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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

passenderen Vergleich für das Feuilleton als die geistreich elegante, gefallsüchtige
Weltdame, die den Feuilletonisten so oft Modell stehen muß. Die Kokette will
nur sich; nnr von dienstergebener Bewunderung umschmeichelt, hat sie deu vollen
Genuß ihres Wesens: drum schmückt sie sich, bei innerer Kalte, mit den beweg¬
lichen Künsten der Gefallsucht, die ihrer Eitelkeit Knechte dingen. Alle Künste
der leichtfertigen Kokette hat das Feuilleton willig erlernt, denn wer allen ge¬
fallen will, bedarf vieler Künste. Wie jene, hat das Feuilleton einfache Naivität
und selbstvergessende Natürlichkeit nie verlieren können, weil es diese unbewußten
Tugenden nie besaß. Es hat sich gewiß nie über einem Gegenstande vergessen,
oft aber den Gegenstand über sich. Immer ist es in Stellung, in "Attitüde,"
macht "Posen," schauspielert und stellt vor; nie läßt es sich unbedacht gehen,
da es sich nirgend unbeobachtet glaubt. Am wenigsten ist es da selbstvergessen
natürlich, wo es durch berechnet unbewußtes Trümmer oder scheinbar ur¬
sprünglich erhabene, hinstürmcnde Erregung listig Wirkungen erkaufen will.
Diese süßwehmütig träumenden Seufzer und in pathetischen! Brusttöne donnernden
Ergüsse siud Diener des Effekts so gut wie die witzigen Pikanterien.

Der Effekt, d. i. die Wirkung ohne zureichende Ursache, ein Erfolg, dessen
Große den inneren Wert der Ursache überschreitet, ist das Ziel und der Leit¬
stern des Feuilletons. Der Effekt ist eine augenblickliche Täuschung, die eine
geschickte Steigerung äußerer Mittel durch verblüffende Überraschung dem Gemüt
abzuschwindeln weiß. Äußerlicher Schein bei innerer Leete sind die Merkmale
dieses künstlerischen Asterwertes, der die Zeiten sinkender Kunst begleitet. Das
Feuilleton weist alle Kennzeichen dieser herzlosen Effekthascherei ans; es weiß
seine innere Unwahrheit in alle Formel, gefälliger Koketterie bis zur Miene
sittlicher Überzengnngstrene zu verkleiden. Daß dabei das "Gefällige" vorherrscht,
ist bei einer Gattung erklärlich, die vom Gefallen lebt. Das sicherste Mittel
und das leichteste, den gewünschten blendenden Effekt zu erlangen, welcher sich der
Einfachheit versagt, ist die Mischung verschiedenartiger Bestandteile zu einer
scheinbaren Einheit.

Das erste, zweite und dritte dieser Mischung ist der bekannte geistreichelnde
Witz, den die aufdringlichen Anpreisungen der jüdisch-deutschen Zeitungen mit
ihren "geistvollen Federn erster Schriftsteller" zum Überdruß verkündigen. Als
ein Beispiel für viele geben wir einige Sätze aus der Ankündigung des "Ber¬
liner Couriers" (eines Ablegers des "Berliner Börsen-Couriers" übelriechenden
Leumunds), der sich nach vierteljährlichen: Bestehen bescheiden die interessanteste
Zeitung Berlins nennt: "Der "Berliner Courier" ist eine Zeitung, die in einer
bisher in Deutschland > glücklicherweise! > noch nicht bekannten Form vor das
Publikum tritt. Leicht und gefällig im Ton, fesselnd und unterhaltend zu sein,
das Trockene, Gleichgiltige, Nebensächliche zu vermeiden, das Jnteressanteste zu
bieten -- das ist sein kurzes Programm. . . . Alles, was diese Behandlung
zuläßt, wird im Tone leichter, möglichst geistvoller Plauderei vorgetragen werden..,


Das heutige Feuilleton.

passenderen Vergleich für das Feuilleton als die geistreich elegante, gefallsüchtige
Weltdame, die den Feuilletonisten so oft Modell stehen muß. Die Kokette will
nur sich; nnr von dienstergebener Bewunderung umschmeichelt, hat sie deu vollen
Genuß ihres Wesens: drum schmückt sie sich, bei innerer Kalte, mit den beweg¬
lichen Künsten der Gefallsucht, die ihrer Eitelkeit Knechte dingen. Alle Künste
der leichtfertigen Kokette hat das Feuilleton willig erlernt, denn wer allen ge¬
fallen will, bedarf vieler Künste. Wie jene, hat das Feuilleton einfache Naivität
und selbstvergessende Natürlichkeit nie verlieren können, weil es diese unbewußten
Tugenden nie besaß. Es hat sich gewiß nie über einem Gegenstande vergessen,
oft aber den Gegenstand über sich. Immer ist es in Stellung, in „Attitüde,"
macht „Posen," schauspielert und stellt vor; nie läßt es sich unbedacht gehen,
da es sich nirgend unbeobachtet glaubt. Am wenigsten ist es da selbstvergessen
natürlich, wo es durch berechnet unbewußtes Trümmer oder scheinbar ur¬
sprünglich erhabene, hinstürmcnde Erregung listig Wirkungen erkaufen will.
Diese süßwehmütig träumenden Seufzer und in pathetischen! Brusttöne donnernden
Ergüsse siud Diener des Effekts so gut wie die witzigen Pikanterien.

