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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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ling einer literarischen Form, die bei Heine und Börne in der deutschen Lite¬
ratur um doch einmal mitgezählt werden muß, in einer Zeit, in welcher das jour¬
nalistische Literatentum breit und behäbig den deutschen Parnaß besitzt, lind ein
Dichter, der nicht Journalist ist, als ein ungeschickter Geschäftsmann belächelt
wird, hat wenigstens das Feuilleton als Gattung begründetes Recht, ans seinen
literarischen Stammbaum geprüft zu werden. In der That fehlt unter den
mannichfachen Zeichen eines überreizten Geschmackes, die Schlegel als Vorboten
eines nahen Todes anführt, vom Interessanten bis zum Choqnanten keines im
heutigen Feuilleton, wie keines in der Dichtung gefehlt hat, die von der roman¬
tischen Schule bis auf unsre "realistischen" Romanschreiber führte. Aber das
Interessante, das für Schlegel noch ein objektiv interessantes des darzustellenden
Gegenstandes war, welches künstlerischen Wert nicht ausschloß, ist hier zum Pi¬
kanten einer prickelnden, verkünstelten Form geworden, die um des lieben Effekts
willen jeden beliebigen Gegenstand mit ihrer Brühe übergießt. Der echte Feuille-
tonist schreibt über die Generalsynode genan so "reizend pikant" wie über die
Aufführung der neuesten Pariser Operette. Er zwingt mit gewaltthätiger Mi߬
achtung der besondern Natur der Gegenstände einem jeden seine eigne leicht¬
fertige Weise auf.

Es ist eine bedeutungsvolle Thatsache, daß uns, bei allem Aufschwung der
auf sinnlicher Beobachtung ruhenden Naturwissenschaften, die Fähigkeit gegen-
ständlicher Schilderung erschreckend verloren gegangen ist. Wir Deutschen haben
darin große Meister gehabt, obwohl wir im ganzen glücklicheren Völkern nach¬
stehen mußten, die uns in klarer Gestaltung der umgebenden Welt übertreffen.
Aber dem großen Vorbilde, das Meister wie Goethe und Alexander von Hum¬
boldt uns gegeben, wissen wir nicht mehr zu folgen. Blendende Beleuchtung,
scharfe Schlaglichter, dramatische Accente, willkürliche Betonung einzelner Teile,
geistreiche Auffassung und überraschende Gruppirung, alles einseitige Halbvor¬
züge der Subjektivität, sollen ersetzen, was an ruhig sicherer Zeichnung der
Linien, um liebevoller Gegenständlichkeit der Auffassung zu vermissen ist. Die
heutige kritisch forschende Schule von Historikern kann man unsrer Behaup¬
tung nicht entgegenhalten, denn wieviele dieser gelehrten Geschichtsforscher
wissen sich wirklich einen Platz in der Literatur ihres Volkes zu erringen wie
ihr Meister Leopold von Ranke? Wieviele lernen überhaupt künstlerisch dar¬
stellen? Wie viele dringen über den engen Kreis von Fachgenossen hinaus, dem
es nur um den Stoff zu thun ist? Einem der wenigen, denen das gelangen
ist. dem "zeitungsgerühmtesten" Historiker dieser Jahre, Theodor Mommsen, ist
der Vorwurf geistreich gefärbter Subjektivität nicht zu ersparen; vor eilten ist
ihm vorzuhalten, daß er die politischen Gegensätze der Gegenwart in die ge¬
geschichtlich dargestellte Vergangenheit hineingetragen hat.

Es wäre ungerecht, wollte man dem Feuilleton allein oder hauptsächlich
die Schuld für diese Entwicklung beimessen; verdankt es doch seine Ausbildung


ling einer literarischen Form, die bei Heine und Börne in der deutschen Lite¬
ratur um doch einmal mitgezählt werden muß, in einer Zeit, in welcher das jour¬
nalistische Literatentum breit und behäbig den deutschen Parnaß besitzt, lind ein
Dichter, der nicht Journalist ist, als ein ungeschickter Geschäftsmann belächelt
wird, hat wenigstens das Feuilleton als Gattung begründetes Recht, ans seinen
literarischen Stammbaum geprüft zu werden. In der That fehlt unter den
mannichfachen Zeichen eines überreizten Geschmackes, die Schlegel als Vorboten
eines nahen Todes anführt, vom Interessanten bis zum Choqnanten keines im
heutigen Feuilleton, wie keines in der Dichtung gefehlt hat, die von der roman¬
tischen Schule bis auf unsre „realistischen" Romanschreiber führte. Aber das
Interessante, das für Schlegel noch ein objektiv interessantes des darzustellenden
Gegenstandes war, welches künstlerischen Wert nicht ausschloß, ist hier zum Pi¬
kanten einer prickelnden, verkünstelten Form geworden, die um des lieben Effekts
willen jeden beliebigen Gegenstand mit ihrer Brühe übergießt. Der echte Feuille-
tonist schreibt über die Generalsynode genan so „reizend pikant" wie über die
Aufführung der neuesten Pariser Operette. Er zwingt mit gewaltthätiger Mi߬
achtung der besondern Natur der Gegenstände einem jeden seine eigne leicht¬
fertige Weise auf.

Es ist eine bedeutungsvolle Thatsache, daß uns, bei allem Aufschwung der
auf sinnlicher Beobachtung ruhenden Naturwissenschaften, die Fähigkeit gegen-
ständlicher Schilderung erschreckend verloren gegangen ist. Wir Deutschen haben
darin große Meister gehabt, obwohl wir im ganzen glücklicheren Völkern nach¬
stehen mußten, die uns in klarer Gestaltung der umgebenden Welt übertreffen.
Aber dem großen Vorbilde, das Meister wie Goethe und Alexander von Hum¬
boldt uns gegeben, wissen wir nicht mehr zu folgen. Blendende Beleuchtung,
scharfe Schlaglichter, dramatische Accente, willkürliche Betonung einzelner Teile,
geistreiche Auffassung und überraschende Gruppirung, alles einseitige Halbvor¬
züge der Subjektivität, sollen ersetzen, was an ruhig sicherer Zeichnung der
Linien, um liebevoller Gegenständlichkeit der Auffassung zu vermissen ist. Die
heutige kritisch forschende Schule von Historikern kann man unsrer Behaup¬
tung nicht entgegenhalten, denn wieviele dieser gelehrten Geschichtsforscher
wissen sich wirklich einen Platz in der Literatur ihres Volkes zu erringen wie
ihr Meister Leopold von Ranke? Wieviele lernen überhaupt künstlerisch dar¬
stellen? Wie viele dringen über den engen Kreis von Fachgenossen hinaus, dem
es nur um den Stoff zu thun ist? Einem der wenigen, denen das gelangen
ist. dem „zeitungsgerühmtesten" Historiker dieser Jahre, Theodor Mommsen, ist
der Vorwurf geistreich gefärbter Subjektivität nicht zu ersparen; vor eilten ist
ihm vorzuhalten, daß er die politischen Gegensätze der Gegenwart in die ge¬
geschichtlich dargestellte Vergangenheit hineingetragen hat.

Es wäre ungerecht, wollte man dem Feuilleton allein oder hauptsächlich
die Schuld für diese Entwicklung beimessen; verdankt es doch seine Ausbildung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/226>, abgerufen am 22.07.2024.