Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.Das heutige Feuilleton. Artikel über die Stoffe des Tages und eine Fülle von Rubriken "Was sich Aber dieser Witz ist nicht der Alleinherrscher, auch er steht im Dienste eiues Grenzl'^U'ii >>t, 1L82, W
Das heutige Feuilleton. Artikel über die Stoffe des Tages und eine Fülle von Rubriken »Was sich Aber dieser Witz ist nicht der Alleinherrscher, auch er steht im Dienste eiues Grenzl'^U'ii >>t, 1L82, W
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193566"/> <fw type="header" place="top"> Das heutige Feuilleton.</fw><lb/> <p xml:id="ID_722" prev="#ID_721"> Artikel über die Stoffe des Tages und eine Fülle von Rubriken »Was sich<lb/> Berlin erzählt,« »Hof und Gesellschaft,« »Hier und dort,« »Vor den Kulissen,«<lb/> »Hinter den Kulisse«,« »Auf der Parlamentstribüne,« »Im Parlamentsfoyer,«<lb/> »Charalterköpse,« »In den Ferien« .... jede redigirt von einer ersten fenille-<lb/> tonistischen oder politischen Kraft —, sie werden in stetem buntem Wechsel das<lb/> Interesse durch ihre Frische, ihre Mannichfaltigkeit rege halten " Man kann<lb/> diese knoblauchdnftende Anzeige, die sich auf die Ausbeutung der gemeinsten<lb/> Skandalsucht gründet und zweideutige Klatscherei in ein System bringt, uicht<lb/> ohne ein Gefühl tiefer Verachtung lesen, dem nur das des schmerzlichen Be¬<lb/> dauerns gleichkommt, daß solch widriger geistiger Schacher wirklich „erste" deutsche<lb/> Schriftsteller dienstwillig findet, daß solch klotzig grobe Anpreisung hoffen darf,<lb/> Leser anzulocken. Das Hauptreizmittel aber dieser Art für Volksbildung be¬<lb/> sorgten Presse ist jener jubelnde Allerweltswitz, der heute Zeitungen wie Bühne<lb/> giftig kalauernd beherrscht. Unsre wahrhaft großen Schriftsteller in ihrer kalten<lb/> Verachtung des löschpapiernen Zeitungswesens verschmähte» mit einfacher Größe<lb/> jene witzelude Gefallsucht; wie übel berufen sich unsre neujüdischeu Allerwelts-<lb/> witzlinge uns Lessing, der nie unwissende Bosheit mit Witzeleien deckte! Lessings<lb/> Witz ist eil, sachlicher, stachlicher Witz; er vernichtet, wen er trifft, dem Pfeile<lb/> vergleichbar, den der Schütze geradehin laeues im Kampfe versendet; man zeige<lb/> mir eine Stelle, an der Lessing witzelt um des Witzes willen! Die Witzeleien<lb/> seiner vermeintlichen Jünger sind hämisch läppische Nadelstiche, bisweilen in Gift<lb/> getauchte, und Witz um jeden Preis ist ihre Lösung. Sie würden sich selbst<lb/> bewitzeln, wenn die übrige Welt ihnen keinen Stoff mehr böte.</p><lb/> <p xml:id="ID_723" next="#ID_724"> Aber dieser Witz ist nicht der Alleinherrscher, auch er steht im Dienste eiues<lb/> Mächtigere», des interessant pikanten, dem das ganze Feuilleton dienstbar ist. Es<lb/> wäre lohnend, die Entwicklung des „Interessanten" in der deutschen Literatur<lb/> zu verfolgen, vom ersten schüchternen Aufleuchten in der steifleinenen Altväter¬<lb/> lichkeit, entzündet durch romanische und französische Einflüsse, bis auf die heu¬<lb/> tigen Schriftsteller, die sich „pikanter" Darstellungsweise „interessanter" Gegen¬<lb/> stünde befleißigen. Friedrich Schlegel, der geistige Führer der romantischen<lb/> Schule, der, halb noch ein „gelehrter Schriftsteller" im Sinne Lessings, als<lb/> Vertreter des Überganges zum modernen Literatentum gelten kann, nennt das<lb/> Interessante die Seele der modernen Poesie. Vom Interessanten führt nach<lb/> Schlegel die Begierde nach verstärkten Reizen einerseits über das „Pikante" zum<lb/> „Frappanten." andrerseits zum „Faden" und „Chvquanten." Schlegel hat hier<lb/> als ein Prophet, der seiue eignen Voraussagen später selbst bethätigend bestätigte,<lb/> die Stufenleiter der Weiterentwicklung richtig angegeben, die eine Entwicklung<lb/> zum Häßlichen wurde. Wir denken nicht daran, den Troß der heutigen Feuille-<lb/> tonisten oder auch nur die ersten unter ihnen im Ernst zu den deutschen Schrift¬<lb/> stellern zu zählen, als solche, die ein Anrecht auf literarische Vetrachtuug hätten.<lb/> Mit dem Zeitungshonorare haben sie ihren Lohn dahin. Aber als Abkömm-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzl'^U'ii >>t, 1L82, W</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0225]
Das heutige Feuilleton.
