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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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nisse verwandelt. Im übrigen ist diese Art des Feuilletons der offne Tummel¬
platz alles Jntereffnnten und Pikanten. Hier ist das Sondergebiet gewisser
literarischer Feinschmecker, welche im Kaffehaus zu Eis oder Mokka die kritische
Hinrichtung einer neuen Dichtung mit innern Wonnen einschlürfen. Das Feld
dieses Feuilletons geht, soweit die öffentliche Kunst reicht, nur grübe es nicht
so tief, als die Kunst im Leben wurzelt. Die kaufmünuisch handelnde Gewinn¬
sucht des modernen Kunsttreibens hat sich hier im Nezensententum der Zeitungen
ein Forum geschaffen, das mehr ein Zifferblatt äußeren Beifalls und klingenden
Ertrages ist, als daß es ein Zeugnis über den inneren Wert und die künst¬
lerische Bedeutsamkeit des Besprochnen abgäbe. Dem Künstler sind Theater-
und Kvnzertberichte die wirksamsten Hebel der geld- und rnhmhänfenden Reklame,
die das ganze liternrische und künstlerische Treiben allmächtig beherrscht. Dem
Kritiker selbst sind seine Rezensionen wert als das bequemste Mittel, einen be¬
kannten Namen, eine gefürchtete Stellung in der kunstübenden Litcratenrcpublik
sich zu erringen; je "kritischer" er schneidet, desto höher steigt die achtungsvolle
Furcht der "geschuittucn" oder zu schneidenden. Was aber ein wirklich urteils¬
fähiges Publikum an derartigen kritischen Äußerungen interessiren sollte, ist schwer
abzusehen. Wer mit teilnehmenden Verständnis selbst eine Aufführung genossen,
bedarf nicht eines gedruckten Urteils, das meist nnr den Niederschlag des Gescnnmt-
wähnens der Menge wiedergiebt. An der unpersönlichen, gleichabwägenden Ge¬
rechtigkeit in den Kunsturteilen "unabhängiger" Blätter zu zweifeln, hat auch
der Uneingeweihte zuviel Grund, als daß er in unbefangnen Vertrauen sich aus
ihnen über das unterrichten möchte, was er nicht selbst gehört oder gesehen hat.
An innerm Werte leiden diese schnellfüßigen Erzeugnisse, deren Hauptbedeutung
in ihrem frühzeitigen Erscheinen liegt, so empfindlichen Mangel, daß sie jeden
enttäuschen, der wirkliche Belehrung aus ihnen schöpfen will. So bleibt ihnen
nichts als die Befriedigung einer müßigen Neugier, die alle vierundzwanzig
Stunden des Tages mit Neuigkeiten über Schauspielerinnen und "Premivren"
anfüllt; ferner die Bevormundung Unmündiger, die nach einem billigen Stichwort
für literarische Salvnunterhaltuug bangen; endlich die Regelung des künstlerischen
Geldmarktes, was wohl für alle "Beteiligten" die Hauptsache sein mag. Am
ehesten würden noch diejenigen Billigung verdienen, welche einfach Ort und
Stunde, Stück und Namen, Aufführung und Aufnahme sachlich ohne eigne Zu-
thaten allzeigen würden. Freilich würden sie damit aufhören Feuilletonisten zu
sein und möchten sich wunderlich genug ausnehmen in einer Zeit, wo schon die
Buchhäudlerauzeigeu lobposauuende Kritiken sind.

