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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

zweiten Teil der Kudrun, wo die Entführung einen ähnliche" Kampf zur Folge
hat, fällt Hetel in der That.) Das Zauberschwert ist, wie man sieht, dasselbe,
welches Saxo dem Holder beilegt, es ist also in der Sage alt und ursprünglich.
Alt ist auch, daß Odhin und Thor auf Seite Balders kämpfen, denn ihnen ent¬
sprechen aufs deutlichste in der Kndrnn Frnote und Wate, und wie dort Thor
dem Holder die Keule zerschlägt, so kommt eines hier ein Eiuzelkampf Wales
mit Hagen vor, worin dem letztern sein Ger zerbrochen wird. Die wiederholten
Schlachten sind ebenfalls alt, denn die zauberkuudige Hilde (eine Walküre, iden¬
tisch mit deu weisen Frauen bei Saxo) weckt, wie sie weiter erzählt, die Toten
immer wieder ans, und das währt so fort bis zur Götterdämmerung.

Es ergiebt sich also, daß die Erzählung des Saxo in der Hauptsache der
Überlieferung treu folgt. Vergleicht man nun seine Darstellung des Balder-
mythus mit jener oben aufgehobenen der prosaischen Edda, so fällt vor allem
eine durchgreifende Verschiedenheit beider Quellen in Bezug auf die Charakte¬
ristik des Hödr auf. Dieser ist hier ein entschlossener, starker und mutiger Held,
dort steht er unselbständig außerhalb des Kreises der Götter und muß, da er
blind ist, sich von Loki die Hand führen lassen, um das Ziel zu treffen. Woher
die Umgestaltung, die der Mythus in der Edda offenbar erlitten hat?

Darauf erteilt nun Bugge eine Antwort, gegen welche man kaum irgend
etwas triftiges wird einwenden können: Weil die heidnischen Nordleute in dein
schuldlosen, reinen Lichtgott Baldr, der nach der Edda so schön von Antlitz und
so glänzend ist, daß ein Schein von ihm ausgeht, der der weißeste (oder weiseste),
beredteste und mildeste von allen Asen ist, dessen Urteil niemand schelten kann --
weil die Nordleute in Baldr eiuen Wiederschein von Christus fanden und ihn
mit diesem verglichen, so gestalteten sie auch BaldrS Feind Hödr unes der christ¬
lichen Legende um und verliehen ihm Züge von dem blinden Longinus, dem
die Kriegsknechte, als er bei dem Gekreuzigten vorüber kommt, eine Lanze in
die Hand geben, womit er Christi Herz durchbohrt, nachdem sie ihm gezeigt
haben, in welcher Richtung er stoßen soll. -

Ferner fehlt bei Saxo die Vereidigung aller Wesen, den Baldr nicht zu
versehren. Diese würde man ihres gesammten Charakters wegen für altheidnisch
halten können, wenn nicht folgende merkwürdige Stelle in der jüdischen Schmähschrift
^olvclütn ^ksoliu (die allerdings jünger ist als die Überlieferung der Eddamhthen)
vorkäme: "Als nun die Weisen befohlen hatte", daß man den gesteinigten Jesus
an das Holz henken sollte, und das Holz ihn nicht tragen wollte, sondern unter
ihm zerbrach, sahen es seine Jünger, weineten und sprachen: Sehet die Ge¬
rechtigkeit unsers Herrn Jesu, daß ihn kein Holz tragen will; sie wußten aber
nicht, daß er alles Holz vereidigt hatte, mis er deu Namen noch in Händen
hatte----Judas aber sprach: Betrachtet die Arglistigkeit des Gemüts dieses -- --
denn er hatte alles Holz in Eid genommen, daß es ihn nicht tragen sollte;
siehe, es ist in meinem Garten ein großer Kohlstengel, ich will hingehen und


Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

zweiten Teil der Kudrun, wo die Entführung einen ähnliche» Kampf zur Folge
hat, fällt Hetel in der That.) Das Zauberschwert ist, wie man sieht, dasselbe,
welches Saxo dem Holder beilegt, es ist also in der Sage alt und ursprünglich.
Alt ist auch, daß Odhin und Thor auf Seite Balders kämpfen, denn ihnen ent¬
sprechen aufs deutlichste in der Kndrnn Frnote und Wate, und wie dort Thor
dem Holder die Keule zerschlägt, so kommt eines hier ein Eiuzelkampf Wales
mit Hagen vor, worin dem letztern sein Ger zerbrochen wird. Die wiederholten
Schlachten sind ebenfalls alt, denn die zauberkuudige Hilde (eine Walküre, iden¬
tisch mit deu weisen Frauen bei Saxo) weckt, wie sie weiter erzählt, die Toten
immer wieder ans, und das währt so fort bis zur Götterdämmerung.

Es ergiebt sich also, daß die Erzählung des Saxo in der Hauptsache der
Überlieferung treu folgt. Vergleicht man nun seine Darstellung des Balder-
mythus mit jener oben aufgehobenen der prosaischen Edda, so fällt vor allem
eine durchgreifende Verschiedenheit beider Quellen in Bezug auf die Charakte¬
ristik des Hödr auf. Dieser ist hier ein entschlossener, starker und mutiger Held,
dort steht er unselbständig außerhalb des Kreises der Götter und muß, da er
blind ist, sich von Loki die Hand führen lassen, um das Ziel zu treffen. Woher
die Umgestaltung, die der Mythus in der Edda offenbar erlitten hat?

