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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

Feuilletonisten thun freiwillig, wils dem armen Schinock in Freytags "Journa¬
listen" so schwer wird, sie geben Aufsätze "aus lauter Brillanten." Freilich was
für Brillanten! schillernder Glanz bürgt nicht für die Echtheit des Wertes.
Sie häufen Witze, Bilder und Antithesen, drechsclu die Sätze zu zierlichen
Kränzchen, feilen die Gedanken zu den schärfsten Spitzen, gaukeln in Paradoxen
hin und wieder und spielen mutwillig mit einer Fülle von schaumgoldnen Kngeln.
Es ist unmöglich, ohne Abspannung dreißig Seiten Wiener Feuilleton zu lesen,
das immer prickelt und schillert, reizt und stichelt, aber nie befriedigt, nie Ruhe-
punkte giebt. Wer es vermöchte, tränke Liqueur ans Wassergläsern. Und doch
unter das einzelne Feuilletonisten ihren Lesern zu, wenn sie ihre Vlättchen zu
Büchern geschichtet herausgeben, um sich ein Winkelchen in der deutscheu Literatur
zu sichern. Wir kommen hierauf noch zurück. Für jetzt sei nur bemerkt, daß
erst bei der Vergleichung mit der edeln Einfachheit des Bnchstils die anspruchs¬
volle Nichtigkeit, die kunstwidrige Aufdringlichkeit der feuilletonistischen Schreib¬
weise ganz zu Tage tritt. Die einzelnen Sätze, die sich in neidischem Schil¬
lern aneinanderstoßen und eigensüchtig zu überstrahlen suchen, ordnen sich
nie zu einem einträchtigen Gedankenstrom zusammen, der im Buche so be¬
zaubernd wirkt, sie führen jeder mit seinem Nachbar Krieg, wie die eisernen
Männer des Jason. Ein umfassender Aufbau, der in die Weite und Hohe
trachtet, kann dabei nicht gelingen; er ist ohne Unterordnung unmöglich. Wir
können eilten Stil nicht schön finden, ja wir können eine Schreibweise in Wahr¬
heit gar nicht Stil nennen, welche das, was man von je als Kennzeichen der
Manier angesehen hat, zum leitenden Grundsatz erhebt, die schonungslose Ein¬
zwängung des Gegenstündlichen in eine durch willkürliches Belieben gebildete
Form. Die geistreichste Manier aber ist hier, als die in der Regel willkürlichste,
am meisten zu mißbilligen.

Können wir schon die künstlerisch formale Seite des Fenilletonstiles nicht
billigen, so müssen wir die rein sprachliche entschieden verdamme". Das Feuilleton
schleppt die zahlreichen Neubildungen, welche das tägliche Bedürfnis und ge¬
dankenlose Schinderei in den Spalten unsrer Zeitungen täglich gebiert, in die
Literatur hinüber; das Feuilleton schmuggelt, in dem Bestreben, dnrch unge-
wohnte Ausdrucksweise neue Reize zu erzengen, täglich neue Fremdwörter, vor¬
züglich aus den benachbarten französischen Zeitungen, in unsre dnrch unnütze
Fremdwörter schon übermäßig belastete Muttersprache ein. Das Feuilleton be¬
fördert durch seine flüchtige Schreibweise das Streben unsrer "zeitungsdeutschen"
Zeit, die wenigen festen syntaktischen Bande, die unsrer Sprache noch eigen sind,
und wenigstens einen Ansatz zum Periodenbau gestatten, vollends aufzulösen.
Dies durch viele Beispiele zu belegen, würde hier zu weit in grammatisch-
stilistische Einzelheiten führen.

Wir greifen aus der Fülle vou Beispielen nnr einen Mann heraus, der
den Lesern dieser Blätter vielleicht bekannt sein wird. Gerhard von Amyntor.


Das heutige Feuilleton.

Feuilletonisten thun freiwillig, wils dem armen Schinock in Freytags „Journa¬
listen" so schwer wird, sie geben Aufsätze „aus lauter Brillanten." Freilich was
für Brillanten! schillernder Glanz bürgt nicht für die Echtheit des Wertes.
Sie häufen Witze, Bilder und Antithesen, drechsclu die Sätze zu zierlichen
Kränzchen, feilen die Gedanken zu den schärfsten Spitzen, gaukeln in Paradoxen
hin und wieder und spielen mutwillig mit einer Fülle von schaumgoldnen Kngeln.
Es ist unmöglich, ohne Abspannung dreißig Seiten Wiener Feuilleton zu lesen,
das immer prickelt und schillert, reizt und stichelt, aber nie befriedigt, nie Ruhe-
punkte giebt. Wer es vermöchte, tränke Liqueur ans Wassergläsern. Und doch
unter das einzelne Feuilletonisten ihren Lesern zu, wenn sie ihre Vlättchen zu
Büchern geschichtet herausgeben, um sich ein Winkelchen in der deutscheu Literatur
zu sichern. Wir kommen hierauf noch zurück. Für jetzt sei nur bemerkt, daß
erst bei der Vergleichung mit der edeln Einfachheit des Bnchstils die anspruchs¬
volle Nichtigkeit, die kunstwidrige Aufdringlichkeit der feuilletonistischen Schreib¬
weise ganz zu Tage tritt. Die einzelnen Sätze, die sich in neidischem Schil¬
lern aneinanderstoßen und eigensüchtig zu überstrahlen suchen, ordnen sich
nie zu einem einträchtigen Gedankenstrom zusammen, der im Buche so be¬
zaubernd wirkt, sie führen jeder mit seinem Nachbar Krieg, wie die eisernen
Männer des Jason. Ein umfassender Aufbau, der in die Weite und Hohe
trachtet, kann dabei nicht gelingen; er ist ohne Unterordnung unmöglich. Wir
können eilten Stil nicht schön finden, ja wir können eine Schreibweise in Wahr¬
heit gar nicht Stil nennen, welche das, was man von je als Kennzeichen der
Manier angesehen hat, zum leitenden Grundsatz erhebt, die schonungslose Ein¬
zwängung des Gegenstündlichen in eine durch willkürliches Belieben gebildete
Form. Die geistreichste Manier aber ist hier, als die in der Regel willkürlichste,
am meisten zu mißbilligen.

