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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.
2.

Was euch die heilige Preßfreiheit
Für Fromme", Vorteil und Früchte beut?
Davon habt ihr gewisse Erscheinung:
Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung.

i
r haben bisher von Formen und Zielen des Feuilletons ge¬
sprochen, ohne seinen Inhalt zu berücksichtige"; el" Verfahren,
das bei jedem ander" Gegenstande unmöglich gewesen wäre. Hier
rechtfertigt es sich durch die augenfällige Zurückstellung des
Stoffes hinter die Form. Dem Inhalte nach scharf gesonderte
Arten zu unterscheiden, fällt etwas schwer in eiuer Gattung, die von der Auf¬
hebung aller Grenzscheiden lebt. Doch werdeu sich in folgende fünf Haupt¬
klassen im allgemeinen alle einzelnen Feuilletons unterbringen lassen; wobei
natürlich jedem einzelnen Feuilletonisten die Freiheit u"benommen bleibt, mehrere
oder gar alle Arten mit einander zu vereinigen.

Neisebriefe und geographisch-ethnographische Kulturbilder sind so alt, als
das Interesse für die ferne Welt und fremde Menschen rege ist. Früher aber
war das Reisen eine Arbeit und mit Fährlichkeiten verbunden, die nur tüchtige,
mutige Mäuner bestanden. Reisefeuilletous giebt es erst, seit Eisenbahnen und
Dampfschiffe die Gefahren beseitigt haben, und durch Besiegung der zögernden
Langsamkeit schriftstellerndes Reisen zu einem lohnenden Erwerbe geworden
ist. Mit Geographie und Kultur läßt sich der also Wallfahrtende nicht näher
ein, als seinen etwaigen Kenntnissen bequem ist. Wozu auch, da er die Gegenden
eilend durchfliegt, und aus allerlei hilfreichen Vüchelchcn sich Schaukeuntuisse
genug im Fluge erwerben kann. Das Neisefeuilleton ist die bequemste der
Fenilletouformen und die lässigste. Der unerfahrene Schiller, der zum ersten¬
male über die Grenzpfähle seines Vaterlandes schaulustig in die Welt hinaus¬
fährt, kramt in ihr mit derselben Wichtigkeit seine jungen Erlebnisse aus, wie
der vielerfahrene Meister der Entdeckungsreise, deu ernste Aufgaben gefahrvolle
Wege führen. Das Neisefeuilleton, mit dem sich schon der Student die Kosten
seines Ferienausfluges bezahlt macht, das in den thatenlos hinschleichenden
Sommermonaten heerzugartig alle Zeitungen aus Büderu, Bergen, Wäldern
und Sommerfrischen überzieht, ist der weite Nahmen, in den sich alles fügt,
was der Schreiber gesehen und nicht gesehen, gedacht und nicht gedacht, erlebt
und erfabelt hat. Es kaun in seiner bequeme" Weitherzigkeit als der Inbe¬
griff aller möglichen Feuilletonarten gelten. Flüchtige Abenteuer geben ihm mit


Das heutige Feuilleton.
2.

Was euch die heilige Preßfreiheit
Für Fromme», Vorteil und Früchte beut?
Davon habt ihr gewisse Erscheinung:
Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung.

i
r haben bisher von Formen und Zielen des Feuilletons ge¬
sprochen, ohne seinen Inhalt zu berücksichtige»; el» Verfahren,
das bei jedem ander» Gegenstande unmöglich gewesen wäre. Hier
rechtfertigt es sich durch die augenfällige Zurückstellung des
Stoffes hinter die Form. Dem Inhalte nach scharf gesonderte
Arten zu unterscheiden, fällt etwas schwer in eiuer Gattung, die von der Auf¬
hebung aller Grenzscheiden lebt. Doch werdeu sich in folgende fünf Haupt¬
klassen im allgemeinen alle einzelnen Feuilletons unterbringen lassen; wobei
natürlich jedem einzelnen Feuilletonisten die Freiheit u»benommen bleibt, mehrere
oder gar alle Arten mit einander zu vereinigen.

