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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Warum aber ging sie so schnell? Hatte sie bemerkt, daß August Weste,
der eben das nördliche Feld ihres Vaters umbrach, jetzt gerade auf der West¬
seite seines Landes hinnnterpflügte? Wenn sie sich dazu hielt, konnte sie den
Querzaun in dem Augenblicke erreichen, wo er dorthin gelangte, und wo er durch
die Wendung des Hügelhangs den Augen der im Hause befindlichen noch ver¬
borgen war. Und würden nicht ein paar Worte von August Weste ihren Ohren
nach der bissigen Herabsetzung, die ihr von ihrer Mutter zu Teil geworden war,
recht wohl gethan haben? Wir dürfen wenigstens mit einiger Sicherheit an¬
nehmen, daß ein Gefühl der Art sie bewog, als sie flink durch das hohe, wo-
gende Timothygras der Wiese lief, hastig den Baumstamm überschritt, der als
Steg über dem Bache lag, und sich dabei nicht einmal so lange aushielt, um
einen Blick auf die Elritzen zu thun, die, gefleckt von dein Sonnenlicht, das sich
durch die Büsche der Vachweiden stahl, im Wasser hin- und herhuschten. Denn
in ihrer tiefen Vereinsamung hatte Julia Anderson die Vögel, die Eichhörnchen
und die Fische als Gesellschafter lieben gelernt, und nie zuvor in ihrem Leben
war sie über den Wieseubach gegangen, ohne Halt zu machen und dein Spiele
der Elritzen zuzusehen.

Frau Anderson bemerkte alle diese Eile. Oft hatte sie Julien ausgescholten,
daß sie wie eine Närrin mit den Fischen gesprochen, und so fiel es ihr jetzt ans,
daß das unterblieb. Und nun wartete sie nur, bis Julia über deu Hügel weg
war, um uuter dein Schutze des Vrombeerdickichts den Pfad um den Zaun ein¬
zuschlagen, bis sie zu der Gruppe von Erlen kam, von deren Mitte aus sie
deutlich sehen konnte, ob irgend eine Unterredung zwischen ihrer Julia und dem
hübschen jungen Dutchman stattfinde.

In der That, Julia Hütte nicht nötig gehabt, sich so sehr zu beeilen. Denn
August Weste hatte diesen ganzen Tag das eine Auge auf seine Pferde und
das andre auf das Haus gerichtet. Der rasche Blick des Einverständnisses, den
die beiden über Tisch gewechselt hatten, war schuld gewesen, wenn bei der Mutter
Verdacht rege geworden war. Und Weste hatte die Arbeit im Garten, den
Ruf nach dem Hause und den Aufbruch Julias uach dem Pfade beobachtet, der
uach Frau Maleolms Hanse führte. Sein Gesicht hatte sich erhitzt, und seine
Hand hatte gezittert. Einmal hatte er den Stein auf feinem Wege nicht ge¬
sehen, sodaß der Pflug rein aus der Furche hinausgeflogen war. Und als er
in den Schatten des Butternnßbaums gelaugt war, an dem sie ihr Weg vor¬
überführte, war es ihm als gebieterische Notwendigkeit erschienen, den Pferden
Ruhe zu gönnen. Außerdem mußte der Kummetriemen am Braunen fester an¬
gezogen werden, auch war am Halsricmen des alten Dick etwas in Ordnung
zu bringen. Ferner war er nicht sicher, ob dnrch die soeben vorgekommene
Kollision mit dem Steine der Pflock am Grindel nicht locker geworden. Und
so brachte er's uuter dem einen und dem andern Vorwande fertig, sein Weiter¬
pflügen so lange zu verzögern, bis Julia herankam, und dann machte er, ob-


Der jüngste Tag.

Warum aber ging sie so schnell? Hatte sie bemerkt, daß August Weste,
der eben das nördliche Feld ihres Vaters umbrach, jetzt gerade auf der West¬
seite seines Landes hinnnterpflügte? Wenn sie sich dazu hielt, konnte sie den
Querzaun in dem Augenblicke erreichen, wo er dorthin gelangte, und wo er durch
die Wendung des Hügelhangs den Augen der im Hause befindlichen noch ver¬
borgen war. Und würden nicht ein paar Worte von August Weste ihren Ohren
nach der bissigen Herabsetzung, die ihr von ihrer Mutter zu Teil geworden war,
recht wohl gethan haben? Wir dürfen wenigstens mit einiger Sicherheit an¬
nehmen, daß ein Gefühl der Art sie bewog, als sie flink durch das hohe, wo-
gende Timothygras der Wiese lief, hastig den Baumstamm überschritt, der als
Steg über dem Bache lag, und sich dabei nicht einmal so lange aushielt, um
einen Blick auf die Elritzen zu thun, die, gefleckt von dein Sonnenlicht, das sich
durch die Büsche der Vachweiden stahl, im Wasser hin- und herhuschten. Denn
in ihrer tiefen Vereinsamung hatte Julia Anderson die Vögel, die Eichhörnchen
und die Fische als Gesellschafter lieben gelernt, und nie zuvor in ihrem Leben
war sie über den Wieseubach gegangen, ohne Halt zu machen und dein Spiele
der Elritzen zuzusehen.

