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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen.

und seinen Geschmack erquicken." Weiterhin heißt es: "Die Räuber sind so
sehr als irgend ein Stück mit Metaphern und Bildern überladen. Es tönt
so viel schwülstiges Zeug, einige mal wahrer Unsinn vor, daß man in den ernst¬
haftesten Scenen sich kaum des Lachens enthalten kann. Oft fällt man auch
auf unverständliche, undeutsche und ganz widersinnige Stellen, ohne an die Platt¬
heiten, an die Hefe des Pöbelhaften, und an das äußerst Abscheuliche, alles gute
Gefühl Empörende, die Sitten und die Menschheit schauderte zu gedenken, das
aus dem Munde der Banditen, dieses räuberischen Lumpengesindels tönt, und
das ich nicht mehr nachlesen mag." Dann folgt eine Zergliederung der ein¬
zelnen Kraftstellen des Stückes nach jener bekannten, bisweilen scherzhaft geübten
Methode, bei der jedes nicht der allerprosaischsten Nüchternheit huldigende Ge¬
dicht sich als Unsinn erweist: ""Meynt ihr, dem Arm des Vcrgclters im öden
Reiche des Nichts zu entlaufen?" Wahrer Nonsens. Im Reiche des Nichts
findet weder ein Entlaufen noch ein rächender Arm statt. Und was ist das
öde Reich des Nichts?" ""Wenn die ganze Hölle bankerot würde." Welcher
Unsinn!" So geht es fort, immer mit den begleitenden Bemerkungen: "Welch
rasender Unsinn!", "das seis' ich bramarbasirt" u. s. w. Aber auch dieser gallige
Rezensent vermag sich dem Eindruck, daß er es hier mit einer außerordentlichen
Erscheinung zu thun habe, nicht ganz zu entziehen. Er sagt: "Wenn die Frage
ist, wie ein Stück, worin so viel Unedles, Ungereimtes, scheußliches ?c. zu¬
sammenfließt, doch manchen Anhänger, warme Vertheidiger, und einen grossen
Zulauf haben konnte: so muß die Unpartheylichkeit und die schärfste Kritik ant¬
worten, daß es immer ein außerordentliches Talent, viel Menschenkenntniß, das
glühendste Gefühl verräth, interessante Scenen, große Züge, erhabne Schön¬
heiten habe. Es sind Perlen im Gassenstaube."

Auf den sittlichen Standpunkt stellen sich noch so manche Besprechungen,
die den verderblichen Einfluß eines Stückes wie die Räuber betonen. Da tauchen
die Erzählungen von Räuberbanden auf, die in verschiedenen Teilen Deutsch¬
lands von Schillerisch schwärmenden Jünglingen gebildet, Berichte über be¬
deutende Diebstähle, die in Leipzig während der ersten Aufführung des Stückes
vollführt worden sein sollen, und selbst der Abb6 Frick, der wegen scheußlicher
Mordthaten 1784 in Strnßburg gerädert wurde und sich in einem Briefe auf
die Lektüre schlechter Bücher bezogen hatte, wird damit in Verbindung gebracht.
Und noch zehn Jahre später schreibt ein Berichterstatter über eine Berliner Vor¬
stellung der Räuber um ein Journal in Weimar: "Daß die Direktion wegen
der gar zu häufigen Krankheiten und Unpäßlichkeiten der Schauspieler in An¬
sehung der aufzuführenden Stücke nicht selten in Verlegenheit gerathen möge,
glauben wir gar gern, aber doch möchte man nach so vielen Zurufungen in
diesen Blättern endlich ein Stück ruhen lassen, welches immer ein gräßliches und
unmoralisches Stück war, das nie auf die Bühne hätte gebracht werden sollen,
und für jetzige Zeiten (Französische Revolution) gar nicht frommt. Die- Vor-


Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen.

und seinen Geschmack erquicken." Weiterhin heißt es: „Die Räuber sind so
sehr als irgend ein Stück mit Metaphern und Bildern überladen. Es tönt
so viel schwülstiges Zeug, einige mal wahrer Unsinn vor, daß man in den ernst¬
haftesten Scenen sich kaum des Lachens enthalten kann. Oft fällt man auch
auf unverständliche, undeutsche und ganz widersinnige Stellen, ohne an die Platt¬
heiten, an die Hefe des Pöbelhaften, und an das äußerst Abscheuliche, alles gute
Gefühl Empörende, die Sitten und die Menschheit schauderte zu gedenken, das
aus dem Munde der Banditen, dieses räuberischen Lumpengesindels tönt, und
das ich nicht mehr nachlesen mag." Dann folgt eine Zergliederung der ein¬
zelnen Kraftstellen des Stückes nach jener bekannten, bisweilen scherzhaft geübten
Methode, bei der jedes nicht der allerprosaischsten Nüchternheit huldigende Ge¬
dicht sich als Unsinn erweist: „»Meynt ihr, dem Arm des Vcrgclters im öden
Reiche des Nichts zu entlaufen?« Wahrer Nonsens. Im Reiche des Nichts
findet weder ein Entlaufen noch ein rächender Arm statt. Und was ist das
öde Reich des Nichts?" „»Wenn die ganze Hölle bankerot würde.« Welcher
Unsinn!" So geht es fort, immer mit den begleitenden Bemerkungen: „Welch
rasender Unsinn!", „das seis' ich bramarbasirt" u. s. w. Aber auch dieser gallige
Rezensent vermag sich dem Eindruck, daß er es hier mit einer außerordentlichen
Erscheinung zu thun habe, nicht ganz zu entziehen. Er sagt: „Wenn die Frage
ist, wie ein Stück, worin so viel Unedles, Ungereimtes, scheußliches ?c. zu¬
sammenfließt, doch manchen Anhänger, warme Vertheidiger, und einen grossen
Zulauf haben konnte: so muß die Unpartheylichkeit und die schärfste Kritik ant¬
worten, daß es immer ein außerordentliches Talent, viel Menschenkenntniß, das
glühendste Gefühl verräth, interessante Scenen, große Züge, erhabne Schön¬
heiten habe. Es sind Perlen im Gassenstaube."

Auf den sittlichen Standpunkt stellen sich noch so manche Besprechungen,
die den verderblichen Einfluß eines Stückes wie die Räuber betonen. Da tauchen
die Erzählungen von Räuberbanden auf, die in verschiedenen Teilen Deutsch¬
lands von Schillerisch schwärmenden Jünglingen gebildet, Berichte über be¬
deutende Diebstähle, die in Leipzig während der ersten Aufführung des Stückes
vollführt worden sein sollen, und selbst der Abb6 Frick, der wegen scheußlicher
Mordthaten 1784 in Strnßburg gerädert wurde und sich in einem Briefe auf
die Lektüre schlechter Bücher bezogen hatte, wird damit in Verbindung gebracht.
Und noch zehn Jahre später schreibt ein Berichterstatter über eine Berliner Vor¬
stellung der Räuber um ein Journal in Weimar: „Daß die Direktion wegen
der gar zu häufigen Krankheiten und Unpäßlichkeiten der Schauspieler in An¬
sehung der aufzuführenden Stücke nicht selten in Verlegenheit gerathen möge,
glauben wir gar gern, aber doch möchte man nach so vielen Zurufungen in
diesen Blättern endlich ein Stück ruhen lassen, welches immer ein gräßliches und
unmoralisches Stück war, das nie auf die Bühne hätte gebracht werden sollen,
und für jetzige Zeiten (Französische Revolution) gar nicht frommt. Die- Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/314>, abgerufen am 22.07.2024.