Man scheidet bisweilen zwischen "niedrer" und "höherer" literarischer Kritik
und möchte die niedre in die Zeitungen und die höhere in die Zeitschriften ver¬
weisen. Das geht heute nicht mehr um, wo "erste Essayisten" stündige Kritiker
für Tngesblätter sind, und alle "höhere" Kritik zum lohnenden Zeitungsfeuilleton
herabsteigt. Das Zeitschrifteuwesen verbleibt in seiner ganzen Breite fast nur den


nisse verwandelt. Im übrigen ist diese Art des Feuilletons der offne Tummel¬
platz alles Jntereffnnten und Pikanten. Hier ist das Sondergebiet gewisser
literarischer Feinschmecker, welche im Kaffehaus zu Eis oder Mokka die kritische
Hinrichtung einer neuen Dichtung mit innern Wonnen einschlürfen. Das Feld
dieses Feuilletons geht, soweit die öffentliche Kunst reicht, nur grübe es nicht
so tief, als die Kunst im Leben wurzelt. Die kaufmünuisch handelnde Gewinn¬
sucht des modernen Kunsttreibens hat sich hier im Nezensententum der Zeitungen
ein Forum geschaffen, das mehr ein Zifferblatt äußeren Beifalls und klingenden
Ertrages ist, als daß es ein Zeugnis über den inneren Wert und die künst¬
lerische Bedeutsamkeit des Besprochnen abgäbe. Dem Künstler sind Theater-
und Kvnzertberichte die wirksamsten Hebel der geld- und rnhmhänfenden Reklame,
die das ganze liternrische und künstlerische Treiben allmächtig beherrscht. Dem
Kritiker selbst sind seine Rezensionen wert als das bequemste Mittel, einen be¬
kannten Namen, eine gefürchtete Stellung in der kunstübenden Litcratenrcpublik
sich zu erringen; je „kritischer" er schneidet, desto höher steigt die achtungsvolle
Furcht der „geschuittucn" oder zu schneidenden. Was aber ein wirklich urteils¬
fähiges Publikum an derartigen kritischen Äußerungen interessiren sollte, ist schwer
abzusehen. Wer mit teilnehmenden Verständnis selbst eine Aufführung genossen,
bedarf nicht eines gedruckten Urteils, das meist nnr den Niederschlag des Gescnnmt-
wähnens der Menge wiedergiebt. An der unpersönlichen, gleichabwägenden Ge¬
rechtigkeit in den Kunsturteilen „unabhängiger" Blätter zu zweifeln, hat auch
der Uneingeweihte zuviel Grund, als daß er in unbefangnen Vertrauen sich aus
ihnen über das unterrichten möchte, was er nicht selbst gehört oder gesehen hat.
An innerm Werte leiden diese schnellfüßigen Erzeugnisse, deren Hauptbedeutung
in ihrem frühzeitigen Erscheinen liegt, so empfindlichen Mangel, daß sie jeden
enttäuschen, der wirkliche Belehrung aus ihnen schöpfen will. So bleibt ihnen
nichts als die Befriedigung einer müßigen Neugier, die alle vierundzwanzig
Stunden des Tages mit Neuigkeiten über Schauspielerinnen und „Premivren"
anfüllt; ferner die Bevormundung Unmündiger, die nach einem billigen Stichwort
für literarische Salvnunterhaltuug bangen; endlich die Regelung des künstlerischen
Geldmarktes, was wohl für alle „Beteiligten" die Hauptsache sein mag. Am
ehesten würden noch diejenigen Billigung verdienen, welche einfach Ort und
Stunde, Stück und Namen, Aufführung und Aufnahme sachlich ohne eigne Zu-
thaten allzeigen würden. Freilich würden sie damit aufhören Feuilletonisten zu
sein und möchten sich wunderlich genug ausnehmen in einer Zeit, wo schon die
Buchhäudlerauzeigeu lobposauuende Kritiken sind.

Man scheidet bisweilen zwischen „niedrer" und „höherer" literarischer Kritik
und möchte die niedre in die Zeitungen und die höhere in die Zeitschriften ver¬
weisen. Das geht heute nicht mehr um, wo „erste Essayisten" stündige Kritiker
für Tngesblätter sind, und alle „höhere" Kritik zum lohnenden Zeitungsfeuilleton
herabsteigt. Das Zeitschrifteuwesen verbleibt in seiner ganzen Breite fast nur den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/266>, abgerufen am 25.08.2024.