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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

selbigen herbringen. Da lief Judas hin und brachte den Kohlstengel und sie senkten
Jesum daran." Eine Beziehung dieser Stelle zu dein isländischen Baldrinythns
muß vorhanden sein, weil so frappante Ähnlichkeiten nicht zufällig sein können; es
fragt sich nur, ob nicht vielleicht die jüdische Schrift ans dem nordischen Mythus
geschöpft haben könne. Dies zu untersuchen ist hier nicht der Ort.

Auch die Mitwirkung- Lolis bei Baldrs Ermordung mag wenigstens in
der Form, wie sie in den Ebben vorliegt, auf die christliche Vorstellung vom
Teufel zurückgehen, der die Herzen der Menschen, in dein vorliegenden Falle
das des Judas, zum bösen antreibt. Doch kann ich Bugge nicht zugeben,
daß Loki seinem Namen und gesammten Wesen nach der mittelalterliche Teufel
Lucifer sei, wenn er much einzelne Züge von diesen: erborgt haben mag. In
der uralte" Götterdreiheit Odin, Loki, Hönir, worin Luft, Feuer, Wusser ver¬
körpert sind, hängt er mit dem gesammten System des germanischen Glaubens
so eng zusammen, daß man das Ganze zerreißt, wenn man ihn herauslösen
will. Sein Name steht, wie Grimm erkannt hat, in Beziehung zu dem Wort
Lohe, denn das Feuer ist sein Element, und wie dieses, ist er heimtückischer
Art; aber sein Verhältnis zum Menschengeschlecht und zu den übrigen Gott¬
heiten ist durchaus nicht bloß ein feindliches, wie das des Teufels.

Ob auf der eddischen Schilderung der strahlenden Schönheit BaldrS ein
Wiederschein von Christus ruhe, wie Bugge will, lasse ich dahingestellt, weil
Buttr offenbar Gottheit des Lichtes war und auf eine solche die ihm in der
Edda erteilten Attribute an und für sich passen würden. Sicher falsch ist, wie
aus dem voranstellenden hervorgeht, daß der Mistelzweig auf Longinus' Lanze
zurückgehe, aber die Kurzweil, welche die Götter mit Baldr treiben, kann viel¬
leicht ihren Ursprung in einer christlichen Legende haben, worin erzählt wird,
daß die Männer am Kreuz auf Christus stachen und schlugen und mit Pfeilen
auf ihn schössen. Daß alle Kreatur über Baldrs Tod weint, scheint ebenfalls
in einer christlichen Legende wiederzukehren, die schon im neunten Jahrhundert
in angelsächsischen Gedichten benutzt ist.

In der Hauptsache hat also Bugge seinen Beweis mit Glück geführt. Der
Baldrinythns, wie er in der Edda vorliegt, ist in der That dnrch das Christen¬
tum beeinflußt. Die Möglichkeit, dieses zu erkennen, ist uns aber, wie ich noch¬
mals hervorheben will, nur dadurch gegeben, daß eine ältere Überlieferung dieses
Mythus vorhanden ist.

Ich sagte schon, daß mir eine Einwirkung antiker Sagen auf nordische
Mythen in jeder Hinsicht unglaublich vorkomme. Es ist daher meiner Ansicht
nach vergebliche Mühe, wenn Bugge mit bedeutendem Aufwand von Gelehrsam¬
keit und Fleiß den Baldrinythns bei Saxo auf die Sagen von Paris (--- Holder)
und Achilles Balder) zurückführen will, wobei er die drei weisen Frauen
im Walde den drei Göttinnen auf dem Jdagebirge gleichsetzt; wenn er in der
Nanna die Önone, die erste Gattin des Paris, und in deren Vater Gevarus


Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

selbigen herbringen. Da lief Judas hin und brachte den Kohlstengel und sie senkten
Jesum daran." Eine Beziehung dieser Stelle zu dein isländischen Baldrinythns
muß vorhanden sein, weil so frappante Ähnlichkeiten nicht zufällig sein können; es
fragt sich nur, ob nicht vielleicht die jüdische Schrift ans dem nordischen Mythus
geschöpft haben könne. Dies zu untersuchen ist hier nicht der Ort.

Auch die Mitwirkung- Lolis bei Baldrs Ermordung mag wenigstens in
der Form, wie sie in den Ebben vorliegt, auf die christliche Vorstellung vom
Teufel zurückgehen, der die Herzen der Menschen, in dein vorliegenden Falle
das des Judas, zum bösen antreibt. Doch kann ich Bugge nicht zugeben,
daß Loki seinem Namen und gesammten Wesen nach der mittelalterliche Teufel
Lucifer sei, wenn er much einzelne Züge von diesen: erborgt haben mag. In
der uralte» Götterdreiheit Odin, Loki, Hönir, worin Luft, Feuer, Wusser ver¬
körpert sind, hängt er mit dem gesammten System des germanischen Glaubens
so eng zusammen, daß man das Ganze zerreißt, wenn man ihn herauslösen
will. Sein Name steht, wie Grimm erkannt hat, in Beziehung zu dem Wort
Lohe, denn das Feuer ist sein Element, und wie dieses, ist er heimtückischer
Art; aber sein Verhältnis zum Menschengeschlecht und zu den übrigen Gott¬
heiten ist durchaus nicht bloß ein feindliches, wie das des Teufels.