Können wir schon die künstlerisch formale Seite des Fenilletonstiles nicht
billigen, so müssen wir die rein sprachliche entschieden verdamme». Das Feuilleton
schleppt die zahlreichen Neubildungen, welche das tägliche Bedürfnis und ge¬
dankenlose Schinderei in den Spalten unsrer Zeitungen täglich gebiert, in die
Literatur hinüber; das Feuilleton schmuggelt, in dem Bestreben, dnrch unge-
wohnte Ausdrucksweise neue Reize zu erzengen, täglich neue Fremdwörter, vor¬
züglich aus den benachbarten französischen Zeitungen, in unsre dnrch unnütze
Fremdwörter schon übermäßig belastete Muttersprache ein. Das Feuilleton be¬
fördert durch seine flüchtige Schreibweise das Streben unsrer „zeitungsdeutschen"
Zeit, die wenigen festen syntaktischen Bande, die unsrer Sprache noch eigen sind,
und wenigstens einen Ansatz zum Periodenbau gestatten, vollends aufzulösen.
Dies durch viele Beispiele zu belegen, würde hier zu weit in grammatisch-
stilistische Einzelheiten führen.

Wir greifen aus der Fülle vou Beispielen nnr einen Mann heraus, der
den Lesern dieser Blätter vielleicht bekannt sein wird. Gerhard von Amyntor.


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[0228] Das heutige Feuilleton. Feuilletonisten thun freiwillig, wils dem armen Schinock in Freytags „Journa¬ listen" so schwer wird, sie geben Aufsätze „aus lauter Brillanten." Freilich was für Brillanten! schillernder Glanz bürgt nicht für die Echtheit des Wertes. Sie häufen Witze, Bilder und Antithesen, drechsclu die Sätze zu zierlichen Kränzchen, feilen die Gedanken zu den schärfsten Spitzen, gaukeln in Paradoxen hin und wieder und spielen mutwillig mit einer Fülle von schaumgoldnen Kngeln. Es ist unmöglich, ohne Abspannung dreißig Seiten Wiener Feuilleton zu lesen, das immer prickelt und schillert, reizt und stichelt, aber nie befriedigt, nie Ruhe- punkte giebt. Wer es vermöchte, tränke Liqueur ans Wassergläsern. Und doch unter das einzelne Feuilletonisten ihren Lesern zu, wenn sie ihre Vlättchen zu Büchern geschichtet herausgeben, um sich ein Winkelchen in der deutscheu Literatur zu sichern. Wir kommen hierauf noch zurück. Für jetzt sei nur bemerkt, daß erst bei der Vergleichung mit der edeln Einfachheit des Bnchstils die anspruchs¬ volle Nichtigkeit, die kunstwidrige Aufdringlichkeit der feuilletonistischen Schreib¬ weise ganz zu Tage tritt. Die einzelnen Sätze, die sich in neidischem Schil¬ lern aneinanderstoßen und eigensüchtig zu überstrahlen suchen, ordnen sich nie zu einem einträchtigen Gedankenstrom zusammen, der im Buche so be¬ zaubernd wirkt, sie führen jeder mit seinem Nachbar Krieg, wie die eisernen Männer des Jason. Ein umfassender Aufbau, der in die Weite und Hohe trachtet, kann dabei nicht gelingen; er ist ohne Unterordnung unmöglich. Wir können eilten Stil nicht schön finden, ja wir können eine Schreibweise in Wahr¬ heit gar nicht Stil nennen, welche das, was man von je als Kennzeichen der Manier angesehen hat, zum leitenden Grundsatz erhebt, die schonungslose Ein¬ zwängung des Gegenstündlichen in eine durch willkürliches Belieben gebildete Form. Die geistreichste Manier aber ist hier, als die in der Regel willkürlichste, am meisten zu mißbilligen. Können wir schon die künstlerisch formale Seite des Fenilletonstiles nicht billigen, so müssen wir die rein sprachliche entschieden verdamme». Das Feuilleton schleppt die zahlreichen Neubildungen, welche das tägliche Bedürfnis und ge¬ dankenlose Schinderei in den Spalten unsrer Zeitungen täglich gebiert, in die Literatur hinüber; das Feuilleton schmuggelt, in dem Bestreben, dnrch unge- wohnte Ausdrucksweise neue Reize zu erzengen, täglich neue Fremdwörter, vor¬ züglich aus den benachbarten französischen Zeitungen, in unsre dnrch unnütze Fremdwörter schon übermäßig belastete Muttersprache ein. Das Feuilleton be¬ fördert durch seine flüchtige Schreibweise das Streben unsrer „zeitungsdeutschen" Zeit, die wenigen festen syntaktischen Bande, die unsrer Sprache noch eigen sind, und wenigstens einen Ansatz zum Periodenbau gestatten, vollends aufzulösen. Dies durch viele Beispiele zu belegen, würde hier zu weit in grammatisch- stilistische Einzelheiten führen. Wir greifen aus der Fülle vou Beispielen nnr einen Mann heraus, der den Lesern dieser Blätter vielleicht bekannt sein wird. Gerhard von Amyntor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/228>, abgerufen am 23.07.2024.