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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Amerikanische Sekten.

Es ist naturgemäß, daß die Lebensweise dieser Leute rauh und hart, ihre
Kleidung einfach ist. Auch hierin stimmen alle diese verschiedenen Sekten überein,
da sie ja dieselbe Arbeit thun. Sie tragen zwar verschiedenartige Kleidung, aber
bei allen, bei Frauen wie Männern, zeichnet sich dieselbe durch Einfachheit, Zweck¬
mäßigkeit und Güte der Stoffe aus, während sie zugleich so gearbeitet ist, daß
auch den Frauen körperliche Thätigkeit ermöglicht wird. So schreibt Schlag-
intweit: "Gänzlich verbannt ist bei den Mormonen der Luxus. Männer sowohl
als Frauen und Kinder gehen zwar äußerst sauber und reinlich, aber in wahr¬
haft rührender Einfachheit der Kleidung und des Haarputzes einher." Als
musterhaft in dieser Art wird die Tracht der puritanischen Frauen in den von
Noyes gegründeten Vibelgemeinden geschildert, Sie kann ans jedem Stoffe und
von jeder Farbe gemacht werden, obschon Braun und Blau die gewöhnliche
Farbe zum Tragen auf der Straße, und Weiß des Abends in der Gesellschafts¬
halle ist. Musselin, Baumwolle und eine derbe Seide sind die Materialien
drzu. Die Damen tragen das Haar kurz geschnitten und in der Mitte gescheitelt.
Korsets werden nicht getragen. Eine bis auf die Knie fallende Tunika, weite
Beinkleider aus demselben Stoffe, eine bis an den Hals zugeknöpfte Weste, kurze
herabhängende Ärmel und ein Strohhut, diese einfachen Gegenstände geben zu¬
sammen eine Kleidung ab, in welcher eine schlichte Fran nicht besonders auf¬
fällt, und in welcher ein hübsches Mädchen allerliebst aussieht. Wahre Spar¬
samkeit, sagen die Puritaner, macht ihr Kleid rein und nett. Ein gutes Kleid
ist billiger als zwei geringe Kleider. Ein guter Anzug ist eine Gewohnheit der
Seele, nicht eine Frage für den Beutel."

Erstaunlich ist -- während die Einfachheit in Tracht und Sitte bei solcher
Arbeit ja natürlich ist -- daß, wie alle Schilderungen hervorheben, Krankheit
unter diesen Sekten fast ganz unbekannt ist. "Wir haben in sechsunddreißig
Jahren nur einen einzigen Fieberfall gehabt und wir schämen uns, daß wir den
einen hatten, denn es war unsre Schuld," erzählte die Vorsteherin der 1500 Seelen
starken puritanischen Gemeinde am Onaidabach dem sie besuchenden Dixon. Als
Brigham Joung mit 142 Begleitern im Jahre 1847 von Illinois aus einen
dreimonatlichen Zug durch ganz unbekannte Gegenden, die zum größten Teile
wüst waren, unter den herbsten Entbehrungen vollführte, zum Zweck der Re-
kognoszirung neuer Ansiedlungen am Salzsee, da verlor er bei dem Unternehmen
nicht einen einzigen Mann. Kein einziger Berichterstatter erwähnt, daß er Ärzte
nnter den Sekten angetroffen hätte; dagegen führt Dixon bei den Zitterern und
Puritanern, die damals an Zahl gegen 12 000 waren, ausdrücklich an, daß es
bei ihnen keine Ärzte gäbe. Vater Friedrich zu Berg Libanon sagte spöttisch
zu Dixon: Ist es nicht wunderbar, daß ihr klugen Weltkinder eine Sorte
Menschen unterhaltet, die auf der Lauer liegen, bis ihr infolge falscher Diät
krank werdet, und die dann kommen und euch für euer Geld mit Droguen
vergiften?


Amerikanische Sekten.

Es ist naturgemäß, daß die Lebensweise dieser Leute rauh und hart, ihre
Kleidung einfach ist. Auch hierin stimmen alle diese verschiedenen Sekten überein,
da sie ja dieselbe Arbeit thun. Sie tragen zwar verschiedenartige Kleidung, aber
bei allen, bei Frauen wie Männern, zeichnet sich dieselbe durch Einfachheit, Zweck¬
mäßigkeit und Güte der Stoffe aus, während sie zugleich so gearbeitet ist, daß
auch den Frauen körperliche Thätigkeit ermöglicht wird. So schreibt Schlag-
intweit: „Gänzlich verbannt ist bei den Mormonen der Luxus. Männer sowohl
als Frauen und Kinder gehen zwar äußerst sauber und reinlich, aber in wahr¬
haft rührender Einfachheit der Kleidung und des Haarputzes einher." Als
musterhaft in dieser Art wird die Tracht der puritanischen Frauen in den von
Noyes gegründeten Vibelgemeinden geschildert, Sie kann ans jedem Stoffe und
von jeder Farbe gemacht werden, obschon Braun und Blau die gewöhnliche
Farbe zum Tragen auf der Straße, und Weiß des Abends in der Gesellschafts¬
halle ist. Musselin, Baumwolle und eine derbe Seide sind die Materialien
drzu. Die Damen tragen das Haar kurz geschnitten und in der Mitte gescheitelt.
Korsets werden nicht getragen. Eine bis auf die Knie fallende Tunika, weite
Beinkleider aus demselben Stoffe, eine bis an den Hals zugeknöpfte Weste, kurze
herabhängende Ärmel und ein Strohhut, diese einfachen Gegenstände geben zu¬
sammen eine Kleidung ab, in welcher eine schlichte Fran nicht besonders auf¬
fällt, und in welcher ein hübsches Mädchen allerliebst aussieht. Wahre Spar¬
samkeit, sagen die Puritaner, macht ihr Kleid rein und nett. Ein gutes Kleid
ist billiger als zwei geringe Kleider. Ein guter Anzug ist eine Gewohnheit der
Seele, nicht eine Frage für den Beutel."

Erstaunlich ist — während die Einfachheit in Tracht und Sitte bei solcher
Arbeit ja natürlich ist — daß, wie alle Schilderungen hervorheben, Krankheit
unter diesen Sekten fast ganz unbekannt ist. „Wir haben in sechsunddreißig
Jahren nur einen einzigen Fieberfall gehabt und wir schämen uns, daß wir den
einen hatten, denn es war unsre Schuld," erzählte die Vorsteherin der 1500 Seelen
starken puritanischen Gemeinde am Onaidabach dem sie besuchenden Dixon. Als
Brigham Joung mit 142 Begleitern im Jahre 1847 von Illinois aus einen
dreimonatlichen Zug durch ganz unbekannte Gegenden, die zum größten Teile
wüst waren, unter den herbsten Entbehrungen vollführte, zum Zweck der Re-
kognoszirung neuer Ansiedlungen am Salzsee, da verlor er bei dem Unternehmen
nicht einen einzigen Mann. Kein einziger Berichterstatter erwähnt, daß er Ärzte
nnter den Sekten angetroffen hätte; dagegen führt Dixon bei den Zitterern und
Puritanern, die damals an Zahl gegen 12 000 waren, ausdrücklich an, daß es
bei ihnen keine Ärzte gäbe. Vater Friedrich zu Berg Libanon sagte spöttisch
zu Dixon: Ist es nicht wunderbar, daß ihr klugen Weltkinder eine Sorte
Menschen unterhaltet, die auf der Lauer liegen, bis ihr infolge falscher Diät
krank werdet, und die dann kommen und euch für euer Geld mit Droguen
vergiften?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/24>, abgerufen am 22.07.2024.