Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

den Kehren, Ouvres Vater, wiederfindet, wenn er gar, höchst gesucht, den Krieg
zwischen Holder nud Balder als Spiegelbild des -- trojanischen Krieges be¬
trachtet. In Nanna soll überdies auch ein Stückchen Helena stecken, und an
Balders Wesen soll auch Patroklus einen Anteil haben. Jeder beliebige antike
Mythus kann nach Bugge Teile oder Teilchen an jeden beliebigen nordischen
abgegeben haben, und die verschiedensten griechischen Helden können in einem
nordischen vereinigt sein. An schlagenden unmittelbar beweisenden Überein¬
stimmungen fehlt es aber durchaus, daher soll es die Masse bringen, und so
häuft er denn Stelle auf Stelle, wobei der Leser auf die härteste Geduldsprobe
gestellt wird. Freilich darf nicht unerwähnt bleiben, daß, wie sich bei einem
Gelehrten von Bngges Rufe nicht anders erwarten läßt, in Anmerkungen und
Exkursen eine beträchtliche Menge von Bevlmchtungen mitgeteilt werden, welche
das Studium seiner, Untersuchungen dem Fachgelehrten unentbehrlich machen
und thuen dauernden Wert sichern.

Einen Irrtum, in dem Bugge befangen ist, muß ich zum Schluß uoch be¬
richtigen. Er ist der Ansicht, daß der gesammte Baldrmythus in beideu
Überlieferungen durchweg von außen her gekommen sei, und daß die heidnischen
Germanen vor dem neunten Jahrhundert einen Gott Baldr überhaupt nicht
gekannt hätten. Man hat bisher angenommen, daß Baldr durch den berühmten
althochdeutscher Zauberspruch, der, 1841 in Merseburg gefunden, noch aus
heidnischer Zeit stammt, auch für Deutschland nachgewiesen sei. Der Spruch
lautet folgendermaßen:


Pfvl und Wotan fuhren zu Holze,
Da ward dem Baldcrs Fohlen sein Fuß verrenkt.
Da besprachen es Sindgunt und Sonn", ihre Schwester;
Da bespräche" es Freie- und Fvlla, ihre Schwester;
Da besprach es Wotan, der es gut verstand.
Sei es Beinverrenkuug, sei es Blutverrenkung, sei es Gliederverrenkuug:
Bein zu Beine, Blut zu Blute,
Glied zu Gliedern, als ob sie geleimt seien!

Um dieses unbequeme Zeugnis für Balder ans dein Wege zu schaffen, hat Bngge
eine scharfsinnige Erklärung ersonnen. Indem er sich darauf bezieht, daß in
der altenglischen Sprache das Wort >>->>'!<!,' auch als Appellativ im Sinne von
Heer vorkommt, setzt er diesen Gebrauch auch für das althochdeutsche voraus;
er übersetzt also truü; cloinini v<mut"zö i"ZL eontorws <Z8t und bezieht äoiniiu
auf Wotan. Den Psvl aber nimmt er sür eine dem Wotan feindliche Gottheit,
welche die Beinverrenkung des Rosses herbeigeführt habe. Sehr fein, wie nicht
zu leugnen ist, aber dennoch unhaltbar. Denn abgesehen davon, daß ein Appel¬
lativ b^läer im althochdeutscher nicht nachweisbar ist, so kann dieses auch im
angelsächsischen nichts anderes sein als der zu einem Appellativ gewordene Name
des Gottes, wie ähnlich im althochdeutscher ^ot-W im Sinne von t^r-turn8 vor¬
kommt, und ferner ist 1'a.ltÄr als Personenname im neunten Jahrhundert in


den Kehren, Ouvres Vater, wiederfindet, wenn er gar, höchst gesucht, den Krieg
zwischen Holder nud Balder als Spiegelbild des — trojanischen Krieges be¬
trachtet. In Nanna soll überdies auch ein Stückchen Helena stecken, und an
Balders Wesen soll auch Patroklus einen Anteil haben. Jeder beliebige antike
Mythus kann nach Bugge Teile oder Teilchen an jeden beliebigen nordischen
abgegeben haben, und die verschiedensten griechischen Helden können in einem
nordischen vereinigt sein. An schlagenden unmittelbar beweisenden Überein¬
stimmungen fehlt es aber durchaus, daher soll es die Masse bringen, und so
häuft er denn Stelle auf Stelle, wobei der Leser auf die härteste Geduldsprobe
gestellt wird. Freilich darf nicht unerwähnt bleiben, daß, wie sich bei einem
Gelehrten von Bngges Rufe nicht anders erwarten läßt, in Anmerkungen und
Exkursen eine beträchtliche Menge von Bevlmchtungen mitgeteilt werden, welche
das Studium seiner, Untersuchungen dem Fachgelehrten unentbehrlich machen
und thuen dauernden Wert sichern.

