyptens machte sich die Wild der Eingebornen über das gransame
Auftreten Seymonrs durch Abschlachtung der dort wohnenden Europäer Luft.
Sonst wurde durch die Beschießung Alexandriens nichts erreicht. Arabi verließ
die Stadt und zog sich mit seinen Truppen nach dem nahen Kafr Ed Dowar
zurück, wo er sich stark verschanzte und ein zahlreiches Heer zur Verteidigung
gegen die nun drohende Invasion sammelte. Die kleinen Rekoguoszirungsge-
fechte, die seitdem zwischen den in Alexandrien eingerückten englischen Truppen
und deu Ägyptern stattfanden, haben die ersteren nicht gerade in glänzendem
Lichte erscheinen lassen.

Wenden wir uns mit unserem Rückblicke nach Europa, so begegnen wir so
vielen unerwarteten Entwicklungen der ägyptischen Angelegenheit, daß die meisten
Prophezeiungen, die man vor vier Monaten noch von guten Autoritäten zu
hören bekam, als grobe Täuschungen bezeichnet werden müssen. Nicht eine
einzige europäische Macht, ausgenommen Deutschland und Österreich-Ungarn,
nimmt jetzt die Stellung ein, welche Beobachter von auszen voraussehen wollten.
Rußland, der älteste und ausdanernste Feind der Türkei, treibt dieselbe zur
Intervention im Nillande an und erleichtert ihr dies, indem es ihr zu einer
Anleihe verhilft. Italien, das den Engländern Förderung seiner Unabhängigkeits¬
und Einheitsbestrebungen dankt, kehrt der ägyptischen Politik Gladstones den
Rücken und schließt sich denen an, die ihr widerstreben. Frankreich, das durch
den tunesischen Feldzug die Neigung zu bekunden schien, alte Traditionen von
Eroberung und Einverleibung wieder aufleben zu lassen, zieht sich von dieser
Politik so vollständig zurück, daß es sich sogar weigert, bei der milden Ma߬
regel eines Kollektivschutzes des Suezkanals durch Europa mitzuwirken, während
selbst Spanien dabei sein möchte. England dagegen, das von einem Ministerium
regiert wird, welches die Schriften Elihu Bnrrits mit Nutzen studirt zu haben
und dafür mit dem Olivenzweige des Friedens belohnt worden zu sein schien,
ist die erste Macht, die in Ägypten mit den Waffen auftritt. Man glaubte
ferner, daß Ägypten in der Hauptsache eine Streitfrage zwischen England und
Frankreich sei, und daß jenes, wenn es nnr frei von dem Argwohn und der
Eifersucht des Nachbars jenseits des Ärmelkanals wäre, in Kairo unbegrenzten
Einfluß ausüben würde. Auch das war eine Täuschung. Frankreich scheint,
wenigstens sür jetzt, die englische Expedition nach dem Nil mit Gleichmut zu
betrachten, und England hat es in dieser Sache gegenwärtig nicht zu fürchten.
Die Kreuz- und Querströmungen des ägyptischen Strudels werden noch ver¬
wickelter und wirrer durch die Thatsache, daß man britischerseits jetzt alles mög¬
liche daran setzt, um die türkische Intervention zu hintertreiben, während man
sie anfänglich befürwortete. Dasselbe gilt endlich von der Botschaftcrkvufereuz
in Konstantinopel, die ein französischer Gedanke war, aber vom Lord Granville
bereitwillig gutgeheißen wurde, und die den Engländern jetzt gleichfalls als ein
verdrießliches Hindernis erscheint. Vor wenigen Tagen noch drückte der "Dnily


Greuzbotlm III. 1882. 47

Städten Ägyptens machte sich die Wild der Eingebornen über das gransame
Auftreten Seymonrs durch Abschlachtung der dort wohnenden Europäer Luft.
Sonst wurde durch die Beschießung Alexandriens nichts erreicht. Arabi verließ
die Stadt und zog sich mit seinen Truppen nach dem nahen Kafr Ed Dowar
zurück, wo er sich stark verschanzte und ein zahlreiches Heer zur Verteidigung
gegen die nun drohende Invasion sammelte. Die kleinen Rekoguoszirungsge-
fechte, die seitdem zwischen den in Alexandrien eingerückten englischen Truppen
und deu Ägyptern stattfanden, haben die ersteren nicht gerade in glänzendem
Lichte erscheinen lassen.

