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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen.

Stellung eines solchen Stücks kann mehr Schaden bewirken, als manches gefähr¬
liche Buch, das strenge verboten wird."

Gegen den Lärm, den die Räuber erregten, tritt die Wirkung des Fiesco
bedeutend zurück; er faud im ganzen wenig Beachtung, weder so enthusiastische
Aufnahme uoch so schroffe Zurückweisung. Wir heben aus den wenig zahlreichen
Besprechungen nur eine Stelle heraus: "Daß Schiller, der Verfasser der Räuber
und des Fiesko, einer der wenigen theatralischen Genien ist, die wir Teutschen
aufzuweisen haben, diese evidente Wahrheit können nur Personen, die von seichten,
französischen Vorurtheilen angesteckt sind, und der schwarzgalligte Handwerks¬
neid ableugnen. Doch sind selbst die Freunde der Schillerschen Muse genöthigt
einzugestehen, daß es in den Produkten dieses vortreflichen jungen Mannes an
wilden, üppigen Auswüchsen nicht fehlet, und daß ein strenger kritischer Freund
ihm nöthig wäre, der mit sorgfältiger Feile diese Mängel hinwegtilgte."

Wie ?. Klein an den Räubern, so wurde Karl Philipp Moritz, der be¬
kannte Verfasser des "Anton Reiser" -- der übrigens späterhin Schiller wohl
zu schätzen wußte --, an Kabale und Liebe zum Ritter, zunächst in einer kurzen
Notiz in der Vossischen Zeitung: "In Wahrheit wieder einmal ein Product,
was unseren Zeiten -- Schande macht! Mit welcher Stirn kann ein Mensch
doch solchen Unsinn schreiben und drucken lassen, und wie muß es in dessen Kopf
und Herz aussehen, der solche Geburten seines Geistes mit Wohlgefallen be¬
trachten kann! -- Doch wir wollen nicht declamiren. Wer 167 Seiten voll
ekelhafter Wiederholungen gotteslästerlicher Ausdrücke, wo ein Geck um ein
dummes affectirtes Mädchen mit der Vorsicht rechtet, und voll crasser, pöbel¬
hafter Witzes, oder unverständlicher Galimathias, durchlesen kann und mag --
der prüfe selbst. So schreiben heißt Geschmack und gesunde Kritik mit Füßen
treten; und darin hat denn der Verfasser diesmal sich selbst übertroffen. Ans
einigelt Scenen hatte was werden können, aber alles was dieser Verfasser an¬
greift, wird unter seinen Händen zu Schaum und Blase. -- Kostet in der Vos¬
sischen Buchhandlung allhier 10 Gr."

Als dies so rund absprechende Urteil auf Widersprüche stieß, hielt Moritz
es für nötig, dasselbe in einem längeren Aufsatz in derselben Zeitung zu recht¬
fertigen, indem er in übertriebener Weise nur die Mängel des Stückes heraushob.
Der Präsident ist ein Ungeheuer, der Geiger ist durchaus ein pöbelhafter, un¬
gezogener Kerl, die Frau des Geigers ist ein äußerst niederträchtiges, pöbel¬
haftes Weib, Luise eine affektirte Zierpuppe, "der Ferdinand ist nun vollends
ein unausstehlicher Mensch, der immer das Maul erschrecklich voll nimmt, und
doch am Ende nur, wie ein Geck handelt." Dies alles wird aufs einseitigste
mit Stellen belegt, um zu dem Schlüsse zu kommen: "Doch bin ich endlich
einmal müde, mehr Unsinn abzuschreiben. Blos der Unwille darüber, daß ein
Mensch das Publieum durch falschen Schimmer blendet, ihm Staub in die Augen
streuet, und auf solche Weise den Beifall zu erschleichen sucht, den sich ein


Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen.

Stellung eines solchen Stücks kann mehr Schaden bewirken, als manches gefähr¬
liche Buch, das strenge verboten wird."

Gegen den Lärm, den die Räuber erregten, tritt die Wirkung des Fiesco
bedeutend zurück; er faud im ganzen wenig Beachtung, weder so enthusiastische
Aufnahme uoch so schroffe Zurückweisung. Wir heben aus den wenig zahlreichen
Besprechungen nur eine Stelle heraus: „Daß Schiller, der Verfasser der Räuber
und des Fiesko, einer der wenigen theatralischen Genien ist, die wir Teutschen
aufzuweisen haben, diese evidente Wahrheit können nur Personen, die von seichten,
französischen Vorurtheilen angesteckt sind, und der schwarzgalligte Handwerks¬
neid ableugnen. Doch sind selbst die Freunde der Schillerschen Muse genöthigt
einzugestehen, daß es in den Produkten dieses vortreflichen jungen Mannes an
wilden, üppigen Auswüchsen nicht fehlet, und daß ein strenger kritischer Freund
ihm nöthig wäre, der mit sorgfältiger Feile diese Mängel hinwegtilgte."

Wie ?. Klein an den Räubern, so wurde Karl Philipp Moritz, der be¬
kannte Verfasser des „Anton Reiser" — der übrigens späterhin Schiller wohl
zu schätzen wußte —, an Kabale und Liebe zum Ritter, zunächst in einer kurzen
Notiz in der Vossischen Zeitung: „In Wahrheit wieder einmal ein Product,
was unseren Zeiten — Schande macht! Mit welcher Stirn kann ein Mensch
doch solchen Unsinn schreiben und drucken lassen, und wie muß es in dessen Kopf
und Herz aussehen, der solche Geburten seines Geistes mit Wohlgefallen be¬
trachten kann! — Doch wir wollen nicht declamiren. Wer 167 Seiten voll
ekelhafter Wiederholungen gotteslästerlicher Ausdrücke, wo ein Geck um ein
dummes affectirtes Mädchen mit der Vorsicht rechtet, und voll crasser, pöbel¬
hafter Witzes, oder unverständlicher Galimathias, durchlesen kann und mag —
der prüfe selbst. So schreiben heißt Geschmack und gesunde Kritik mit Füßen
treten; und darin hat denn der Verfasser diesmal sich selbst übertroffen. Ans
einigelt Scenen hatte was werden können, aber alles was dieser Verfasser an¬
greift, wird unter seinen Händen zu Schaum und Blase. — Kostet in der Vos¬
sischen Buchhandlung allhier 10 Gr."

Als dies so rund absprechende Urteil auf Widersprüche stieß, hielt Moritz
es für nötig, dasselbe in einem längeren Aufsatz in derselben Zeitung zu recht¬
fertigen, indem er in übertriebener Weise nur die Mängel des Stückes heraushob.
Der Präsident ist ein Ungeheuer, der Geiger ist durchaus ein pöbelhafter, un¬
gezogener Kerl, die Frau des Geigers ist ein äußerst niederträchtiges, pöbel¬
haftes Weib, Luise eine affektirte Zierpuppe, „der Ferdinand ist nun vollends
ein unausstehlicher Mensch, der immer das Maul erschrecklich voll nimmt, und
doch am Ende nur, wie ein Geck handelt." Dies alles wird aufs einseitigste
mit Stellen belegt, um zu dem Schlüsse zu kommen: „Doch bin ich endlich
einmal müde, mehr Unsinn abzuschreiben. Blos der Unwille darüber, daß ein
Mensch das Publieum durch falschen Schimmer blendet, ihm Staub in die Augen
streuet, und auf solche Weise den Beifall zu erschleichen sucht, den sich ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/315>, abgerufen am 22.07.2024.