Ob auf der eddischen Schilderung der strahlenden Schönheit BaldrS ein
Wiederschein von Christus ruhe, wie Bugge will, lasse ich dahingestellt, weil
Buttr offenbar Gottheit des Lichtes war und auf eine solche die ihm in der
Edda erteilten Attribute an und für sich passen würden. Sicher falsch ist, wie
aus dem voranstellenden hervorgeht, daß der Mistelzweig auf Longinus' Lanze
zurückgehe, aber die Kurzweil, welche die Götter mit Baldr treiben, kann viel¬
leicht ihren Ursprung in einer christlichen Legende haben, worin erzählt wird,
daß die Männer am Kreuz auf Christus stachen und schlugen und mit Pfeilen
auf ihn schössen. Daß alle Kreatur über Baldrs Tod weint, scheint ebenfalls
in einer christlichen Legende wiederzukehren, die schon im neunten Jahrhundert
in angelsächsischen Gedichten benutzt ist.

In der Hauptsache hat also Bugge seinen Beweis mit Glück geführt. Der
Baldrinythns, wie er in der Edda vorliegt, ist in der That dnrch das Christen¬
tum beeinflußt. Die Möglichkeit, dieses zu erkennen, ist uns aber, wie ich noch¬
mals hervorheben will, nur dadurch gegeben, daß eine ältere Überlieferung dieses
Mythus vorhanden ist.

Ich sagte schon, daß mir eine Einwirkung antiker Sagen auf nordische
Mythen in jeder Hinsicht unglaublich vorkomme. Es ist daher meiner Ansicht
nach vergebliche Mühe, wenn Bugge mit bedeutendem Aufwand von Gelehrsam¬
keit und Fleiß den Baldrinythns bei Saxo auf die Sagen von Paris (--- Holder)
und Achilles Balder) zurückführen will, wobei er die drei weisen Frauen
im Walde den drei Göttinnen auf dem Jdagebirge gleichsetzt; wenn er in der
Nanna die Önone, die erste Gattin des Paris, und in deren Vater Gevarus


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[0309] Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage. selbigen herbringen. Da lief Judas hin und brachte den Kohlstengel und sie senkten Jesum daran." Eine Beziehung dieser Stelle zu dein isländischen Baldrinythns muß vorhanden sein, weil so frappante Ähnlichkeiten nicht zufällig sein können; es fragt sich nur, ob nicht vielleicht die jüdische Schrift ans dem nordischen Mythus geschöpft haben könne. Dies zu untersuchen ist hier nicht der Ort. Auch die Mitwirkung- Lolis bei Baldrs Ermordung mag wenigstens in der Form, wie sie in den Ebben vorliegt, auf die christliche Vorstellung vom Teufel zurückgehen, der die Herzen der Menschen, in dein vorliegenden Falle das des Judas, zum bösen antreibt. Doch kann ich Bugge nicht zugeben, daß Loki seinem Namen und gesammten Wesen nach der mittelalterliche Teufel Lucifer sei, wenn er much einzelne Züge von diesen: erborgt haben mag. In der uralte» Götterdreiheit Odin, Loki, Hönir, worin Luft, Feuer, Wusser ver¬ körpert sind, hängt er mit dem gesammten System des germanischen Glaubens so eng zusammen, daß man das Ganze zerreißt, wenn man ihn herauslösen will. Sein Name steht, wie Grimm erkannt hat, in Beziehung zu dem Wort Lohe, denn das Feuer ist sein Element, und wie dieses, ist er heimtückischer Art; aber sein Verhältnis zum Menschengeschlecht und zu den übrigen Gott¬ heiten ist durchaus nicht bloß ein feindliches, wie das des Teufels. Ob auf der eddischen Schilderung der strahlenden Schönheit BaldrS ein Wiederschein von Christus ruhe, wie Bugge will, lasse ich dahingestellt, weil Buttr offenbar Gottheit des Lichtes war und auf eine solche die ihm in der Edda erteilten Attribute an und für sich passen würden. Sicher falsch ist, wie aus dem voranstellenden hervorgeht, daß der Mistelzweig auf Longinus' Lanze zurückgehe, aber die Kurzweil, welche die Götter mit Baldr treiben, kann viel¬ leicht ihren Ursprung in einer christlichen Legende haben, worin erzählt wird, daß die Männer am Kreuz auf Christus stachen und schlugen und mit Pfeilen auf ihn schössen. Daß alle Kreatur über Baldrs Tod weint, scheint ebenfalls in einer christlichen Legende wiederzukehren, die schon im neunten Jahrhundert in angelsächsischen Gedichten benutzt ist. In der Hauptsache hat also Bugge seinen Beweis mit Glück geführt. Der Baldrinythns, wie er in der Edda vorliegt, ist in der That dnrch das Christen¬ tum beeinflußt. Die Möglichkeit, dieses zu erkennen, ist uns aber, wie ich noch¬ mals hervorheben will, nur dadurch gegeben, daß eine ältere Überlieferung dieses Mythus vorhanden ist. Ich sagte schon, daß mir eine Einwirkung antiker Sagen auf nordische Mythen in jeder Hinsicht unglaublich vorkomme. Es ist daher meiner Ansicht nach vergebliche Mühe, wenn Bugge mit bedeutendem Aufwand von Gelehrsam¬ keit und Fleiß den Baldrinythns bei Saxo auf die Sagen von Paris (--- Holder) und Achilles Balder) zurückführen will, wobei er die drei weisen Frauen im Walde den drei Göttinnen auf dem Jdagebirge gleichsetzt; wenn er in der Nanna die Önone, die erste Gattin des Paris, und in deren Vater Gevarus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/309>, abgerufen am 22.07.2024.