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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen,

freilich in vielen Stücken theatralischer, als die erste. Doch wird das Schau¬
spiel in der Vorstellung wegen seines empörenden Inhalts nie anhaltenden Beifall
behaupten können. . . Übrigens ist es unleugbar, daß durchweg Spuren eines
vielfassendeu grossen Geistes hervorblicken, da aber diese, wie es am Tage liegt,
auch bei dem meisterhaftesten Vortrage, fast immer größtentheils verloren gehen;
so ist es blos Neuheit und Lnrin, was einem solchen Stück Zuschauer verschaft,
beides kann aber in einem mittelmäßigen Produkt, mit mindern Genie Aufmande
bewirkt werden." In einer ander" Rezension heißt es- "Das ckkleotArs,*) welches
Horaz von allen Werken der Dichtkunst verlangt, hat der Verf. gänzlich ausser
Acht gelassen: die UnWahrscheinlichkeit der Handlung, die schreyende Beleidigung
alles Costnms und die nachläßige Schreibart sind Flecken, die überdem Jedem
auffallen müssen, der nur ein wenig weiß, was zu einem guten Schauspiele ge¬
gehört, . . "Aber das Stück hat doch so sehr gefallen; hat es denn gar kein Ver¬
dienst?" Das Gefallen bewieß nichts; es haben gar manche elende Büchlein
in Teutschland auf einige Zeit Glück gemacht: aber auch nach meinem Gefühl
hat der Verf. der Räuber sehr viel Genie; er faßt sehr glücklich einen Charakter
und weiß- ihn mit Kraft darzustellen, (und diese Eigenschaft mag sein Stück deu
Schauspielern angenehm gemacht haben,) er hat eine hohe auffliegende Ima¬
gination, er hat Witz; er studiere einige Jahre die Menschen, mit denen er lebt,
nicht die Menschen im Shakespear, er studiere die Teutsche Sprache und das
Theater, und dann schreibe er Schauspiele! Wenn sie bei ihrer Erscheinung kein
solches Aufsehn machen, wie die Räuber, so werden sie dafür desto länger ge¬
lesen werden."

Ein durchaus verdammendes Urteil voll sittlicher Entrüstung wurde deu
Rändern von selten des Jcsuiteupaters Klein in Mannheim zu Teil. Nachdem
er ausgeführt, daß Franz Moor kein theatralischer Charakter sei. dn er uur
Verachtung und Abscheu errege, während vergnügende Rührung der Zweck der
Kunst sei, führt er fort: "Was soll ich nun erst von der grüßlichen Räuber-
rotte sagen, die sich hier aufs Theater lagerte, dem Grciuel und Auslade der
Menschheit? Ist es möglich, daß dieß bey einer gesitteten Nation geduldet wird?
Zwar sind nicht alle diese abscheulichen Reden, diese satanischen Gespräche ver¬
worfener entmenschter Geschöpfe, die das Werk selbst enthält, auf unsre Bühne
gebracht worden: aber immer genug, um jedem Wohlgczvgeuen einen Ekel vor
einer Scene zu wecken, die sich solcher Vorstellungen nicht scheuet. Die keuschen
Musen wandten in diesen Augenblicken ihr Angesicht von unsrer Schaubühne
weg. Es ist zu sehr über alle Maaßen verabscheuungswürdig; als daß ich die
Beyspiele anführen mag. Wer lieber Mistsümpfe als die edlen Grazien sieht,
lieber das natürliche Schweinegrunzen als Apolls Leyer hört, der mag die Scene,
wo einer der Kerle vom Galgen kömmt, und andre dergleichen selbst nachlesen



So muß man statt des gebotenen äsel^t-u-s (I) lesen.
Grenzboten III. 1882. 39
Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen,

freilich in vielen Stücken theatralischer, als die erste. Doch wird das Schau¬
spiel in der Vorstellung wegen seines empörenden Inhalts nie anhaltenden Beifall
behaupten können. . . Übrigens ist es unleugbar, daß durchweg Spuren eines
vielfassendeu grossen Geistes hervorblicken, da aber diese, wie es am Tage liegt,
auch bei dem meisterhaftesten Vortrage, fast immer größtentheils verloren gehen;
so ist es blos Neuheit und Lnrin, was einem solchen Stück Zuschauer verschaft,
beides kann aber in einem mittelmäßigen Produkt, mit mindern Genie Aufmande
bewirkt werden." In einer ander» Rezension heißt es- „Das ckkleotArs,*) welches
Horaz von allen Werken der Dichtkunst verlangt, hat der Verf. gänzlich ausser
Acht gelassen: die UnWahrscheinlichkeit der Handlung, die schreyende Beleidigung
alles Costnms und die nachläßige Schreibart sind Flecken, die überdem Jedem
auffallen müssen, der nur ein wenig weiß, was zu einem guten Schauspiele ge¬
gehört, . . »Aber das Stück hat doch so sehr gefallen; hat es denn gar kein Ver¬
dienst?« Das Gefallen bewieß nichts; es haben gar manche elende Büchlein
in Teutschland auf einige Zeit Glück gemacht: aber auch nach meinem Gefühl
hat der Verf. der Räuber sehr viel Genie; er faßt sehr glücklich einen Charakter
und weiß- ihn mit Kraft darzustellen, (und diese Eigenschaft mag sein Stück deu
Schauspielern angenehm gemacht haben,) er hat eine hohe auffliegende Ima¬
gination, er hat Witz; er studiere einige Jahre die Menschen, mit denen er lebt,
nicht die Menschen im Shakespear, er studiere die Teutsche Sprache und das
Theater, und dann schreibe er Schauspiele! Wenn sie bei ihrer Erscheinung kein
solches Aufsehn machen, wie die Räuber, so werden sie dafür desto länger ge¬
lesen werden."

