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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

nicht anlegen. Und wenn mir einer nach Clark Township kommt und Strippen
an seinen Hosalvngs tragt, damit er nicht ganz und gar von der Erde in den
Himmel fliegt, und sich in derselben Absicht mit zinnernen und vergoldeten
Petschaften an der Uhr beschwert, und einen Strich rotspitziges Hen auf seiner
Oberlippe kultivirt und sich für einen Singlehrer ausgiebt, so hab ich ihn im
Verdacht. Da ist mir zuviel aufgewichst, als das viel gescheidtes dahinterstecken
sollte. Na aber, hier, auf deine Gesundheit, Cynthy!

Und nachdem er diese orakelhafte Rede gehalten und das harte Kalkstein-
waffer hinuntergeschlürft, hing Jonas den reinen, weißen Kürbis, aus dem er
getrunken hatte, an feinen Platz am Brnnnenschwengel und brach wieder nach
dem Felde ans, während Cynthy Ann ihren Eimer voll Wasser in die Küche
trug, wobei sie sich Vorwürfe machte, fo lange dagestanden und mit Jonas ge¬
plaudert zu haben. Bei Cynthy hatte alles angenehme einen Beigeschmack von
Sündhaftigkeit.

Der Wassereimer war kaum in den Gußstein gestellt, so klopfte es an die
Thür, und Cynthy fand, daß neben derselben die mit Strippen versehenen Pan-
talons, der "rotspitzige" Schnurrbart, die Uhrpetschafte und alles übrige standen,
was den neuen Gesanglehrer ausmachte. Er lächelte, als er ihrer ansichtig
wurde. Es war ein Lächeln von der Sorte, die streng ans die untere Hülste
des Gesichts beschränkt und ganz mechanisch ist, wie wenn inwendig gewisse
Drähte mit vorbedachter Böswilligkeit gezogen und der Mund zu einem vier¬
eckigen Grinsen aufgerissen würde, wie es etwa ein geschickt angefertigter Automat
zeigen könnte.

Ist Herr Anderson zu Hause?

Nein, mein Herr, er ist in die Stadt gegangen.

Ist Frau Anderson da?

Damit trat er ein und hatte bald ein Gespräch mit der Dame vom Hause
angeknüpft, und trotz des Vorurteils, das sie gegen Schnurrbärte hegte, brachte
ers dahin, ihr zu gefallen. Er lächelte so kunstvoll. Er sprach so fließend.
Er nahm alle ihre Launen und Schrullen mit gutem Humor auf, zeigte bei
allen ihren Klagen Teilnahme und blieb zuletzt zum Mittagsessen da, wo er ihr
bestes Eingemachtes mit einer gnädigen Ungezwungenheit verspeiste, die °Frau
Anderson das Gefühl erweckte, wie groß doch seine Herablassung wäre. Denn
Herr Humphreys, der Gesanglehrer, hatte Julien in das hübsche Gesicht und
dann über Juliens Schultern über die weitgedehnten Äcker ihres Vaters gesehen,
und er meinte, daß er in Clark Township noch keiner so schönen Landschaft,
keiner so niedlichen Staffage begegnet sei. Und mit dem raschen Blicke deS
Mannes von Welt hatte er Frau Anderson gemessen und über die geringe
Mühe nachgedacht, die es ihm verursachen würde, das Bild so zu gestalte", daß
^ nach seinem Geschmacke war.


Der jüngste Tag.

nicht anlegen. Und wenn mir einer nach Clark Township kommt und Strippen
an seinen Hosalvngs tragt, damit er nicht ganz und gar von der Erde in den
Himmel fliegt, und sich in derselben Absicht mit zinnernen und vergoldeten
Petschaften an der Uhr beschwert, und einen Strich rotspitziges Hen auf seiner
Oberlippe kultivirt und sich für einen Singlehrer ausgiebt, so hab ich ihn im
Verdacht. Da ist mir zuviel aufgewichst, als das viel gescheidtes dahinterstecken
sollte. Na aber, hier, auf deine Gesundheit, Cynthy!

Und nachdem er diese orakelhafte Rede gehalten und das harte Kalkstein-
waffer hinuntergeschlürft, hing Jonas den reinen, weißen Kürbis, aus dem er
getrunken hatte, an feinen Platz am Brnnnenschwengel und brach wieder nach
dem Felde ans, während Cynthy Ann ihren Eimer voll Wasser in die Küche
trug, wobei sie sich Vorwürfe machte, fo lange dagestanden und mit Jonas ge¬
plaudert zu haben. Bei Cynthy hatte alles angenehme einen Beigeschmack von
Sündhaftigkeit.

Der Wassereimer war kaum in den Gußstein gestellt, so klopfte es an die
Thür, und Cynthy fand, daß neben derselben die mit Strippen versehenen Pan-
talons, der „rotspitzige" Schnurrbart, die Uhrpetschafte und alles übrige standen,
was den neuen Gesanglehrer ausmachte. Er lächelte, als er ihrer ansichtig
wurde. Es war ein Lächeln von der Sorte, die streng ans die untere Hülste
des Gesichts beschränkt und ganz mechanisch ist, wie wenn inwendig gewisse
Drähte mit vorbedachter Böswilligkeit gezogen und der Mund zu einem vier¬
eckigen Grinsen aufgerissen würde, wie es etwa ein geschickt angefertigter Automat
zeigen könnte.

