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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Frankreich und die ägyptische Frage.

vention der beiden Westmächte, fallen. England zögerte mehrere Monate, weil
Frankreich sich ihm zu einer Einladung des Sultans, zur Beruhigung Ägyptens
durch Truppenentsendung beizutragen, uicht anschließen wollte, und als Freycinet
sich endlich zu diesem Schritte entschloß, waren die Dinge in Alexandrien bereits
zu weit gediehen. Zuletzt wurde es infolge der Ablehnung des Kredits, den
er von der Kammer verlangt hatte, um ein paar tausend Mann, lediglich zur
Sicherung des Suezkanals, nicht zur Unterdrückung des Aufstandes der ägyp¬
tischen Nntionalpartei, nach Port Said entsenden zu können, für Frankreich sogar
bis aus weiteres zur Unmöglichkeit, in der Sache auch nur eine Nebenrolle
neben England zu spielen. Die Türkei, erst von Frankreich mit aller Ent¬
schiedenheit perhorrescirt und zurückgehalten, wird jetzt interveniren. Eine ge¬
schickte Politik hätte sie gleich zu Anfang dazu aufgefordert. Man hätte dann
nicht erleben müssen, daß England hier nun in der Lage ist, im Trüben zu
fischen.

Ein andrer sehr eigentümlicher Zug in der Politik Freyeinets ist der, daß
er mit derselben schließlich der Abstimmung einer Kammermajorität erlag, mit
deren Ansichten er im wesentlichen übereinstimmte. Wider seinen Willen und
seine Überzeugung geschah es, daß er das Projekt einer gelinden Intervention
am Suezkanal verteidigte; er wollte damit nur deu Wünschen seiner Kollegen
Ferry und L6on Sah entsprechen. Als die Meldung eintraf, daß die Konferenz
die Obhut des Kanals einem Verein der dabei beteiligten Staaten anvertrauen
wolle, war Freycinet entschlossen, auf seiner Kreditforderung nicht weiter zu be¬
stehen. Als er aber diese Absicht dem Miuisterrate vortrug, erklärten sich, wie
der "Telegraphe" berichtet, mehrere Mitglieder dagegen; und Freycinet fügte sich
diesem Votum in der Erwartung, daß die ablehnenden Herren in der Kammer
mit ihm für die Kreditforderuug eintreten würden. In der Sitzung aber er¬
griff außer dem Conseilspräsideuten kein einziger der anwesenden Minister das
Wort, sie schwiegen auch, als die Rede Clemeneeaus dringend zu eiuer Entgeg¬
nung aufforderte. Der hierin liegende Vorwurf trifft vor allen die Herren
Lvvn Sah und Ferry. Say ist entschieden kriegslustig in der ägyptischen Sache.
Er, der "Vertreter aller Privilegien," war ein begeisterter Fürsprecher der Rück¬
kehr zu den alten Zuständen am Nil, wo Bligniöres die Finanzverwaltung im
Interesse der großen Bankiers in Paris "kontrolirte," ein Interesse, zu dessen
eifrigen Advokaten Say auch in andern Fragen immer gehört hat. Auf Ferry
über lastet uoch mehr die Schuld, wenn Freycinet gegen eine so große Stimmen¬
mehrheit der Kammer unterlag; denn der Name Ferry war den Deputirten
gleichbedeutend mit Krieg im Orient, sie erinnerten sich, als sie zur Abstimmung
schritten, um die unter ihm in Szene gesetzte tunesische Expedition. Er hatte
damals versprochen, mir eine Züchtigung der Chrumirs im Auge zu haben,
während er wußte, daß ein Krieg daraus entstehen müsse, und man wollte nicht
wieder getäuscht werden. Von Freycinet aber sagt John Lemoinne im "Journal


Frankreich und die ägyptische Frage.

vention der beiden Westmächte, fallen. England zögerte mehrere Monate, weil
Frankreich sich ihm zu einer Einladung des Sultans, zur Beruhigung Ägyptens
durch Truppenentsendung beizutragen, uicht anschließen wollte, und als Freycinet
sich endlich zu diesem Schritte entschloß, waren die Dinge in Alexandrien bereits
zu weit gediehen. Zuletzt wurde es infolge der Ablehnung des Kredits, den
er von der Kammer verlangt hatte, um ein paar tausend Mann, lediglich zur
Sicherung des Suezkanals, nicht zur Unterdrückung des Aufstandes der ägyp¬
tischen Nntionalpartei, nach Port Said entsenden zu können, für Frankreich sogar
bis aus weiteres zur Unmöglichkeit, in der Sache auch nur eine Nebenrolle
neben England zu spielen. Die Türkei, erst von Frankreich mit aller Ent¬
schiedenheit perhorrescirt und zurückgehalten, wird jetzt interveniren. Eine ge¬
schickte Politik hätte sie gleich zu Anfang dazu aufgefordert. Man hätte dann
nicht erleben müssen, daß England hier nun in der Lage ist, im Trüben zu
fischen.