Ein durchaus verdammendes Urteil voll sittlicher Entrüstung wurde deu
Rändern von selten des Jcsuiteupaters Klein in Mannheim zu Teil. Nachdem
er ausgeführt, daß Franz Moor kein theatralischer Charakter sei. dn er uur
Verachtung und Abscheu errege, während vergnügende Rührung der Zweck der
Kunst sei, führt er fort: „Was soll ich nun erst von der grüßlichen Räuber-
rotte sagen, die sich hier aufs Theater lagerte, dem Grciuel und Auslade der
Menschheit? Ist es möglich, daß dieß bey einer gesitteten Nation geduldet wird?
Zwar sind nicht alle diese abscheulichen Reden, diese satanischen Gespräche ver¬
worfener entmenschter Geschöpfe, die das Werk selbst enthält, auf unsre Bühne
gebracht worden: aber immer genug, um jedem Wohlgczvgeuen einen Ekel vor
einer Scene zu wecken, die sich solcher Vorstellungen nicht scheuet. Die keuschen
Musen wandten in diesen Augenblicken ihr Angesicht von unsrer Schaubühne
weg. Es ist zu sehr über alle Maaßen verabscheuungswürdig; als daß ich die
Beyspiele anführen mag. Wer lieber Mistsümpfe als die edlen Grazien sieht,
lieber das natürliche Schweinegrunzen als Apolls Leyer hört, der mag die Scene,
wo einer der Kerle vom Galgen kömmt, und andre dergleichen selbst nachlesen



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[0313] Der junge Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen, freilich in vielen Stücken theatralischer, als die erste. Doch wird das Schau¬ spiel in der Vorstellung wegen seines empörenden Inhalts nie anhaltenden Beifall behaupten können. . . Übrigens ist es unleugbar, daß durchweg Spuren eines vielfassendeu grossen Geistes hervorblicken, da aber diese, wie es am Tage liegt, auch bei dem meisterhaftesten Vortrage, fast immer größtentheils verloren gehen; so ist es blos Neuheit und Lnrin, was einem solchen Stück Zuschauer verschaft, beides kann aber in einem mittelmäßigen Produkt, mit mindern Genie Aufmande bewirkt werden." In einer ander» Rezension heißt es- „Das ckkleotArs,*) welches Horaz von allen Werken der Dichtkunst verlangt, hat der Verf. gänzlich ausser Acht gelassen: die UnWahrscheinlichkeit der Handlung, die schreyende Beleidigung alles Costnms und die nachläßige Schreibart sind Flecken, die überdem Jedem auffallen müssen, der nur ein wenig weiß, was zu einem guten Schauspiele ge¬ gehört, . . »Aber das Stück hat doch so sehr gefallen; hat es denn gar kein Ver¬ dienst?« Das Gefallen bewieß nichts; es haben gar manche elende Büchlein in Teutschland auf einige Zeit Glück gemacht: aber auch nach meinem Gefühl hat der Verf. der Räuber sehr viel Genie; er faßt sehr glücklich einen Charakter und weiß- ihn mit Kraft darzustellen, (und diese Eigenschaft mag sein Stück deu Schauspielern angenehm gemacht haben,) er hat eine hohe auffliegende Ima¬ gination, er hat Witz; er studiere einige Jahre die Menschen, mit denen er lebt, nicht die Menschen im Shakespear, er studiere die Teutsche Sprache und das Theater, und dann schreibe er Schauspiele! Wenn sie bei ihrer Erscheinung kein solches Aufsehn machen, wie die Räuber, so werden sie dafür desto länger ge¬ lesen werden." Ein durchaus verdammendes Urteil voll sittlicher Entrüstung wurde deu Rändern von selten des Jcsuiteupaters Klein in Mannheim zu Teil. Nachdem er ausgeführt, daß Franz Moor kein theatralischer Charakter sei. dn er uur Verachtung und Abscheu errege, während vergnügende Rührung der Zweck der Kunst sei, führt er fort: „Was soll ich nun erst von der grüßlichen Räuber- rotte sagen, die sich hier aufs Theater lagerte, dem Grciuel und Auslade der Menschheit? Ist es möglich, daß dieß bey einer gesitteten Nation geduldet wird? Zwar sind nicht alle diese abscheulichen Reden, diese satanischen Gespräche ver¬ worfener entmenschter Geschöpfe, die das Werk selbst enthält, auf unsre Bühne gebracht worden: aber immer genug, um jedem Wohlgczvgeuen einen Ekel vor einer Scene zu wecken, die sich solcher Vorstellungen nicht scheuet. Die keuschen Musen wandten in diesen Augenblicken ihr Angesicht von unsrer Schaubühne weg. Es ist zu sehr über alle Maaßen verabscheuungswürdig; als daß ich die Beyspiele anführen mag. Wer lieber Mistsümpfe als die edlen Grazien sieht, lieber das natürliche Schweinegrunzen als Apolls Leyer hört, der mag die Scene, wo einer der Kerle vom Galgen kömmt, und andre dergleichen selbst nachlesen So muß man statt des gebotenen äsel^t-u-s (I) lesen. Grenzboten III. 1882. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/313>, abgerufen am 22.07.2024.