Frau Anderson bemerkte alle diese Eile. Oft hatte sie Julien ausgescholten,
daß sie wie eine Närrin mit den Fischen gesprochen, und so fiel es ihr jetzt ans,
daß das unterblieb. Und nun wartete sie nur, bis Julia über deu Hügel weg
war, um uuter dein Schutze des Vrombeerdickichts den Pfad um den Zaun ein¬
zuschlagen, bis sie zu der Gruppe von Erlen kam, von deren Mitte aus sie
deutlich sehen konnte, ob irgend eine Unterredung zwischen ihrer Julia und dem
hübschen jungen Dutchman stattfinde.

In der That, Julia Hütte nicht nötig gehabt, sich so sehr zu beeilen. Denn
August Weste hatte diesen ganzen Tag das eine Auge auf seine Pferde und
das andre auf das Haus gerichtet. Der rasche Blick des Einverständnisses, den
die beiden über Tisch gewechselt hatten, war schuld gewesen, wenn bei der Mutter
Verdacht rege geworden war. Und Weste hatte die Arbeit im Garten, den
Ruf nach dem Hause und den Aufbruch Julias uach dem Pfade beobachtet, der
uach Frau Maleolms Hanse führte. Sein Gesicht hatte sich erhitzt, und seine
Hand hatte gezittert. Einmal hatte er den Stein auf feinem Wege nicht ge¬
sehen, sodaß der Pflug rein aus der Furche hinausgeflogen war. Und als er
in den Schatten des Butternnßbaums gelaugt war, an dem sie ihr Weg vor¬
überführte, war es ihm als gebieterische Notwendigkeit erschienen, den Pferden
Ruhe zu gönnen. Außerdem mußte der Kummetriemen am Braunen fester an¬
gezogen werden, auch war am Halsricmen des alten Dick etwas in Ordnung
zu bringen. Ferner war er nicht sicher, ob dnrch die soeben vorgekommene
Kollision mit dem Steine der Pflock am Grindel nicht locker geworden. Und
so brachte er's uuter dem einen und dem andern Vorwande fertig, sein Weiter¬
pflügen so lange zu verzögern, bis Julia herankam, und dann machte er, ob-


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[0242] Der jüngste Tag. Warum aber ging sie so schnell? Hatte sie bemerkt, daß August Weste, der eben das nördliche Feld ihres Vaters umbrach, jetzt gerade auf der West¬ seite seines Landes hinnnterpflügte? Wenn sie sich dazu hielt, konnte sie den Querzaun in dem Augenblicke erreichen, wo er dorthin gelangte, und wo er durch die Wendung des Hügelhangs den Augen der im Hause befindlichen noch ver¬ borgen war. Und würden nicht ein paar Worte von August Weste ihren Ohren nach der bissigen Herabsetzung, die ihr von ihrer Mutter zu Teil geworden war, recht wohl gethan haben? Wir dürfen wenigstens mit einiger Sicherheit an¬ nehmen, daß ein Gefühl der Art sie bewog, als sie flink durch das hohe, wo- gende Timothygras der Wiese lief, hastig den Baumstamm überschritt, der als Steg über dem Bache lag, und sich dabei nicht einmal so lange aushielt, um einen Blick auf die Elritzen zu thun, die, gefleckt von dein Sonnenlicht, das sich durch die Büsche der Vachweiden stahl, im Wasser hin- und herhuschten. Denn in ihrer tiefen Vereinsamung hatte Julia Anderson die Vögel, die Eichhörnchen und die Fische als Gesellschafter lieben gelernt, und nie zuvor in ihrem Leben war sie über den Wieseubach gegangen, ohne Halt zu machen und dein Spiele der Elritzen zuzusehen. Frau Anderson bemerkte alle diese Eile. Oft hatte sie Julien ausgescholten, daß sie wie eine Närrin mit den Fischen gesprochen, und so fiel es ihr jetzt ans, daß das unterblieb. Und nun wartete sie nur, bis Julia über deu Hügel weg war, um uuter dein Schutze des Vrombeerdickichts den Pfad um den Zaun ein¬ zuschlagen, bis sie zu der Gruppe von Erlen kam, von deren Mitte aus sie deutlich sehen konnte, ob irgend eine Unterredung zwischen ihrer Julia und dem hübschen jungen Dutchman stattfinde. In der That, Julia Hütte nicht nötig gehabt, sich so sehr zu beeilen. Denn August Weste hatte diesen ganzen Tag das eine Auge auf seine Pferde und das andre auf das Haus gerichtet. Der rasche Blick des Einverständnisses, den die beiden über Tisch gewechselt hatten, war schuld gewesen, wenn bei der Mutter Verdacht rege geworden war. Und Weste hatte die Arbeit im Garten, den Ruf nach dem Hause und den Aufbruch Julias uach dem Pfade beobachtet, der uach Frau Maleolms Hanse führte. Sein Gesicht hatte sich erhitzt, und seine Hand hatte gezittert. Einmal hatte er den Stein auf feinem Wege nicht ge¬ sehen, sodaß der Pflug rein aus der Furche hinausgeflogen war. Und als er in den Schatten des Butternnßbaums gelaugt war, an dem sie ihr Weg vor¬ überführte, war es ihm als gebieterische Notwendigkeit erschienen, den Pferden Ruhe zu gönnen. Außerdem mußte der Kummetriemen am Braunen fester an¬ gezogen werden, auch war am Halsricmen des alten Dick etwas in Ordnung zu bringen. Ferner war er nicht sicher, ob dnrch die soeben vorgekommene Kollision mit dem Steine der Pflock am Grindel nicht locker geworden. Und so brachte er's uuter dem einen und dem andern Vorwande fertig, sein Weiter¬ pflügen so lange zu verzögern, bis Julia herankam, und dann machte er, ob-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/242>, abgerufen am 22.07.2024.