Ein andrer sehr eigentümlicher Zug in der Politik Freyeinets ist der, daß
er mit derselben schließlich der Abstimmung einer Kammermajorität erlag, mit
deren Ansichten er im wesentlichen übereinstimmte. Wider seinen Willen und
seine Überzeugung geschah es, daß er das Projekt einer gelinden Intervention
am Suezkanal verteidigte; er wollte damit nur deu Wünschen seiner Kollegen
Ferry und L6on Sah entsprechen. Als die Meldung eintraf, daß die Konferenz
die Obhut des Kanals einem Verein der dabei beteiligten Staaten anvertrauen
wolle, war Freycinet entschlossen, auf seiner Kreditforderung nicht weiter zu be¬
stehen. Als er aber diese Absicht dem Miuisterrate vortrug, erklärten sich, wie
der „Telegraphe" berichtet, mehrere Mitglieder dagegen; und Freycinet fügte sich
diesem Votum in der Erwartung, daß die ablehnenden Herren in der Kammer
mit ihm für die Kreditforderuug eintreten würden. In der Sitzung aber er¬
griff außer dem Conseilspräsideuten kein einziger der anwesenden Minister das
Wort, sie schwiegen auch, als die Rede Clemeneeaus dringend zu eiuer Entgeg¬
nung aufforderte. Der hierin liegende Vorwurf trifft vor allen die Herren
Lvvn Sah und Ferry. Say ist entschieden kriegslustig in der ägyptischen Sache.
Er, der „Vertreter aller Privilegien," war ein begeisterter Fürsprecher der Rück¬
kehr zu den alten Zuständen am Nil, wo Bligniöres die Finanzverwaltung im
Interesse der großen Bankiers in Paris „kontrolirte," ein Interesse, zu dessen
eifrigen Advokaten Say auch in andern Fragen immer gehört hat. Auf Ferry
über lastet uoch mehr die Schuld, wenn Freycinet gegen eine so große Stimmen¬
mehrheit der Kammer unterlag; denn der Name Ferry war den Deputirten
gleichbedeutend mit Krieg im Orient, sie erinnerten sich, als sie zur Abstimmung
schritten, um die unter ihm in Szene gesetzte tunesische Expedition. Er hatte
damals versprochen, mir eine Züchtigung der Chrumirs im Auge zu haben,
während er wußte, daß ein Krieg daraus entstehen müsse, und man wollte nicht
wieder getäuscht werden. Von Freycinet aber sagt John Lemoinne im „Journal


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[0323] Frankreich und die ägyptische Frage. vention der beiden Westmächte, fallen. England zögerte mehrere Monate, weil Frankreich sich ihm zu einer Einladung des Sultans, zur Beruhigung Ägyptens durch Truppenentsendung beizutragen, uicht anschließen wollte, und als Freycinet sich endlich zu diesem Schritte entschloß, waren die Dinge in Alexandrien bereits zu weit gediehen. Zuletzt wurde es infolge der Ablehnung des Kredits, den er von der Kammer verlangt hatte, um ein paar tausend Mann, lediglich zur Sicherung des Suezkanals, nicht zur Unterdrückung des Aufstandes der ägyp¬ tischen Nntionalpartei, nach Port Said entsenden zu können, für Frankreich sogar bis aus weiteres zur Unmöglichkeit, in der Sache auch nur eine Nebenrolle neben England zu spielen. Die Türkei, erst von Frankreich mit aller Ent¬ schiedenheit perhorrescirt und zurückgehalten, wird jetzt interveniren. Eine ge¬ schickte Politik hätte sie gleich zu Anfang dazu aufgefordert. Man hätte dann nicht erleben müssen, daß England hier nun in der Lage ist, im Trüben zu fischen. Ein andrer sehr eigentümlicher Zug in der Politik Freyeinets ist der, daß er mit derselben schließlich der Abstimmung einer Kammermajorität erlag, mit deren Ansichten er im wesentlichen übereinstimmte. Wider seinen Willen und seine Überzeugung geschah es, daß er das Projekt einer gelinden Intervention am Suezkanal verteidigte; er wollte damit nur deu Wünschen seiner Kollegen Ferry und L6on Sah entsprechen. Als die Meldung eintraf, daß die Konferenz die Obhut des Kanals einem Verein der dabei beteiligten Staaten anvertrauen wolle, war Freycinet entschlossen, auf seiner Kreditforderung nicht weiter zu be¬ stehen. Als er aber diese Absicht dem Miuisterrate vortrug, erklärten sich, wie der „Telegraphe" berichtet, mehrere Mitglieder dagegen; und Freycinet fügte sich diesem Votum in der Erwartung, daß die ablehnenden Herren in der Kammer mit ihm für die Kreditforderuug eintreten würden. In der Sitzung aber er¬ griff außer dem Conseilspräsideuten kein einziger der anwesenden Minister das Wort, sie schwiegen auch, als die Rede Clemeneeaus dringend zu eiuer Entgeg¬ nung aufforderte. Der hierin liegende Vorwurf trifft vor allen die Herren Lvvn Sah und Ferry. Say ist entschieden kriegslustig in der ägyptischen Sache. Er, der „Vertreter aller Privilegien," war ein begeisterter Fürsprecher der Rück¬ kehr zu den alten Zuständen am Nil, wo Bligniöres die Finanzverwaltung im Interesse der großen Bankiers in Paris „kontrolirte," ein Interesse, zu dessen eifrigen Advokaten Say auch in andern Fragen immer gehört hat. Auf Ferry über lastet uoch mehr die Schuld, wenn Freycinet gegen eine so große Stimmen¬ mehrheit der Kammer unterlag; denn der Name Ferry war den Deputirten gleichbedeutend mit Krieg im Orient, sie erinnerten sich, als sie zur Abstimmung schritten, um die unter ihm in Szene gesetzte tunesische Expedition. Er hatte damals versprochen, mir eine Züchtigung der Chrumirs im Auge zu haben, während er wußte, daß ein Krieg daraus entstehen müsse, und man wollte nicht wieder getäuscht werden. Von Freycinet aber sagt John Lemoinne im „Journal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/323>, abgerufen am 23.07.2024.