Wenden wir uns mit unserem Rückblicke nach Europa, so begegnen wir so
vielen unerwarteten Entwicklungen der ägyptischen Angelegenheit, daß die meisten
Prophezeiungen, die man vor vier Monaten noch von guten Autoritäten zu
hören bekam, als grobe Täuschungen bezeichnet werden müssen. Nicht eine
einzige europäische Macht, ausgenommen Deutschland und Österreich-Ungarn,
nimmt jetzt die Stellung ein, welche Beobachter von auszen voraussehen wollten.
Rußland, der älteste und ausdanernste Feind der Türkei, treibt dieselbe zur
Intervention im Nillande an und erleichtert ihr dies, indem es ihr zu einer
Anleihe verhilft. Italien, das den Engländern Förderung seiner Unabhängigkeits¬
und Einheitsbestrebungen dankt, kehrt der ägyptischen Politik Gladstones den
Rücken und schließt sich denen an, die ihr widerstreben. Frankreich, das durch
den tunesischen Feldzug die Neigung zu bekunden schien, alte Traditionen von
Eroberung und Einverleibung wieder aufleben zu lassen, zieht sich von dieser
Politik so vollständig zurück, daß es sich sogar weigert, bei der milden Ma߬
regel eines Kollektivschutzes des Suezkanals durch Europa mitzuwirken, während
selbst Spanien dabei sein möchte. England dagegen, das von einem Ministerium
regiert wird, welches die Schriften Elihu Bnrrits mit Nutzen studirt zu haben
und dafür mit dem Olivenzweige des Friedens belohnt worden zu sein schien,
ist die erste Macht, die in Ägypten mit den Waffen auftritt. Man glaubte
ferner, daß Ägypten in der Hauptsache eine Streitfrage zwischen England und
Frankreich sei, und daß jenes, wenn es nnr frei von dem Argwohn und der
Eifersucht des Nachbars jenseits des Ärmelkanals wäre, in Kairo unbegrenzten
Einfluß ausüben würde. Auch das war eine Täuschung. Frankreich scheint,
wenigstens sür jetzt, die englische Expedition nach dem Nil mit Gleichmut zu
betrachten, und England hat es in dieser Sache gegenwärtig nicht zu fürchten.
Die Kreuz- und Querströmungen des ägyptischen Strudels werden noch ver¬
wickelter und wirrer durch die Thatsache, daß man britischerseits jetzt alles mög¬
liche daran setzt, um die türkische Intervention zu hintertreiben, während man
sie anfänglich befürwortete. Dasselbe gilt endlich von der Botschaftcrkvufereuz
in Konstantinopel, die ein französischer Gedanke war, aber vom Lord Granville
bereitwillig gutgeheißen wurde, und die den Engländern jetzt gleichfalls als ein
verdrießliches Hindernis erscheint. Vor wenigen Tagen noch drückte der „Dnily


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[0377] Städten Ägyptens machte sich die Wild der Eingebornen über das gransame Auftreten Seymonrs durch Abschlachtung der dort wohnenden Europäer Luft. Sonst wurde durch die Beschießung Alexandriens nichts erreicht. Arabi verließ die Stadt und zog sich mit seinen Truppen nach dem nahen Kafr Ed Dowar zurück, wo er sich stark verschanzte und ein zahlreiches Heer zur Verteidigung gegen die nun drohende Invasion sammelte. Die kleinen Rekoguoszirungsge- fechte, die seitdem zwischen den in Alexandrien eingerückten englischen Truppen und deu Ägyptern stattfanden, haben die ersteren nicht gerade in glänzendem Lichte erscheinen lassen. Wenden wir uns mit unserem Rückblicke nach Europa, so begegnen wir so vielen unerwarteten Entwicklungen der ägyptischen Angelegenheit, daß die meisten Prophezeiungen, die man vor vier Monaten noch von guten Autoritäten zu hören bekam, als grobe Täuschungen bezeichnet werden müssen. Nicht eine einzige europäische Macht, ausgenommen Deutschland und Österreich-Ungarn, nimmt jetzt die Stellung ein, welche Beobachter von auszen voraussehen wollten. Rußland, der älteste und ausdanernste Feind der Türkei, treibt dieselbe zur Intervention im Nillande an und erleichtert ihr dies, indem es ihr zu einer Anleihe verhilft. Italien, das den Engländern Förderung seiner Unabhängigkeits¬ und Einheitsbestrebungen dankt, kehrt der ägyptischen Politik Gladstones den Rücken und schließt sich denen an, die ihr widerstreben. Frankreich, das durch den tunesischen Feldzug die Neigung zu bekunden schien, alte Traditionen von Eroberung und Einverleibung wieder aufleben zu lassen, zieht sich von dieser Politik so vollständig zurück, daß es sich sogar weigert, bei der milden Ma߬ regel eines Kollektivschutzes des Suezkanals durch Europa mitzuwirken, während selbst Spanien dabei sein möchte. England dagegen, das von einem Ministerium regiert wird, welches die Schriften Elihu Bnrrits mit Nutzen studirt zu haben und dafür mit dem Olivenzweige des Friedens belohnt worden zu sein schien, ist die erste Macht, die in Ägypten mit den Waffen auftritt. Man glaubte ferner, daß Ägypten in der Hauptsache eine Streitfrage zwischen England und Frankreich sei, und daß jenes, wenn es nnr frei von dem Argwohn und der Eifersucht des Nachbars jenseits des Ärmelkanals wäre, in Kairo unbegrenzten Einfluß ausüben würde. Auch das war eine Täuschung. Frankreich scheint, wenigstens sür jetzt, die englische Expedition nach dem Nil mit Gleichmut zu betrachten, und England hat es in dieser Sache gegenwärtig nicht zu fürchten. Die Kreuz- und Querströmungen des ägyptischen Strudels werden noch ver¬ wickelter und wirrer durch die Thatsache, daß man britischerseits jetzt alles mög¬ liche daran setzt, um die türkische Intervention zu hintertreiben, während man sie anfänglich befürwortete. Dasselbe gilt endlich von der Botschaftcrkvufereuz in Konstantinopel, die ein französischer Gedanke war, aber vom Lord Granville bereitwillig gutgeheißen wurde, und die den Engländern jetzt gleichfalls als ein verdrießliches Hindernis erscheint. Vor wenigen Tagen noch drückte der „Dnily Greuzbotlm III. 1882. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/377>, abgerufen am 24.08.2024.