Artikel über die Stoffe des Tages und eine Fülle von Rubriken »Was sich
Berlin erzählt,« »Hof und Gesellschaft,« »Hier und dort,« »Vor den Kulissen,«
»Hinter den Kulisse«,« »Auf der Parlamentstribüne,« »Im Parlamentsfoyer,«
»Charalterköpse,« »In den Ferien« .... jede redigirt von einer ersten fenille-
tonistischen oder politischen Kraft —, sie werden in stetem buntem Wechsel das
Interesse durch ihre Frische, ihre Mannichfaltigkeit rege halten " Man kann
diese knoblauchdnftende Anzeige, die sich auf die Ausbeutung der gemeinsten
Skandalsucht gründet und zweideutige Klatscherei in ein System bringt, uicht
ohne ein Gefühl tiefer Verachtung lesen, dem nur das des schmerzlichen Be¬
dauerns gleichkommt, daß solch widriger geistiger Schacher wirklich „erste" deutsche
Schriftsteller dienstwillig findet, daß solch klotzig grobe Anpreisung hoffen darf,
Leser anzulocken. Das Hauptreizmittel aber dieser Art für Volksbildung be¬
sorgten Presse ist jener jubelnde Allerweltswitz, der heute Zeitungen wie Bühne
giftig kalauernd beherrscht. Unsre wahrhaft großen Schriftsteller in ihrer kalten
Verachtung des löschpapiernen Zeitungswesens verschmähte» mit einfacher Größe
jene witzelude Gefallsucht; wie übel berufen sich unsre neujüdischeu Allerwelts-
witzlinge uns Lessing, der nie unwissende Bosheit mit Witzeleien deckte! Lessings
Witz ist eil, sachlicher, stachlicher Witz; er vernichtet, wen er trifft, dem Pfeile
vergleichbar, den der Schütze geradehin laeues im Kampfe versendet; man zeige
mir eine Stelle, an der Lessing witzelt um des Witzes willen! Die Witzeleien
seiner vermeintlichen Jünger sind hämisch läppische Nadelstiche, bisweilen in Gift
getauchte, und Witz um jeden Preis ist ihre Lösung. Sie würden sich selbst
bewitzeln, wenn die übrige Welt ihnen keinen Stoff mehr böte.
Aber dieser Witz ist nicht der Alleinherrscher, auch er steht im Dienste eiues
Mächtigere», des interessant pikanten, dem das ganze Feuilleton dienstbar ist. Es
wäre lohnend, die Entwicklung des „Interessanten" in der deutschen Literatur
zu verfolgen, vom ersten schüchternen Aufleuchten in der steifleinenen Altväter¬
lichkeit, entzündet durch romanische und französische Einflüsse, bis auf die heu¬
tigen Schriftsteller, die sich „pikanter" Darstellungsweise „interessanter" Gegen¬
stünde befleißigen. Friedrich Schlegel, der geistige Führer der romantischen
Schule, der, halb noch ein „gelehrter Schriftsteller" im Sinne Lessings, als
Vertreter des Überganges zum modernen Literatentum gelten kann, nennt das
Interessante die Seele der modernen Poesie. Vom Interessanten führt nach
Schlegel die Begierde nach verstärkten Reizen einerseits über das „Pikante" zum
„Frappanten." andrerseits zum „Faden" und „Chvquanten." Schlegel hat hier
als ein Prophet, der seiue eignen Voraussagen später selbst bethätigend bestätigte,
die Stufenleiter der Weiterentwicklung richtig angegeben, die eine Entwicklung
zum Häßlichen wurde. Wir denken nicht daran, den Troß der heutigen Feuille-
tonisten oder auch nur die ersten unter ihnen im Ernst zu den deutschen Schrift¬
stellern zu zählen, als solche, die ein Anrecht auf literarische Vetrachtuug hätten.
Mit dem Zeitungshonorare haben sie ihren Lohn dahin. Aber als Abkömm-
Grenzl'^U'ii >>t, 1L82, W
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |