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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Frankreich und die ägyptische Frage.

Mit dem Falle des Kaisers schwand dieser Einfluß rasch zusammen. Alle Be¬
mühungen der Unternehmer des Kanals, ihn auf dem Wege der Gesetzgebung
französisch zu macheu, waren vergeblich, er wurde auf dem Wege der That¬
sachen englisch. Die französischen Aktienbesitzer hatten es der Schifffahrt und
den: Handel Englands, welches den Kanal mehr benutzte als alle Länder Europas
zusammen, vor allem zu danken, wenn sie gute Dividenden aus demselben be¬
zogen, und Lord Beaeonsfield machte England durch Ankauf eines großen Teils
der Kanalaktien zum wichtigsten Mitbesitzer dieser Straße nach Indien.

1840 war es den Engländern nur daraus angekommen, Frankreich von der
Besitznahme Ägyptens als eines für die Beherrschung des Mittelmeeres wichtigen
Punktes fernzuhalten; jetzt dagegen geht ihr Bestreben dahin, ihr dort liegendes
Interesse in ein Recht zu verwandeln und damit mehr zu sichern. Palmerston
hatte nnr behauptet: Dies ist eine türkische Provinz, die Hände weg, ihr alle
ringsum! Jetzt sagt man in London: Dies ist eine britische Wasserstraße, und
die müssen wir uns freihalten. Dem gegenüber hat die öffentliche Meinung
in Frankreich, abgesehen von den Chauvinisten des Lagers Gambettas, das Be¬
streben, Ägypten von Frankreich abhängig zu macheu, aufgegeben. Sie läßt
die Tradition der Napoleonischen Legende fallen, sie fühlt den alten Ehrgeiz,
der von Alleinherrschaft in Nordafrika und auf dein Mittelmeere träumte, nicht
mehr und denkt nnr noch an drei Hauptpunkte: der mit französischem Gelde
gebaute Suezkanal soll sicher vor Zerstörung sein, desgleichen die große und
bis auf die letzten Ereignisse wohlgediehene französische Kolonie im Nillande,
und drittens sollen die Hunderttausende von Franzosen, die ihr Kapital in ägyp¬
tischen Staatspapieren angelegt haben, im Genuß ihrer Zinsen geschützt sein.
An Ruhm und Macht in Nordafrika wird nicht mehr gedacht, nur noch an
materielle Interessen. Der Zug nach Tunis war das letzte Zeichen von Ent¬
schlossenheit nach jener Richtung hiu. Seitdem ist in Paris ein stetes Schwanken
zwischen allerlei Halbheiten und Widersprüchen an der Tagesordnnnq gewesen,
von dem auch das Ministerium Freycinet ergriffen war.

Ohne Zweifel schreibt sich dieses Schwanken, dieses Zandern und dieses
Greifen nach halben Maßregeln auch von den parlamentarischen Zuständen in
Paris her. Gambetta ist zu kriegerischen Abenteuern geneigt und, wenn auch
lauge nicht mehr so mächtig wie früher, doch uoch immer ein gefährlicher Gegner,
sodaß Freycinet, der entschieden friedlich gesinnt ist, ihn und sein Programm des
Zusammenwirkens mit England wenigstens einigermaßen berücksichtigen zu müssen
glaubte. Die äußerste Linke ist noch zu schwach, um die Regierung an sich
reißen zu können, und so stützte sie in, Verein mit den Abgeordneten von der
Rechten bisher das Ministerium. Neben den Kreuz- und Querströmungen der
innern Politik aber machte sich in Frankreich schon seit geraumer Zeit eine tiefe
Abneigung vor Kriegen geltend. Dieses Gefühl war bei den Massen in den
Provinzen stets vorhanden. Der Chauvinismus, der die Herrschaft des ersten


Grenzboten III. 1882. 40
Frankreich und die ägyptische Frage.

Mit dem Falle des Kaisers schwand dieser Einfluß rasch zusammen. Alle Be¬
mühungen der Unternehmer des Kanals, ihn auf dem Wege der Gesetzgebung
französisch zu macheu, waren vergeblich, er wurde auf dem Wege der That¬
sachen englisch. Die französischen Aktienbesitzer hatten es der Schifffahrt und
den: Handel Englands, welches den Kanal mehr benutzte als alle Länder Europas
zusammen, vor allem zu danken, wenn sie gute Dividenden aus demselben be¬
zogen, und Lord Beaeonsfield machte England durch Ankauf eines großen Teils
der Kanalaktien zum wichtigsten Mitbesitzer dieser Straße nach Indien.

1840 war es den Engländern nur daraus angekommen, Frankreich von der
Besitznahme Ägyptens als eines für die Beherrschung des Mittelmeeres wichtigen
Punktes fernzuhalten; jetzt dagegen geht ihr Bestreben dahin, ihr dort liegendes
Interesse in ein Recht zu verwandeln und damit mehr zu sichern. Palmerston
hatte nnr behauptet: Dies ist eine türkische Provinz, die Hände weg, ihr alle
ringsum! Jetzt sagt man in London: Dies ist eine britische Wasserstraße, und
die müssen wir uns freihalten. Dem gegenüber hat die öffentliche Meinung
in Frankreich, abgesehen von den Chauvinisten des Lagers Gambettas, das Be¬
streben, Ägypten von Frankreich abhängig zu macheu, aufgegeben. Sie läßt
die Tradition der Napoleonischen Legende fallen, sie fühlt den alten Ehrgeiz,
der von Alleinherrschaft in Nordafrika und auf dein Mittelmeere träumte, nicht
mehr und denkt nnr noch an drei Hauptpunkte: der mit französischem Gelde
gebaute Suezkanal soll sicher vor Zerstörung sein, desgleichen die große und
bis auf die letzten Ereignisse wohlgediehene französische Kolonie im Nillande,
und drittens sollen die Hunderttausende von Franzosen, die ihr Kapital in ägyp¬
tischen Staatspapieren angelegt haben, im Genuß ihrer Zinsen geschützt sein.
An Ruhm und Macht in Nordafrika wird nicht mehr gedacht, nur noch an
materielle Interessen. Der Zug nach Tunis war das letzte Zeichen von Ent¬
schlossenheit nach jener Richtung hiu. Seitdem ist in Paris ein stetes Schwanken
zwischen allerlei Halbheiten und Widersprüchen an der Tagesordnnnq gewesen,
von dem auch das Ministerium Freycinet ergriffen war.

Ohne Zweifel schreibt sich dieses Schwanken, dieses Zandern und dieses
Greifen nach halben Maßregeln auch von den parlamentarischen Zuständen in
Paris her. Gambetta ist zu kriegerischen Abenteuern geneigt und, wenn auch
lauge nicht mehr so mächtig wie früher, doch uoch immer ein gefährlicher Gegner,
sodaß Freycinet, der entschieden friedlich gesinnt ist, ihn und sein Programm des
Zusammenwirkens mit England wenigstens einigermaßen berücksichtigen zu müssen
glaubte. Die äußerste Linke ist noch zu schwach, um die Regierung an sich
reißen zu können, und so stützte sie in, Verein mit den Abgeordneten von der
Rechten bisher das Ministerium. Neben den Kreuz- und Querströmungen der
innern Politik aber machte sich in Frankreich schon seit geraumer Zeit eine tiefe
Abneigung vor Kriegen geltend. Dieses Gefühl war bei den Massen in den
Provinzen stets vorhanden. Der Chauvinismus, der die Herrschaft des ersten


Grenzboten III. 1882. 40
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[0321] Frankreich und die ägyptische Frage. Mit dem Falle des Kaisers schwand dieser Einfluß rasch zusammen. Alle Be¬ mühungen der Unternehmer des Kanals, ihn auf dem Wege der Gesetzgebung französisch zu macheu, waren vergeblich, er wurde auf dem Wege der That¬ sachen englisch. Die französischen Aktienbesitzer hatten es der Schifffahrt und den: Handel Englands, welches den Kanal mehr benutzte als alle Länder Europas zusammen, vor allem zu danken, wenn sie gute Dividenden aus demselben be¬ zogen, und Lord Beaeonsfield machte England durch Ankauf eines großen Teils der Kanalaktien zum wichtigsten Mitbesitzer dieser Straße nach Indien. 1840 war es den Engländern nur daraus angekommen, Frankreich von der Besitznahme Ägyptens als eines für die Beherrschung des Mittelmeeres wichtigen Punktes fernzuhalten; jetzt dagegen geht ihr Bestreben dahin, ihr dort liegendes Interesse in ein Recht zu verwandeln und damit mehr zu sichern. Palmerston hatte nnr behauptet: Dies ist eine türkische Provinz, die Hände weg, ihr alle ringsum! Jetzt sagt man in London: Dies ist eine britische Wasserstraße, und die müssen wir uns freihalten. Dem gegenüber hat die öffentliche Meinung in Frankreich, abgesehen von den Chauvinisten des Lagers Gambettas, das Be¬ streben, Ägypten von Frankreich abhängig zu macheu, aufgegeben. Sie läßt die Tradition der Napoleonischen Legende fallen, sie fühlt den alten Ehrgeiz, der von Alleinherrschaft in Nordafrika und auf dein Mittelmeere träumte, nicht mehr und denkt nnr noch an drei Hauptpunkte: der mit französischem Gelde gebaute Suezkanal soll sicher vor Zerstörung sein, desgleichen die große und bis auf die letzten Ereignisse wohlgediehene französische Kolonie im Nillande, und drittens sollen die Hunderttausende von Franzosen, die ihr Kapital in ägyp¬ tischen Staatspapieren angelegt haben, im Genuß ihrer Zinsen geschützt sein. An Ruhm und Macht in Nordafrika wird nicht mehr gedacht, nur noch an materielle Interessen. Der Zug nach Tunis war das letzte Zeichen von Ent¬ schlossenheit nach jener Richtung hiu. Seitdem ist in Paris ein stetes Schwanken zwischen allerlei Halbheiten und Widersprüchen an der Tagesordnnnq gewesen, von dem auch das Ministerium Freycinet ergriffen war. Ohne Zweifel schreibt sich dieses Schwanken, dieses Zandern und dieses Greifen nach halben Maßregeln auch von den parlamentarischen Zuständen in Paris her. Gambetta ist zu kriegerischen Abenteuern geneigt und, wenn auch lauge nicht mehr so mächtig wie früher, doch uoch immer ein gefährlicher Gegner, sodaß Freycinet, der entschieden friedlich gesinnt ist, ihn und sein Programm des Zusammenwirkens mit England wenigstens einigermaßen berücksichtigen zu müssen glaubte. Die äußerste Linke ist noch zu schwach, um die Regierung an sich reißen zu können, und so stützte sie in, Verein mit den Abgeordneten von der Rechten bisher das Ministerium. Neben den Kreuz- und Querströmungen der innern Politik aber machte sich in Frankreich schon seit geraumer Zeit eine tiefe Abneigung vor Kriegen geltend. Dieses Gefühl war bei den Massen in den Provinzen stets vorhanden. Der Chauvinismus, der die Herrschaft des ersten Grenzboten III. 1882. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/321>, abgerufen am 23.07.2024.