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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Amerikanische Sekten.

Die letztere Bemerkung frappirt. Es ist auffallend, daß er gerade von
falscher Diät sprach, und man forscht der Diät nach, welche diese Sektirer führen.
Die Berichterstatter habe" auf diesen Punkt im ganzen wenig Acht gegeben
und wenig Wert gelegt, da sie wohl der Wichtigkeit desselben nicht so eingedenk
waren, wie es etwa Virchow gewesen sein würde, der geradezu schreibt: "Die
Beschaffung und Zubereitung der Nahrungs- und Genußmittel bildet so sehr
die Grundlage aller menschlichen Thätigkeit, daß nicht nur der einzelne Mensch
in seinen Einrichtungen und Zielen, sondern auch die Gesellschaft und der Staat
in ihrer Gestaltung dadurch bestimmt werden."

Aber wenn auch die Reisenden nicht den gebührenden Wert ans die Frage
der Ernährung bei diesen selten gelegt haben, so bieten doch ihre gelegentlichen
Äußerungen Material genug, um in ihrer Zusammenstellung einen sichern Schluß
zu gestatten. Und da gewahrt man denn, daß die meisten dieser amerikanischen
Sekten, vielleicht alle, gleich den Sekten in Rußland auf die Ernährung durch
Pflanzenkost basirt sind.

Dixon schreibt von den Zitterern in seinem "Um-Amerika": "Die Speisen
sind einfach, obschon in ihrer Art sehr gut und sehr wohlschmeckend zubereitet.
Sie bestehen ganz oder fast ganz ans Produkten der Erde: Tomaten, gerösteten
Äpfeln, Pfirsichen, Kartoffeln, Kürbissen, Maismehl, gekochtem Mais und tgi.
Die Trauben siud ausgezeichnet und erinnern an die von Bethlehem, und die
Eier -- harte Eier, gekochte Eier, Rühreier -- siud vortrefflich. Das Getraut
ist Wasser, Milch und Thee. Dann giebt es Pasteten, Torten, Zuckerwerk,
getrocknete Früchte und Syrupe. Was mich betrifft, so gewährte man mir, da
ich ein Heide und Sünder war, Coteletten, Hühner und selbstgepreßten Wein.
Gute Nahrung und frische Luft, sagt Friedrich, sind unsere einzigen Arzeneien.
Das rosige Fleisch seiner Leute, eine Farbe, die man nnr selten in den Ver¬
einigten Staaten sieht, scheint diese seine Behauptung zu rechtfertigen, daß an
einem solchen Platze keine andere Arznei nötig ist. Diese Leute feigen, sie brauchten
keine Medizin der Cherokesen, keine bittern Branntweine von den Pflanzungen,
keine Bourbon Coottails, keine von den tausend tonischen Arzeneien, durch welche
die an Verdauungsbeschwerden leidenden Kinder von Newhork ihren schwachen
Appetit aufreizen und ihr unreines Blut reinigen."

Von den Puritanern am Onaidabach schreibt er: "Es existirt bei ihnen
weder ein praktizirender Advokat noch ein Arzt; im Gegenteil, sie haben angeb¬
lich keine Streitigkeiten und erfreuen sich vollkommener Gesundheit. Nach alter
amerikanischer Gewohnheit -- einer Gewohnheit, welche den englischen Provinzen
entlehnt ist -- frühstückt die Familie um sechs Uhr morgens, speist um zwölf
mittags und nimmt ihr Abendbrot um sechs Uhr abends ein. Einige der
schwächeren Heiligen essen Fleisch vou Vögeln und andern Tieren, die andern
nähren sich nur von Kräutern und Früchten. Vater Noyes ißt aus Gewohn¬
heit Fleisch, aber nur fehr wenig, da er durch Versuche gelernt hat, daß es zu


Gu'nzlwtni II. 1882. !i
Amerikanische Sekten.

Die letztere Bemerkung frappirt. Es ist auffallend, daß er gerade von
falscher Diät sprach, und man forscht der Diät nach, welche diese Sektirer führen.
Die Berichterstatter habe» auf diesen Punkt im ganzen wenig Acht gegeben
und wenig Wert gelegt, da sie wohl der Wichtigkeit desselben nicht so eingedenk
waren, wie es etwa Virchow gewesen sein würde, der geradezu schreibt: „Die
Beschaffung und Zubereitung der Nahrungs- und Genußmittel bildet so sehr
die Grundlage aller menschlichen Thätigkeit, daß nicht nur der einzelne Mensch
in seinen Einrichtungen und Zielen, sondern auch die Gesellschaft und der Staat
in ihrer Gestaltung dadurch bestimmt werden."

Aber wenn auch die Reisenden nicht den gebührenden Wert ans die Frage
der Ernährung bei diesen selten gelegt haben, so bieten doch ihre gelegentlichen
Äußerungen Material genug, um in ihrer Zusammenstellung einen sichern Schluß
zu gestatten. Und da gewahrt man denn, daß die meisten dieser amerikanischen
Sekten, vielleicht alle, gleich den Sekten in Rußland auf die Ernährung durch
Pflanzenkost basirt sind.

Dixon schreibt von den Zitterern in seinem „Um-Amerika": „Die Speisen
sind einfach, obschon in ihrer Art sehr gut und sehr wohlschmeckend zubereitet.
Sie bestehen ganz oder fast ganz ans Produkten der Erde: Tomaten, gerösteten
Äpfeln, Pfirsichen, Kartoffeln, Kürbissen, Maismehl, gekochtem Mais und tgi.
Die Trauben siud ausgezeichnet und erinnern an die von Bethlehem, und die
Eier — harte Eier, gekochte Eier, Rühreier — siud vortrefflich. Das Getraut
ist Wasser, Milch und Thee. Dann giebt es Pasteten, Torten, Zuckerwerk,
getrocknete Früchte und Syrupe. Was mich betrifft, so gewährte man mir, da
ich ein Heide und Sünder war, Coteletten, Hühner und selbstgepreßten Wein.
Gute Nahrung und frische Luft, sagt Friedrich, sind unsere einzigen Arzeneien.
Das rosige Fleisch seiner Leute, eine Farbe, die man nnr selten in den Ver¬
einigten Staaten sieht, scheint diese seine Behauptung zu rechtfertigen, daß an
einem solchen Platze keine andere Arznei nötig ist. Diese Leute feigen, sie brauchten
keine Medizin der Cherokesen, keine bittern Branntweine von den Pflanzungen,
keine Bourbon Coottails, keine von den tausend tonischen Arzeneien, durch welche
die an Verdauungsbeschwerden leidenden Kinder von Newhork ihren schwachen
Appetit aufreizen und ihr unreines Blut reinigen."

Von den Puritanern am Onaidabach schreibt er: „Es existirt bei ihnen
weder ein praktizirender Advokat noch ein Arzt; im Gegenteil, sie haben angeb¬
lich keine Streitigkeiten und erfreuen sich vollkommener Gesundheit. Nach alter
amerikanischer Gewohnheit — einer Gewohnheit, welche den englischen Provinzen
entlehnt ist — frühstückt die Familie um sechs Uhr morgens, speist um zwölf
mittags und nimmt ihr Abendbrot um sechs Uhr abends ein. Einige der
schwächeren Heiligen essen Fleisch vou Vögeln und andern Tieren, die andern
nähren sich nur von Kräutern und Früchten. Vater Noyes ißt aus Gewohn¬
heit Fleisch, aber nur fehr wenig, da er durch Versuche gelernt hat, daß es zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/25>, abgerufen am 22.07.2024.