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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ameisenleben.

keit." Andrerseits fil?d die Ameisen sehr mutige und gewandte Kriegsleute. Jede
Gattung hat ihre besondre Gefechtsmethode, wobei sie nach gemeinsamem Plane
kämpfen, dessen Regeln sie sich durch förmliche militärische Übungen und Manöver
aneignen. Drei oder vier von der kleinen roten Spezies Pflegen die große Rasen¬
ameise bei den Füßen zu erfassen, und eine vierte oder fünfte springt ihr an
den Hals und beißt ihr den Kopf ab. Für ihre Milchkühe, die Blattläuse,
tragen sie Sorge wie ein Landwirt. Ist der Zweig, um welchem eine Kolonie
solcher Zuckersnftlieserauteu sich festgesetzt hat, abgestorben, so wird sie von Ar¬
beitsameisen behutsam von ihm abgelöst und ans einen noch frischen verpflanzt.
Im Herbst aber bringen sie dieselben unter die Erde um die zarten Wurzeln der
Gewächse. Außer den Blattläusen haben sie mich andre Lieblinge, die sie in
ihren Nestern hegen und pflegen, z. V. Engerlinge, Asseln, Goldküferlarveu
und gewisse Arten von Kurzflüglern. Dieselben finden sich vorzüglich in den
Beinen der Waldameise und dienen ähnlichen Zwecken wie die Blattläuse.

Der Fleiß und die Ausdauer der Ameisen sind ganz erstaunlich. Lubbvck
beobachtete eine Ameise beim Forttragen der Larven in die Sonne und beim
Wiederabholen dieser Pfleglinge. Diese Arbeit dauerte ohne Unterbrechung von
früh sechs Uhr bis fast um zehn Uhr abends, während welcher Zeit das un¬
ermüdliche Tierchen nicht weniger als hnndertsiebenundachtzig Larven von einer
Stelle zur andern schleppte. Die Ameisen finden sich ferner zu Übungen zu¬
sammen, die an das Turnen erinnern, sie beobachten beim Ban ihrer Nester
strategische Regeln, sie haben eine Art Arbeitsteilung eingeführt, indem einige
die Fütterung der Larven und Weibchen besorgen, andre die Wohnung ausbauen
und sauber halten und wieder andre auf Nahrung ausgehen. Das merkwürdigste
Beispiel vou gesellschaftlicher Organisation aber trifft man in den Gemeinden
an, welche Sklaven rauben und halten. Die sanguinea sendet starke Expedi¬
tionen nach Puppen aus, welche deu Kolonien der schwarzen Ameise geraubt
und später in den Nestern jener roten Gattung auferzogen werden, um als
Arbeiter zu dienen, welche die gesammte häusliche Arbeit verrichten. Die Glieder
einer schweizerischen Gattung bei Lubbvck hängen ganz und gar von ihren Sklaven
ab; denn sie können sich infolge der Unvollkommenheit ihrer Freßwerl'zeuge nicht
selbst ernähren, sondern müssen sich von andern Ameisen, solchen schwarzen
Sklaven, füttern lassen. Unser Naturforscher pflegte seineu Exemplaren aus
dieser Spezies täglich für ein paar Stunden einem derartigen Diener beizuge¬
sellen, damit er sie reinige und speise, und ohne diese Hilfe gingen sie in allen
Fällen sehr bald zu Grunde.

Der Verfasser des Buches ^mes, no"8 auel 'WÄsns kommt nach diesen und
ähnlichen wunderbaren Enthiillungen zu der sehr auf der Hand liegenden Frage,
ob die Ameisen in gewissem Maße sittliche und für ihr Thun verantwortliche
Wesen seien. Mit dein Worte Instinkt ist nichts erklärt oder widerlegt; denn
was ist Instinkt? Lubbvck vergleicht die Städte der Ameisen mit London und


Ameisenleben.

keit." Andrerseits fil?d die Ameisen sehr mutige und gewandte Kriegsleute. Jede
Gattung hat ihre besondre Gefechtsmethode, wobei sie nach gemeinsamem Plane
kämpfen, dessen Regeln sie sich durch förmliche militärische Übungen und Manöver
aneignen. Drei oder vier von der kleinen roten Spezies Pflegen die große Rasen¬
ameise bei den Füßen zu erfassen, und eine vierte oder fünfte springt ihr an
den Hals und beißt ihr den Kopf ab. Für ihre Milchkühe, die Blattläuse,
tragen sie Sorge wie ein Landwirt. Ist der Zweig, um welchem eine Kolonie
solcher Zuckersnftlieserauteu sich festgesetzt hat, abgestorben, so wird sie von Ar¬
beitsameisen behutsam von ihm abgelöst und ans einen noch frischen verpflanzt.
Im Herbst aber bringen sie dieselben unter die Erde um die zarten Wurzeln der
Gewächse. Außer den Blattläusen haben sie mich andre Lieblinge, die sie in
ihren Nestern hegen und pflegen, z. V. Engerlinge, Asseln, Goldküferlarveu
und gewisse Arten von Kurzflüglern. Dieselben finden sich vorzüglich in den
Beinen der Waldameise und dienen ähnlichen Zwecken wie die Blattläuse.