Einen Irrtum, in dem Bugge befangen ist, muß ich zum Schluß uoch be¬
richtigen. Er ist der Ansicht, daß der gesammte Baldrmythus in beideu
Überlieferungen durchweg von außen her gekommen sei, und daß die heidnischen
Germanen vor dem neunten Jahrhundert einen Gott Baldr überhaupt nicht
gekannt hätten. Man hat bisher angenommen, daß Baldr durch den berühmten
althochdeutscher Zauberspruch, der, 1841 in Merseburg gefunden, noch aus
heidnischer Zeit stammt, auch für Deutschland nachgewiesen sei. Der Spruch
lautet folgendermaßen:


Pfvl und Wotan fuhren zu Holze,
Da ward dem Baldcrs Fohlen sein Fuß verrenkt.
Da besprachen es Sindgunt und Sonn«, ihre Schwester;
Da bespräche« es Freie- und Fvlla, ihre Schwester;
Da besprach es Wotan, der es gut verstand.
Sei es Beinverrenkuug, sei es Blutverrenkung, sei es Gliederverrenkuug:
Bein zu Beine, Blut zu Blute,
Glied zu Gliedern, als ob sie geleimt seien!

Um dieses unbequeme Zeugnis für Balder ans dein Wege zu schaffen, hat Bngge
eine scharfsinnige Erklärung ersonnen. Indem er sich darauf bezieht, daß in
der altenglischen Sprache das Wort >>->>'!<!,' auch als Appellativ im Sinne von
Heer vorkommt, setzt er diesen Gebrauch auch für das althochdeutsche voraus;
er übersetzt also truü; cloinini v<mut«zö i«ZL eontorws <Z8t und bezieht äoiniiu
auf Wotan. Den Psvl aber nimmt er sür eine dem Wotan feindliche Gottheit,
welche die Beinverrenkung des Rosses herbeigeführt habe. Sehr fein, wie nicht
zu leugnen ist, aber dennoch unhaltbar. Denn abgesehen davon, daß ein Appel¬
lativ b^läer im althochdeutscher nicht nachweisbar ist, so kann dieses auch im
angelsächsischen nichts anderes sein als der zu einem Appellativ gewordene Name
des Gottes, wie ähnlich im althochdeutscher ^ot-W im Sinne von t^r-turn8 vor¬
kommt, und ferner ist 1'a.ltÄr als Personenname im neunten Jahrhundert in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193651"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1023" prev="#ID_1022"> den Kehren, Ouvres Vater, wiederfindet, wenn er gar, höchst gesucht, den Krieg<lb/>
zwischen Holder nud Balder als Spiegelbild des &#x2014; trojanischen Krieges be¬<lb/>
trachtet. In Nanna soll überdies auch ein Stückchen Helena stecken, und an<lb/>
Balders Wesen soll auch Patroklus einen Anteil haben. Jeder beliebige antike<lb/>
Mythus kann nach Bugge Teile oder Teilchen an jeden beliebigen nordischen<lb/>
abgegeben haben, und die verschiedensten griechischen Helden können in einem<lb/>
nordischen vereinigt sein. An schlagenden unmittelbar beweisenden Überein¬<lb/>
stimmungen fehlt es aber durchaus, daher soll es die Masse bringen, und so<lb/>
häuft er denn Stelle auf Stelle, wobei der Leser auf die härteste Geduldsprobe<lb/>
gestellt wird. Freilich darf nicht unerwähnt bleiben, daß, wie sich bei einem<lb/>
Gelehrten von Bngges Rufe nicht anders erwarten läßt, in Anmerkungen und<lb/>
Exkursen eine beträchtliche Menge von Bevlmchtungen mitgeteilt werden, welche<lb/>
das Studium seiner, Untersuchungen dem Fachgelehrten unentbehrlich machen<lb/>
und thuen dauernden Wert sichern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Einen Irrtum, in dem Bugge befangen ist, muß ich zum Schluß uoch be¬<lb/>
richtigen. Er ist der Ansicht, daß der gesammte Baldrmythus in beideu<lb/>
Überlieferungen durchweg von außen her gekommen sei, und daß die heidnischen<lb/>
Germanen vor dem neunten Jahrhundert einen Gott Baldr überhaupt nicht<lb/>
gekannt hätten. Man hat bisher angenommen, daß Baldr durch den berühmten<lb/>
althochdeutscher Zauberspruch, der, 1841 in Merseburg gefunden, noch aus<lb/>
heidnischer Zeit stammt, auch für Deutschland nachgewiesen sei. Der Spruch<lb/>
lautet folgendermaßen:</p><lb/>
          <quote> Pfvl und Wotan fuhren zu Holze,<lb/>
Da ward dem Baldcrs Fohlen sein Fuß verrenkt.<lb/>
Da besprachen es Sindgunt und Sonn«, ihre Schwester;<lb/>
Da bespräche« es Freie- und Fvlla, ihre Schwester;<lb/>
Da besprach es Wotan, der es gut verstand.<lb/>
Sei es Beinverrenkuug, sei es Blutverrenkung, sei es Gliederverrenkuug:<lb/>
Bein zu Beine, Blut zu Blute,<lb/>
Glied zu Gliedern, als ob sie geleimt seien!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1025" prev="#ID_1024" next="#ID_1026"> Um dieses unbequeme Zeugnis für Balder ans dein Wege zu schaffen, hat Bngge<lb/>
eine scharfsinnige Erklärung ersonnen. Indem er sich darauf bezieht, daß in<lb/>
der altenglischen Sprache das Wort &gt;&gt;-&gt;&gt;'!&lt;!,' auch als Appellativ im Sinne von<lb/>
Heer vorkommt, setzt er diesen Gebrauch auch für das althochdeutsche voraus;<lb/>
er übersetzt also truü; cloinini v&lt;mut«zö i«ZL eontorws &lt;Z8t und bezieht äoiniiu<lb/>
auf Wotan. Den Psvl aber nimmt er sür eine dem Wotan feindliche Gottheit,<lb/>
welche die Beinverrenkung des Rosses herbeigeführt habe. Sehr fein, wie nicht<lb/>
zu leugnen ist, aber dennoch unhaltbar. Denn abgesehen davon, daß ein Appel¬<lb/>
lativ b^läer im althochdeutscher nicht nachweisbar ist, so kann dieses auch im<lb/>
angelsächsischen nichts anderes sein als der zu einem Appellativ gewordene Name<lb/>
des Gottes, wie ähnlich im althochdeutscher ^ot-W im Sinne von t^r-turn8 vor¬<lb/>
kommt, und ferner ist 1'a.ltÄr als Personenname im neunten Jahrhundert in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] den Kehren, Ouvres Vater, wiederfindet, wenn er gar, höchst gesucht, den Krieg zwischen Holder nud Balder als Spiegelbild des — trojanischen Krieges be¬ trachtet. In Nanna soll überdies auch ein Stückchen Helena stecken, und an Balders Wesen soll auch Patroklus einen Anteil haben. Jeder beliebige antike Mythus kann nach Bugge Teile oder Teilchen an jeden beliebigen nordischen abgegeben haben, und die verschiedensten griechischen Helden können in einem nordischen vereinigt sein. An schlagenden unmittelbar beweisenden Überein¬ stimmungen fehlt es aber durchaus, daher soll es die Masse bringen, und so häuft er denn Stelle auf Stelle, wobei der Leser auf die härteste Geduldsprobe gestellt wird. Freilich darf nicht unerwähnt bleiben, daß, wie sich bei einem Gelehrten von Bngges Rufe nicht anders erwarten läßt, in Anmerkungen und Exkursen eine beträchtliche Menge von Bevlmchtungen mitgeteilt werden, welche das Studium seiner, Untersuchungen dem Fachgelehrten unentbehrlich machen und thuen dauernden Wert sichern. Einen Irrtum, in dem Bugge befangen ist, muß ich zum Schluß uoch be¬ richtigen. Er ist der Ansicht, daß der gesammte Baldrmythus in beideu Überlieferungen durchweg von außen her gekommen sei, und daß die heidnischen Germanen vor dem neunten Jahrhundert einen Gott Baldr überhaupt nicht gekannt hätten. Man hat bisher angenommen, daß Baldr durch den berühmten althochdeutscher Zauberspruch, der, 1841 in Merseburg gefunden, noch aus heidnischer Zeit stammt, auch für Deutschland nachgewiesen sei. Der Spruch lautet folgendermaßen: Pfvl und Wotan fuhren zu Holze, Da ward dem Baldcrs Fohlen sein Fuß verrenkt. Da besprachen es Sindgunt und Sonn«, ihre Schwester; Da bespräche« es Freie- und Fvlla, ihre Schwester; Da besprach es Wotan, der es gut verstand. Sei es Beinverrenkuug, sei es Blutverrenkung, sei es Gliederverrenkuug: Bein zu Beine, Blut zu Blute, Glied zu Gliedern, als ob sie geleimt seien! Um dieses unbequeme Zeugnis für Balder ans dein Wege zu schaffen, hat Bngge eine scharfsinnige Erklärung ersonnen. Indem er sich darauf bezieht, daß in der altenglischen Sprache das Wort >>->>'!<!,' auch als Appellativ im Sinne von Heer vorkommt, setzt er diesen Gebrauch auch für das althochdeutsche voraus; er übersetzt also truü; cloinini v<mut«zö i«ZL eontorws <Z8t und bezieht äoiniiu auf Wotan. Den Psvl aber nimmt er sür eine dem Wotan feindliche Gottheit, welche die Beinverrenkung des Rosses herbeigeführt habe. Sehr fein, wie nicht zu leugnen ist, aber dennoch unhaltbar. Denn abgesehen davon, daß ein Appel¬ lativ b^läer im althochdeutscher nicht nachweisbar ist, so kann dieses auch im angelsächsischen nichts anderes sein als der zu einem Appellativ gewordene Name des Gottes, wie ähnlich im althochdeutscher ^ot-W im Sinne von t^r-turn8 vor¬ kommt, und ferner ist 1'a.ltÄr als Personenname im neunten Jahrhundert in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/310>, abgerufen am 22.07.2024.