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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Amerikanische selten.

der Verachtung und dem Haß Platz zu machen. Dieser Punkt ist das Ver¬
hältnis zwischen Mann und Frau. Insbesondre sind es die Mormonen, welche
dnrch ihre Polygamie Anstoß erregen; aber auch bei allen übrigen oben er¬
wähnten Sekten D das geschlechtliche Verhältnis ein besondres.

Wenn die Polygamie und der Kommunismus unter den Geschlechtern bei
reichen Leuten in Newyork, London oder Paris vorkämen, bei Leuten, die am
Tage auf den Boulevards flaniren, im Boulogner Holz, in Rotten Row spa¬
zieren ritten, bei Vvfour dinirten und bis in die Nacht hinein Opern und Kon¬
zerte hörten, um dann mit Champagnertrinken zu beginnen, so fände sich eine
Erklärung so ungewöhnlicher geschlechtlicher Beziehung sehr leicht. Man würde
nicht fehl gehen, wenn man sie als den Beweis äußerster Unsittlichkeit ansahe.
Aber bei Leuten, die hart arbeiten und nur Wasser trinken, die jeden Luxus
hassen, bei Leuten, die, mit einem Wort, den Augen eines Lykurg und Cato
Entzücken bereiten würden -- bei diesen muß man wohl nach andern Gründen
so sträflicher Verirrungen suchen.

Um zu begreifen, wie diese Leute dazu kommen, die Beziehungen der Ge¬
schlechter unter sich zu revolutioniren, muß man sich zuerst klar machen, daß in
den Verewigte" Staaten nicht die Heiligkeit der Ehe herrscht, welche eigentlich
bestehen müßte, und welche z. B. im deutschen Reiche gottlob uoch giltig ist.
In den Vereinigten Staaten ist es die Regel, daß die Leute einander heiraten,
nicht in dem wahrhaft christlichen und ethischen Geiste, der der Ehe zu Grunde
liegen soll, sondern aus äußerlichen Gründen. Die Mädchen suchen eine Ver¬
sorgung, die Männer suchen eine vermögende oder eine aus einflußreicher Fa¬
milie stammende Frau, wollen mit ihrer Lebensgenossin paradiren oder sich durch
sie Vorteile verschaffen, aber weder Mann noch Frau deuten in der Regel daran,
daß die Ehe eine Schule für den Himmel sein solle. Ja es geht noch weiter.
Einsichtige Amerikaner haben vielfach ihre ernsten Besorgnisse darüber ausge¬
sprochen, daß in allen den zivilistrtesten Staaten, namentlich in den durch ihre
Moralität und Frömmigkeit ausgezeichneten Neu-Hampshire, Vermont, Maine,
Massachusetts die Ziffer der Geburten in einer Weise heruntergehen, daß man
bald keine in Amerika geborenen Amerikaner mehr sehen werde. Die Damen
haben -- es ist schwer, über diesen delikaten Punkt verstündlich zu sprechen --
eine Abneigung gegen die Kinderstube. Sie nehmen Anspielungen, welche in
andern Ländern von den Frauen für Komplimente gehalten werden, ernstlich
übel. Eine amerikanische Lady ist imstande aufzustehen und das Zimmer zu
verlassen, wenn ein Fremder ihr zur Taufe ihres Kindes gratulire. Diese Ladies
sind die schlauen, nach Reichtum gierigen Genossinnen ihrer Männer, sie nehmen
innigen Anteil an seinen geschäftlichen Operationen, aber sie haben keine Neigung
für den im eigentlichen Wortsinn weiblichen Beruf. Sie sind ausgezeichnet durch
Intelligenz wie durch ihre zarte Haut, ihre schimmernden Augen, ihre durchsichtigen
Nasenflügel, ihre feinen Lippen, ihre zierliche Taille, aber sie sind ganz Nerven,


Amerikanische selten.

der Verachtung und dem Haß Platz zu machen. Dieser Punkt ist das Ver¬
hältnis zwischen Mann und Frau. Insbesondre sind es die Mormonen, welche
dnrch ihre Polygamie Anstoß erregen; aber auch bei allen übrigen oben er¬
wähnten Sekten D das geschlechtliche Verhältnis ein besondres.

Wenn die Polygamie und der Kommunismus unter den Geschlechtern bei
reichen Leuten in Newyork, London oder Paris vorkämen, bei Leuten, die am
Tage auf den Boulevards flaniren, im Boulogner Holz, in Rotten Row spa¬
zieren ritten, bei Vvfour dinirten und bis in die Nacht hinein Opern und Kon¬
zerte hörten, um dann mit Champagnertrinken zu beginnen, so fände sich eine
Erklärung so ungewöhnlicher geschlechtlicher Beziehung sehr leicht. Man würde
nicht fehl gehen, wenn man sie als den Beweis äußerster Unsittlichkeit ansahe.
Aber bei Leuten, die hart arbeiten und nur Wasser trinken, die jeden Luxus
hassen, bei Leuten, die, mit einem Wort, den Augen eines Lykurg und Cato
Entzücken bereiten würden — bei diesen muß man wohl nach andern Gründen
so sträflicher Verirrungen suchen.

Um zu begreifen, wie diese Leute dazu kommen, die Beziehungen der Ge¬
schlechter unter sich zu revolutioniren, muß man sich zuerst klar machen, daß in
den Verewigte« Staaten nicht die Heiligkeit der Ehe herrscht, welche eigentlich
bestehen müßte, und welche z. B. im deutschen Reiche gottlob uoch giltig ist.
In den Vereinigten Staaten ist es die Regel, daß die Leute einander heiraten,
nicht in dem wahrhaft christlichen und ethischen Geiste, der der Ehe zu Grunde
liegen soll, sondern aus äußerlichen Gründen. Die Mädchen suchen eine Ver¬
sorgung, die Männer suchen eine vermögende oder eine aus einflußreicher Fa¬
milie stammende Frau, wollen mit ihrer Lebensgenossin paradiren oder sich durch
sie Vorteile verschaffen, aber weder Mann noch Frau deuten in der Regel daran,
daß die Ehe eine Schule für den Himmel sein solle. Ja es geht noch weiter.
Einsichtige Amerikaner haben vielfach ihre ernsten Besorgnisse darüber ausge¬
sprochen, daß in allen den zivilistrtesten Staaten, namentlich in den durch ihre
Moralität und Frömmigkeit ausgezeichneten Neu-Hampshire, Vermont, Maine,
Massachusetts die Ziffer der Geburten in einer Weise heruntergehen, daß man
bald keine in Amerika geborenen Amerikaner mehr sehen werde. Die Damen
haben — es ist schwer, über diesen delikaten Punkt verstündlich zu sprechen —
eine Abneigung gegen die Kinderstube. Sie nehmen Anspielungen, welche in
andern Ländern von den Frauen für Komplimente gehalten werden, ernstlich
übel. Eine amerikanische Lady ist imstande aufzustehen und das Zimmer zu
verlassen, wenn ein Fremder ihr zur Taufe ihres Kindes gratulire. Diese Ladies
sind die schlauen, nach Reichtum gierigen Genossinnen ihrer Männer, sie nehmen
innigen Anteil an seinen geschäftlichen Operationen, aber sie haben keine Neigung
für den im eigentlichen Wortsinn weiblichen Beruf. Sie sind ausgezeichnet durch
Intelligenz wie durch ihre zarte Haut, ihre schimmernden Augen, ihre durchsichtigen
Nasenflügel, ihre feinen Lippen, ihre zierliche Taille, aber sie sind ganz Nerven,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/28>, abgerufen am 22.07.2024.