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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ameisenleben.

kehrs mit jeder andern von ihren Mitbürgerinnen bekannt sei. Wie aber wird
diese Bekanntschaft vermittelt oder erworben? Unser gelehrter Baronet geht
auf diese Frage ausführlich ein und gelangt dabei zu der Meinung, daß der
Spürsinn (8Lord) bei der Sache stark mitwirkt. Ferner aber scheint mehr als
ein geistvoll ausgedachtes Experiment darauf hinzuweisen, daß die Ameisen etwas
besitzen, was man eine Geberdensprache nennen könnte, d. h. daß sie sich ent¬
weder dnrch Zeichen oder herkömmliche feine Verührnngen mit den Fühlern oder
Vorderfüßen miteinander verständigen, und daß diese Zeichen oder Belastungen
bei der einen Spezies anders sind als bei der andern.

Lubbock ist nach seinen Untersuchungen der Ansicht, daß die Geistes- oder
Seelenkräfte der Umreisen sich von denen der Menschen nnr gradweise, nicht
dem Wesen nach unterscheiden. Dagegen müssen sie die Welt nnßer sich anders
ansehen als wir; denn einige Arten derselben haben an ihren Augen gegen tausend
Facetten, und alle Ameisen befinden sich offenbar unbehaglich, wenn ihnen Helles
Licht in das Nest scheint. Andrerseits wissen sie grün und gelb von andern
Farben zu unterscheiden und gehen allem violetten aus dem Wege. Eine sehr
starke Empfindung besitzen sie für das ultraviolette, dessen Strahlen menschliche
Augen vou Natur gar nicht bemerken.

Können die Ameisen hören, können sie vielleicht sogar sprechen? Professor
Tyndall hat dies für Lubbock vor der sensitiven Flamme untersucht, während
Professor Bell die Sache mit dem Mikrophon prüfte. Der letztere hörte ganz
deutlich die Fußtritte der Tierchen; aber irgend etwas wie ein Gezisch, Gezirp
oder Gesumm, das als Ameisengcplauder pnssireu könnte, war nicht zu vernehmen.
Dem ungeachtet glaubt unser Autor, daß die Ameisen hören, und daß sie Töne
oder Laute hervorbringen, die allerdings nicht innerhalb der Tragweite oder
Empfänglichkeit unserer Sinne und Instrumente liegen. Keinerlei Zweifel kann
darüber obwalten, daß ihr Geruchssinn außerordentlich scharf ist.

Was für eine Wunderwelt öffnet sich nach alledem vor unsern Blicken im
Leben dieser winzigen Geschöpfe! Ein Gehirn, nicht größer als ein Sandkörnchen,
und doch imstande, sich deutlich zu erinnern, zu kombiniren, zu unterscheiden
und verschiedene Tugenden und Fähigkeiten zu entwickeln! Wie können wir
Tieren den Verstand absprechen, welche thun können, was Leuckart beobachtete?
Um einen von Ameisen besuchten Baum befestigte er ein mit Tabaksjauche durch¬
tränktes Band. Die Ameisen über dem Bande ließen sich nach einigem Über¬
legen zu Boden fallen, sodaß sie neben demselben dnrch die Luft zur Erde ge¬
langten. Die vou unten heraufsteigenden dagegen standen vor dem Bande geraume
Zeit still und wußten augenscheinlich nicht, was sie gegen die Sperrung thun,
wie sie darüber hinwegkommen sollten. Zuletzt sah er sie umkehren, wieder hinab¬
steigen und bald nachher wieder zurückkommen, wobei jede ein Sandkörnchen
herbeischleppte. So konstruirten sie einen Damm oder eine erhöhte Straße über
den Tabakssaft, auf der sie dann in dichten Schaaren hinübergelangten.


Ameisenleben.

kehrs mit jeder andern von ihren Mitbürgerinnen bekannt sei. Wie aber wird
diese Bekanntschaft vermittelt oder erworben? Unser gelehrter Baronet geht
auf diese Frage ausführlich ein und gelangt dabei zu der Meinung, daß der
Spürsinn (8Lord) bei der Sache stark mitwirkt. Ferner aber scheint mehr als
ein geistvoll ausgedachtes Experiment darauf hinzuweisen, daß die Ameisen etwas
besitzen, was man eine Geberdensprache nennen könnte, d. h. daß sie sich ent¬
weder dnrch Zeichen oder herkömmliche feine Verührnngen mit den Fühlern oder
Vorderfüßen miteinander verständigen, und daß diese Zeichen oder Belastungen
bei der einen Spezies anders sind als bei der andern.

Lubbock ist nach seinen Untersuchungen der Ansicht, daß die Geistes- oder
Seelenkräfte der Umreisen sich von denen der Menschen nnr gradweise, nicht
dem Wesen nach unterscheiden. Dagegen müssen sie die Welt nnßer sich anders
ansehen als wir; denn einige Arten derselben haben an ihren Augen gegen tausend
Facetten, und alle Ameisen befinden sich offenbar unbehaglich, wenn ihnen Helles
Licht in das Nest scheint. Andrerseits wissen sie grün und gelb von andern
Farben zu unterscheiden und gehen allem violetten aus dem Wege. Eine sehr
starke Empfindung besitzen sie für das ultraviolette, dessen Strahlen menschliche
Augen vou Natur gar nicht bemerken.

Können die Ameisen hören, können sie vielleicht sogar sprechen? Professor
Tyndall hat dies für Lubbock vor der sensitiven Flamme untersucht, während
Professor Bell die Sache mit dem Mikrophon prüfte. Der letztere hörte ganz
deutlich die Fußtritte der Tierchen; aber irgend etwas wie ein Gezisch, Gezirp
oder Gesumm, das als Ameisengcplauder pnssireu könnte, war nicht zu vernehmen.
Dem ungeachtet glaubt unser Autor, daß die Ameisen hören, und daß sie Töne
oder Laute hervorbringen, die allerdings nicht innerhalb der Tragweite oder
Empfänglichkeit unserer Sinne und Instrumente liegen. Keinerlei Zweifel kann
darüber obwalten, daß ihr Geruchssinn außerordentlich scharf ist.

Was für eine Wunderwelt öffnet sich nach alledem vor unsern Blicken im
Leben dieser winzigen Geschöpfe! Ein Gehirn, nicht größer als ein Sandkörnchen,
und doch imstande, sich deutlich zu erinnern, zu kombiniren, zu unterscheiden
und verschiedene Tugenden und Fähigkeiten zu entwickeln! Wie können wir
Tieren den Verstand absprechen, welche thun können, was Leuckart beobachtete?
Um einen von Ameisen besuchten Baum befestigte er ein mit Tabaksjauche durch¬
tränktes Band. Die Ameisen über dem Bande ließen sich nach einigem Über¬
legen zu Boden fallen, sodaß sie neben demselben dnrch die Luft zur Erde ge¬
langten. Die vou unten heraufsteigenden dagegen standen vor dem Bande geraume
Zeit still und wußten augenscheinlich nicht, was sie gegen die Sperrung thun,
wie sie darüber hinwegkommen sollten. Zuletzt sah er sie umkehren, wieder hinab¬
steigen und bald nachher wieder zurückkommen, wobei jede ein Sandkörnchen
herbeischleppte. So konstruirten sie einen Damm oder eine erhöhte Straße über
den Tabakssaft, auf der sie dann in dichten Schaaren hinübergelangten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/261>, abgerufen am 25.08.2024.