Darauf erteilt nun Bugge eine Antwort, gegen welche man kaum irgend
etwas triftiges wird einwenden können: Weil die heidnischen Nordleute in dein
schuldlosen, reinen Lichtgott Baldr, der nach der Edda so schön von Antlitz und
so glänzend ist, daß ein Schein von ihm ausgeht, der der weißeste (oder weiseste),
beredteste und mildeste von allen Asen ist, dessen Urteil niemand schelten kann —
weil die Nordleute in Baldr eiuen Wiederschein von Christus fanden und ihn
mit diesem verglichen, so gestalteten sie auch BaldrS Feind Hödr unes der christ¬
lichen Legende um und verliehen ihm Züge von dem blinden Longinus, dem
die Kriegsknechte, als er bei dem Gekreuzigten vorüber kommt, eine Lanze in
die Hand geben, womit er Christi Herz durchbohrt, nachdem sie ihm gezeigt
haben, in welcher Richtung er stoßen soll. -

Ferner fehlt bei Saxo die Vereidigung aller Wesen, den Baldr nicht zu
versehren. Diese würde man ihres gesammten Charakters wegen für altheidnisch
halten können, wenn nicht folgende merkwürdige Stelle in der jüdischen Schmähschrift
^olvclütn ^ksoliu (die allerdings jünger ist als die Überlieferung der Eddamhthen)
vorkäme: „Als nun die Weisen befohlen hatte», daß man den gesteinigten Jesus
an das Holz henken sollte, und das Holz ihn nicht tragen wollte, sondern unter
ihm zerbrach, sahen es seine Jünger, weineten und sprachen: Sehet die Ge¬
rechtigkeit unsers Herrn Jesu, daß ihn kein Holz tragen will; sie wußten aber
nicht, daß er alles Holz vereidigt hatte, mis er deu Namen noch in Händen
hatte----Judas aber sprach: Betrachtet die Arglistigkeit des Gemüts dieses — —
denn er hatte alles Holz in Eid genommen, daß es ihn nicht tragen sollte;
siehe, es ist in meinem Garten ein großer Kohlstengel, ich will hingehen und


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[0308] Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage. zweiten Teil der Kudrun, wo die Entführung einen ähnliche» Kampf zur Folge hat, fällt Hetel in der That.) Das Zauberschwert ist, wie man sieht, dasselbe, welches Saxo dem Holder beilegt, es ist also in der Sage alt und ursprünglich. Alt ist auch, daß Odhin und Thor auf Seite Balders kämpfen, denn ihnen ent¬ sprechen aufs deutlichste in der Kndrnn Frnote und Wate, und wie dort Thor dem Holder die Keule zerschlägt, so kommt eines hier ein Eiuzelkampf Wales mit Hagen vor, worin dem letztern sein Ger zerbrochen wird. Die wiederholten Schlachten sind ebenfalls alt, denn die zauberkuudige Hilde (eine Walküre, iden¬ tisch mit deu weisen Frauen bei Saxo) weckt, wie sie weiter erzählt, die Toten immer wieder ans, und das währt so fort bis zur Götterdämmerung. Es ergiebt sich also, daß die Erzählung des Saxo in der Hauptsache der Überlieferung treu folgt. Vergleicht man nun seine Darstellung des Balder- mythus mit jener oben aufgehobenen der prosaischen Edda, so fällt vor allem eine durchgreifende Verschiedenheit beider Quellen in Bezug auf die Charakte¬ ristik des Hödr auf. Dieser ist hier ein entschlossener, starker und mutiger Held, dort steht er unselbständig außerhalb des Kreises der Götter und muß, da er blind ist, sich von Loki die Hand führen lassen, um das Ziel zu treffen. Woher die Umgestaltung, die der Mythus in der Edda offenbar erlitten hat? Darauf erteilt nun Bugge eine Antwort, gegen welche man kaum irgend etwas triftiges wird einwenden können: Weil die heidnischen Nordleute in dein schuldlosen, reinen Lichtgott Baldr, der nach der Edda so schön von Antlitz und so glänzend ist, daß ein Schein von ihm ausgeht, der der weißeste (oder weiseste), beredteste und mildeste von allen Asen ist, dessen Urteil niemand schelten kann — weil die Nordleute in Baldr eiuen Wiederschein von Christus fanden und ihn mit diesem verglichen, so gestalteten sie auch BaldrS Feind Hödr unes der christ¬ lichen Legende um und verliehen ihm Züge von dem blinden Longinus, dem die Kriegsknechte, als er bei dem Gekreuzigten vorüber kommt, eine Lanze in die Hand geben, womit er Christi Herz durchbohrt, nachdem sie ihm gezeigt haben, in welcher Richtung er stoßen soll. - Ferner fehlt bei Saxo die Vereidigung aller Wesen, den Baldr nicht zu versehren. Diese würde man ihres gesammten Charakters wegen für altheidnisch halten können, wenn nicht folgende merkwürdige Stelle in der jüdischen Schmähschrift ^olvclütn ^ksoliu (die allerdings jünger ist als die Überlieferung der Eddamhthen) vorkäme: „Als nun die Weisen befohlen hatte», daß man den gesteinigten Jesus an das Holz henken sollte, und das Holz ihn nicht tragen wollte, sondern unter ihm zerbrach, sahen es seine Jünger, weineten und sprachen: Sehet die Ge¬ rechtigkeit unsers Herrn Jesu, daß ihn kein Holz tragen will; sie wußten aber nicht, daß er alles Holz vereidigt hatte, mis er deu Namen noch in Händen hatte----Judas aber sprach: Betrachtet die Arglistigkeit des Gemüts dieses — — denn er hatte alles Holz in Eid genommen, daß es ihn nicht tragen sollte; siehe, es ist in meinem Garten ein großer Kohlstengel, ich will hingehen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/308>, abgerufen am 25.08.2024.