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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

nähte. Sie hätte mit August vor dessen Abgang gern noch eine Zusammen¬
kunft gehabt. Indem sie durch den offnen Durchgang blickte, sah sie, wie er
die Scheune verließ und an seine Pslügerarbeit ging. Nicht etwa, daß sie anf-
geblickt hätte. Nie beobachtete ein Habicht ein Huhn schärfer, als Fran Anderson
die arme Julia beobachtete. Aber Julia sah seitwärts schielend, wie er seine
Pferde vor sich her ans dein Stalle trieb. Da das Feld, ans dem er ankerte,
ans der andern Seite des Hauses lag, konnte sie ihn immer nnr auf Augen¬
blicke sehen, wenn er, den Pflug in fester Hand haltend, in der Ferne am Durch-
gange vorüberkam. Sie hätte gern Cyuthy Ann in der Küche beigestanden;
denn dann hätte sie ihn besser sehen können, aber auf solchen Übergang zu
andrer Beschäftigung war keine Aussicht.

So verging denn der trübselige Nachmittag, und gerade als die Sonne zur
Rüste gehen wollte, sodaß der Schatten der Ulme im Vorderhofe sich über die
Straße nach der Knhweidc streckte, wurde das tiefe Schweigen gebrochen. Julia
hatte den Wunsch gehegt, daß jemand sprechen möchte. Die mürrische Sprach-
losigkeit ihrer Mutter war schlimmer als ihr Keifen, und Julia Hütte es lieber
gehabt, wem: sie ihr Stürmen und Wettern wieder aufgenommen hätte. Aber
das Schweigen wurde endlich von Cynthy Ann unterbrochen, welche in den
Durchgang kam und rief: Julia, willst du uicht so gut sein, in die Scheune zu
gehen und die Eier zu sammeln, ich möchte Kuchen backen.

Jeden Abend ihres Lebens las Julia die Eier zusammen, und es lag nichts
Ungewöhnliches darin, daß Cynthy Ann Kuchen but, sodaß nichts harmloser
sein konnte als jenes Verlangen. Julia saß der Vvrderthür gegenüber, ihre
Mutter hatte ein Stück davou Platz genommen. Julin konnte das Gesicht von
Cynthy Ann sehen, ihre Mutter hörte nur deren Stimme, die ganz trocken und
gewöhnlich klang. Julia kam es vor, als ob in Cynthys Wesen etwas be¬
sonderes läge. Sie hätte sich ebenso einbilden können, die großen eichenen Thor¬
pfosten mit ihren runden, kugelförmigen Köpfen telegraphirten ihr etwas in
schlauer Weife, als sie vermuten konnte, eine solche Pfiffigkeit bewege das Thun
Cynthy Anus, die eine gute, fromme, biederherzige alte Jungfer methodistischen
Glaubens, voll Strenge gegen sich selbst und zeusorenhaft gegen andre Leute
war. Aber da stand Cynthy und machte eine Geberde, welche Julia als eine
Aufforderung erschien, sich zu beeilen. Sie wagte nicht zu zeigen, daß sie dein
Winke rasch zu folgen gedachte. Sie legte ihre Arbeit hin und ging fort, als ob sie
nichts groß kümmerte. Und augenscheinlich war sie zu langsam gewesen. Denn
wenn Angust zu sehen gewesen war, als Cynthy Ann sie rief, so war er jetzt
hinter der rudern Seite des Hügels verschwunden. Sie ging mit langsamen
Schritten weiter, indem sie hoffte, er werde wieder in Sicht kommen, aber das
geschah nicht, und sie lächelte schier über den Gedanken, was für eine Thörin
sie gewesen, sich einzubilden, Cynthy Am: nehme an ihrem Liebeshandel irgend¬
wie Interesse. Ohne Zweifel stand Cynthy auf feiten ihrer Mutter.


Der jüngste Tag.

nähte. Sie hätte mit August vor dessen Abgang gern noch eine Zusammen¬
kunft gehabt. Indem sie durch den offnen Durchgang blickte, sah sie, wie er
die Scheune verließ und an seine Pslügerarbeit ging. Nicht etwa, daß sie anf-
geblickt hätte. Nie beobachtete ein Habicht ein Huhn schärfer, als Fran Anderson
die arme Julia beobachtete. Aber Julia sah seitwärts schielend, wie er seine
Pferde vor sich her ans dein Stalle trieb. Da das Feld, ans dem er ankerte,
ans der andern Seite des Hauses lag, konnte sie ihn immer nnr auf Augen¬
blicke sehen, wenn er, den Pflug in fester Hand haltend, in der Ferne am Durch-
gange vorüberkam. Sie hätte gern Cyuthy Ann in der Küche beigestanden;
denn dann hätte sie ihn besser sehen können, aber auf solchen Übergang zu
andrer Beschäftigung war keine Aussicht.

So verging denn der trübselige Nachmittag, und gerade als die Sonne zur
Rüste gehen wollte, sodaß der Schatten der Ulme im Vorderhofe sich über die
Straße nach der Knhweidc streckte, wurde das tiefe Schweigen gebrochen. Julia
hatte den Wunsch gehegt, daß jemand sprechen möchte. Die mürrische Sprach-
losigkeit ihrer Mutter war schlimmer als ihr Keifen, und Julia Hütte es lieber
gehabt, wem: sie ihr Stürmen und Wettern wieder aufgenommen hätte. Aber
das Schweigen wurde endlich von Cynthy Ann unterbrochen, welche in den
Durchgang kam und rief: Julia, willst du uicht so gut sein, in die Scheune zu
gehen und die Eier zu sammeln, ich möchte Kuchen backen.

Jeden Abend ihres Lebens las Julia die Eier zusammen, und es lag nichts
Ungewöhnliches darin, daß Cynthy Ann Kuchen but, sodaß nichts harmloser
sein konnte als jenes Verlangen. Julia saß der Vvrderthür gegenüber, ihre
Mutter hatte ein Stück davou Platz genommen. Julin konnte das Gesicht von
Cynthy Ann sehen, ihre Mutter hörte nur deren Stimme, die ganz trocken und
gewöhnlich klang. Julia kam es vor, als ob in Cynthys Wesen etwas be¬
sonderes läge. Sie hätte sich ebenso einbilden können, die großen eichenen Thor¬
pfosten mit ihren runden, kugelförmigen Köpfen telegraphirten ihr etwas in
schlauer Weife, als sie vermuten konnte, eine solche Pfiffigkeit bewege das Thun
Cynthy Anus, die eine gute, fromme, biederherzige alte Jungfer methodistischen
Glaubens, voll Strenge gegen sich selbst und zeusorenhaft gegen andre Leute
war. Aber da stand Cynthy und machte eine Geberde, welche Julia als eine
Aufforderung erschien, sich zu beeilen. Sie wagte nicht zu zeigen, daß sie dein
Winke rasch zu folgen gedachte. Sie legte ihre Arbeit hin und ging fort, als ob sie
nichts groß kümmerte. Und augenscheinlich war sie zu langsam gewesen. Denn
wenn Angust zu sehen gewesen war, als Cynthy Ann sie rief, so war er jetzt
hinter der rudern Seite des Hügels verschwunden. Sie ging mit langsamen
Schritten weiter, indem sie hoffte, er werde wieder in Sicht kommen, aber das
geschah nicht, und sie lächelte schier über den Gedanken, was für eine Thörin
sie gewesen, sich einzubilden, Cynthy Am: nehme an ihrem Liebeshandel irgend¬
wie Interesse. Ohne Zweifel stand Cynthy auf feiten ihrer Mutter.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/285>, abgerufen am 01.10.2024.