Ist Herr Anderson zu Hause?

Nein, mein Herr, er ist in die Stadt gegangen.

Ist Frau Anderson da?

Damit trat er ein und hatte bald ein Gespräch mit der Dame vom Hause
angeknüpft, und trotz des Vorurteils, das sie gegen Schnurrbärte hegte, brachte
ers dahin, ihr zu gefallen. Er lächelte so kunstvoll. Er sprach so fließend.
Er nahm alle ihre Launen und Schrullen mit gutem Humor auf, zeigte bei
allen ihren Klagen Teilnahme und blieb zuletzt zum Mittagsessen da, wo er ihr
bestes Eingemachtes mit einer gnädigen Ungezwungenheit verspeiste, die °Frau
Anderson das Gefühl erweckte, wie groß doch seine Herablassung wäre. Denn
Herr Humphreys, der Gesanglehrer, hatte Julien in das hübsche Gesicht und
dann über Juliens Schultern über die weitgedehnten Äcker ihres Vaters gesehen,
und er meinte, daß er in Clark Township noch keiner so schönen Landschaft,
keiner so niedlichen Staffage begegnet sei. Und mit dem raschen Blicke deS
Mannes von Welt hatte er Frau Anderson gemessen und über die geringe
Mühe nachgedacht, die es ihm verursachen würde, das Bild so zu gestalte«, daß
^ nach seinem Geschmacke war.


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[0335] Der jüngste Tag. nicht anlegen. Und wenn mir einer nach Clark Township kommt und Strippen an seinen Hosalvngs tragt, damit er nicht ganz und gar von der Erde in den Himmel fliegt, und sich in derselben Absicht mit zinnernen und vergoldeten Petschaften an der Uhr beschwert, und einen Strich rotspitziges Hen auf seiner Oberlippe kultivirt und sich für einen Singlehrer ausgiebt, so hab ich ihn im Verdacht. Da ist mir zuviel aufgewichst, als das viel gescheidtes dahinterstecken sollte. Na aber, hier, auf deine Gesundheit, Cynthy! Und nachdem er diese orakelhafte Rede gehalten und das harte Kalkstein- waffer hinuntergeschlürft, hing Jonas den reinen, weißen Kürbis, aus dem er getrunken hatte, an feinen Platz am Brnnnenschwengel und brach wieder nach dem Felde ans, während Cynthy Ann ihren Eimer voll Wasser in die Küche trug, wobei sie sich Vorwürfe machte, fo lange dagestanden und mit Jonas ge¬ plaudert zu haben. Bei Cynthy hatte alles angenehme einen Beigeschmack von Sündhaftigkeit. Der Wassereimer war kaum in den Gußstein gestellt, so klopfte es an die Thür, und Cynthy fand, daß neben derselben die mit Strippen versehenen Pan- talons, der „rotspitzige" Schnurrbart, die Uhrpetschafte und alles übrige standen, was den neuen Gesanglehrer ausmachte. Er lächelte, als er ihrer ansichtig wurde. Es war ein Lächeln von der Sorte, die streng ans die untere Hülste des Gesichts beschränkt und ganz mechanisch ist, wie wenn inwendig gewisse Drähte mit vorbedachter Böswilligkeit gezogen und der Mund zu einem vier¬ eckigen Grinsen aufgerissen würde, wie es etwa ein geschickt angefertigter Automat zeigen könnte. Ist Herr Anderson zu Hause? Nein, mein Herr, er ist in die Stadt gegangen. Ist Frau Anderson da? Damit trat er ein und hatte bald ein Gespräch mit der Dame vom Hause angeknüpft, und trotz des Vorurteils, das sie gegen Schnurrbärte hegte, brachte ers dahin, ihr zu gefallen. Er lächelte so kunstvoll. Er sprach so fließend. Er nahm alle ihre Launen und Schrullen mit gutem Humor auf, zeigte bei allen ihren Klagen Teilnahme und blieb zuletzt zum Mittagsessen da, wo er ihr bestes Eingemachtes mit einer gnädigen Ungezwungenheit verspeiste, die °Frau Anderson das Gefühl erweckte, wie groß doch seine Herablassung wäre. Denn Herr Humphreys, der Gesanglehrer, hatte Julien in das hübsche Gesicht und dann über Juliens Schultern über die weitgedehnten Äcker ihres Vaters gesehen, und er meinte, daß er in Clark Township noch keiner so schönen Landschaft, keiner so niedlichen Staffage begegnet sei. Und mit dem raschen Blicke deS Mannes von Welt hatte er Frau Anderson gemessen und über die geringe Mühe nachgedacht, die es ihm verursachen würde, das Bild so zu gestalte«, daß ^ nach seinem Geschmacke war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/335>, abgerufen am 03.07.2024.