Der Fleiß und die Ausdauer der Ameisen sind ganz erstaunlich. Lubbvck
beobachtete eine Ameise beim Forttragen der Larven in die Sonne und beim
Wiederabholen dieser Pfleglinge. Diese Arbeit dauerte ohne Unterbrechung von
früh sechs Uhr bis fast um zehn Uhr abends, während welcher Zeit das un¬
ermüdliche Tierchen nicht weniger als hnndertsiebenundachtzig Larven von einer
Stelle zur andern schleppte. Die Ameisen finden sich ferner zu Übungen zu¬
sammen, die an das Turnen erinnern, sie beobachten beim Ban ihrer Nester
strategische Regeln, sie haben eine Art Arbeitsteilung eingeführt, indem einige
die Fütterung der Larven und Weibchen besorgen, andre die Wohnung ausbauen
und sauber halten und wieder andre auf Nahrung ausgehen. Das merkwürdigste
Beispiel vou gesellschaftlicher Organisation aber trifft man in den Gemeinden
an, welche Sklaven rauben und halten. Die sanguinea sendet starke Expedi¬
tionen nach Puppen aus, welche deu Kolonien der schwarzen Ameise geraubt
und später in den Nestern jener roten Gattung auferzogen werden, um als
Arbeiter zu dienen, welche die gesammte häusliche Arbeit verrichten. Die Glieder
einer schweizerischen Gattung bei Lubbvck hängen ganz und gar von ihren Sklaven
ab; denn sie können sich infolge der Unvollkommenheit ihrer Freßwerl'zeuge nicht
selbst ernähren, sondern müssen sich von andern Ameisen, solchen schwarzen
Sklaven, füttern lassen. Unser Naturforscher pflegte seineu Exemplaren aus
dieser Spezies täglich für ein paar Stunden einem derartigen Diener beizuge¬
sellen, damit er sie reinige und speise, und ohne diese Hilfe gingen sie in allen
Fällen sehr bald zu Grunde.

Der Verfasser des Buches ^mes, no«8 auel 'WÄsns kommt nach diesen und
ähnlichen wunderbaren Enthiillungen zu der sehr auf der Hand liegenden Frage,
ob die Ameisen in gewissem Maße sittliche und für ihr Thun verantwortliche
Wesen seien. Mit dein Worte Instinkt ist nichts erklärt oder widerlegt; denn
was ist Instinkt? Lubbvck vergleicht die Städte der Ameisen mit London und


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[0259] Ameisenleben. keit." Andrerseits fil?d die Ameisen sehr mutige und gewandte Kriegsleute. Jede Gattung hat ihre besondre Gefechtsmethode, wobei sie nach gemeinsamem Plane kämpfen, dessen Regeln sie sich durch förmliche militärische Übungen und Manöver aneignen. Drei oder vier von der kleinen roten Spezies Pflegen die große Rasen¬ ameise bei den Füßen zu erfassen, und eine vierte oder fünfte springt ihr an den Hals und beißt ihr den Kopf ab. Für ihre Milchkühe, die Blattläuse, tragen sie Sorge wie ein Landwirt. Ist der Zweig, um welchem eine Kolonie solcher Zuckersnftlieserauteu sich festgesetzt hat, abgestorben, so wird sie von Ar¬ beitsameisen behutsam von ihm abgelöst und ans einen noch frischen verpflanzt. Im Herbst aber bringen sie dieselben unter die Erde um die zarten Wurzeln der Gewächse. Außer den Blattläusen haben sie mich andre Lieblinge, die sie in ihren Nestern hegen und pflegen, z. V. Engerlinge, Asseln, Goldküferlarveu und gewisse Arten von Kurzflüglern. Dieselben finden sich vorzüglich in den Beinen der Waldameise und dienen ähnlichen Zwecken wie die Blattläuse. Der Fleiß und die Ausdauer der Ameisen sind ganz erstaunlich. Lubbvck beobachtete eine Ameise beim Forttragen der Larven in die Sonne und beim Wiederabholen dieser Pfleglinge. Diese Arbeit dauerte ohne Unterbrechung von früh sechs Uhr bis fast um zehn Uhr abends, während welcher Zeit das un¬ ermüdliche Tierchen nicht weniger als hnndertsiebenundachtzig Larven von einer Stelle zur andern schleppte. Die Ameisen finden sich ferner zu Übungen zu¬ sammen, die an das Turnen erinnern, sie beobachten beim Ban ihrer Nester strategische Regeln, sie haben eine Art Arbeitsteilung eingeführt, indem einige die Fütterung der Larven und Weibchen besorgen, andre die Wohnung ausbauen und sauber halten und wieder andre auf Nahrung ausgehen. Das merkwürdigste Beispiel vou gesellschaftlicher Organisation aber trifft man in den Gemeinden an, welche Sklaven rauben und halten. Die sanguinea sendet starke Expedi¬ tionen nach Puppen aus, welche deu Kolonien der schwarzen Ameise geraubt und später in den Nestern jener roten Gattung auferzogen werden, um als Arbeiter zu dienen, welche die gesammte häusliche Arbeit verrichten. Die Glieder einer schweizerischen Gattung bei Lubbvck hängen ganz und gar von ihren Sklaven ab; denn sie können sich infolge der Unvollkommenheit ihrer Freßwerl'zeuge nicht selbst ernähren, sondern müssen sich von andern Ameisen, solchen schwarzen Sklaven, füttern lassen. Unser Naturforscher pflegte seineu Exemplaren aus dieser Spezies täglich für ein paar Stunden einem derartigen Diener beizuge¬ sellen, damit er sie reinige und speise, und ohne diese Hilfe gingen sie in allen Fällen sehr bald zu Grunde. Der Verfasser des Buches ^mes, no«8 auel 'WÄsns kommt nach diesen und ähnlichen wunderbaren Enthiillungen zu der sehr auf der Hand liegenden Frage, ob die Ameisen in gewissem Maße sittliche und für ihr Thun verantwortliche Wesen seien. Mit dein Worte Instinkt ist nichts erklärt oder widerlegt; denn was ist Instinkt? Lubbvck vergleicht die Städte der Ameisen mit London und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/259>, abgerufen am 25.08.2024.