Neisebriefe und geographisch-ethnographische Kulturbilder sind so alt, als
das Interesse für die ferne Welt und fremde Menschen rege ist. Früher aber
war das Reisen eine Arbeit und mit Fährlichkeiten verbunden, die nur tüchtige,
mutige Mäuner bestanden. Reisefeuilletous giebt es erst, seit Eisenbahnen und
Dampfschiffe die Gefahren beseitigt haben, und durch Besiegung der zögernden
Langsamkeit schriftstellerndes Reisen zu einem lohnenden Erwerbe geworden
ist. Mit Geographie und Kultur läßt sich der also Wallfahrtende nicht näher
ein, als seinen etwaigen Kenntnissen bequem ist. Wozu auch, da er die Gegenden
eilend durchfliegt, und aus allerlei hilfreichen Vüchelchcn sich Schaukeuntuisse
genug im Fluge erwerben kann. Das Neisefeuilleton ist die bequemste der
Fenilletouformen und die lässigste. Der unerfahrene Schiller, der zum ersten¬
male über die Grenzpfähle seines Vaterlandes schaulustig in die Welt hinaus¬
fährt, kramt in ihr mit derselben Wichtigkeit seine jungen Erlebnisse aus, wie
der vielerfahrene Meister der Entdeckungsreise, deu ernste Aufgaben gefahrvolle
Wege führen. Das Neisefeuilleton, mit dem sich schon der Student die Kosten
seines Ferienausfluges bezahlt macht, das in den thatenlos hinschleichenden
Sommermonaten heerzugartig alle Zeitungen aus Büderu, Bergen, Wäldern
und Sommerfrischen überzieht, ist der weite Nahmen, in den sich alles fügt,
was der Schreiber gesehen und nicht gesehen, gedacht und nicht gedacht, erlebt
und erfabelt hat. Es kaun in seiner bequeme» Weitherzigkeit als der Inbe¬
griff aller möglichen Feuilletonarten gelten. Flüchtige Abenteuer geben ihm mit


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[0263] Das heutige Feuilleton. 2. Was euch die heilige Preßfreiheit Für Fromme», Vorteil und Früchte beut? Davon habt ihr gewisse Erscheinung: Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung. i r haben bisher von Formen und Zielen des Feuilletons ge¬ sprochen, ohne seinen Inhalt zu berücksichtige»; el» Verfahren, das bei jedem ander» Gegenstande unmöglich gewesen wäre. Hier rechtfertigt es sich durch die augenfällige Zurückstellung des Stoffes hinter die Form. Dem Inhalte nach scharf gesonderte Arten zu unterscheiden, fällt etwas schwer in eiuer Gattung, die von der Auf¬ hebung aller Grenzscheiden lebt. Doch werdeu sich in folgende fünf Haupt¬ klassen im allgemeinen alle einzelnen Feuilletons unterbringen lassen; wobei natürlich jedem einzelnen Feuilletonisten die Freiheit u»benommen bleibt, mehrere oder gar alle Arten mit einander zu vereinigen. Neisebriefe und geographisch-ethnographische Kulturbilder sind so alt, als das Interesse für die ferne Welt und fremde Menschen rege ist. Früher aber war das Reisen eine Arbeit und mit Fährlichkeiten verbunden, die nur tüchtige, mutige Mäuner bestanden. Reisefeuilletous giebt es erst, seit Eisenbahnen und Dampfschiffe die Gefahren beseitigt haben, und durch Besiegung der zögernden Langsamkeit schriftstellerndes Reisen zu einem lohnenden Erwerbe geworden ist. Mit Geographie und Kultur läßt sich der also Wallfahrtende nicht näher ein, als seinen etwaigen Kenntnissen bequem ist. Wozu auch, da er die Gegenden eilend durchfliegt, und aus allerlei hilfreichen Vüchelchcn sich Schaukeuntuisse genug im Fluge erwerben kann. Das Neisefeuilleton ist die bequemste der Fenilletouformen und die lässigste. Der unerfahrene Schiller, der zum ersten¬ male über die Grenzpfähle seines Vaterlandes schaulustig in die Welt hinaus¬ fährt, kramt in ihr mit derselben Wichtigkeit seine jungen Erlebnisse aus, wie der vielerfahrene Meister der Entdeckungsreise, deu ernste Aufgaben gefahrvolle Wege führen. Das Neisefeuilleton, mit dem sich schon der Student die Kosten seines Ferienausfluges bezahlt macht, das in den thatenlos hinschleichenden Sommermonaten heerzugartig alle Zeitungen aus Büderu, Bergen, Wäldern und Sommerfrischen überzieht, ist der weite Nahmen, in den sich alles fügt, was der Schreiber gesehen und nicht gesehen, gedacht und nicht gedacht, erlebt und erfabelt hat. Es kaun in seiner bequeme» Weitherzigkeit als der Inbe¬ griff aller möglichen Feuilletonarten gelten. Flüchtige Abenteuer geben ihm mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/263>, abgerufen am 25.08.2024.