Der Effekt, d. i. die Wirkung ohne zureichende Ursache, ein Erfolg, dessen
Große den inneren Wert der Ursache überschreitet, ist das Ziel und der Leit¬
stern des Feuilletons. Der Effekt ist eine augenblickliche Täuschung, die eine
geschickte Steigerung äußerer Mittel durch verblüffende Überraschung dem Gemüt
abzuschwindeln weiß. Äußerlicher Schein bei innerer Leete sind die Merkmale
dieses künstlerischen Asterwertes, der die Zeiten sinkender Kunst begleitet. Das
Feuilleton weist alle Kennzeichen dieser herzlosen Effekthascherei ans; es weiß
seine innere Unwahrheit in alle Formel, gefälliger Koketterie bis zur Miene
sittlicher Überzengnngstrene zu verkleiden. Daß dabei das „Gefällige" vorherrscht,
ist bei einer Gattung erklärlich, die vom Gefallen lebt. Das sicherste Mittel
und das leichteste, den gewünschten blendenden Effekt zu erlangen, welcher sich der
Einfachheit versagt, ist die Mischung verschiedenartiger Bestandteile zu einer
scheinbaren Einheit.

Das erste, zweite und dritte dieser Mischung ist der bekannte geistreichelnde
Witz, den die aufdringlichen Anpreisungen der jüdisch-deutschen Zeitungen mit
ihren „geistvollen Federn erster Schriftsteller" zum Überdruß verkündigen. Als
ein Beispiel für viele geben wir einige Sätze aus der Ankündigung des „Ber¬
liner Couriers" (eines Ablegers des „Berliner Börsen-Couriers" übelriechenden
Leumunds), der sich nach vierteljährlichen: Bestehen bescheiden die interessanteste
Zeitung Berlins nennt: „Der »Berliner Courier« ist eine Zeitung, die in einer
bisher in Deutschland > glücklicherweise! > noch nicht bekannten Form vor das
Publikum tritt. Leicht und gefällig im Ton, fesselnd und unterhaltend zu sein,
das Trockene, Gleichgiltige, Nebensächliche zu vermeiden, das Jnteressanteste zu
bieten — das ist sein kurzes Programm. . . . Alles, was diese Behandlung
zuläßt, wird im Tone leichter, möglichst geistvoller Plauderei vorgetragen werden..,


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[0224] Das heutige Feuilleton. passenderen Vergleich für das Feuilleton als die geistreich elegante, gefallsüchtige Weltdame, die den Feuilletonisten so oft Modell stehen muß. Die Kokette will nur sich; nnr von dienstergebener Bewunderung umschmeichelt, hat sie deu vollen Genuß ihres Wesens: drum schmückt sie sich, bei innerer Kalte, mit den beweg¬ lichen Künsten der Gefallsucht, die ihrer Eitelkeit Knechte dingen. Alle Künste der leichtfertigen Kokette hat das Feuilleton willig erlernt, denn wer allen ge¬ fallen will, bedarf vieler Künste. Wie jene, hat das Feuilleton einfache Naivität und selbstvergessende Natürlichkeit nie verlieren können, weil es diese unbewußten Tugenden nie besaß. Es hat sich gewiß nie über einem Gegenstande vergessen, oft aber den Gegenstand über sich. Immer ist es in Stellung, in „Attitüde," macht „Posen," schauspielert und stellt vor; nie läßt es sich unbedacht gehen, da es sich nirgend unbeobachtet glaubt. Am wenigsten ist es da selbstvergessen natürlich, wo es durch berechnet unbewußtes Trümmer oder scheinbar ur¬ sprünglich erhabene, hinstürmcnde Erregung listig Wirkungen erkaufen will. Diese süßwehmütig träumenden Seufzer und in pathetischen! Brusttöne donnernden Ergüsse siud Diener des Effekts so gut wie die witzigen Pikanterien. Der Effekt, d. i. die Wirkung ohne zureichende Ursache, ein Erfolg, dessen Große den inneren Wert der Ursache überschreitet, ist das Ziel und der Leit¬ stern des Feuilletons. Der Effekt ist eine augenblickliche Täuschung, die eine geschickte Steigerung äußerer Mittel durch verblüffende Überraschung dem Gemüt abzuschwindeln weiß. Äußerlicher Schein bei innerer Leete sind die Merkmale dieses künstlerischen Asterwertes, der die Zeiten sinkender Kunst begleitet. Das Feuilleton weist alle Kennzeichen dieser herzlosen Effekthascherei ans; es weiß seine innere Unwahrheit in alle Formel, gefälliger Koketterie bis zur Miene sittlicher Überzengnngstrene zu verkleiden. Daß dabei das „Gefällige" vorherrscht, ist bei einer Gattung erklärlich, die vom Gefallen lebt. Das sicherste Mittel und das leichteste, den gewünschten blendenden Effekt zu erlangen, welcher sich der Einfachheit versagt, ist die Mischung verschiedenartiger Bestandteile zu einer scheinbaren Einheit. Das erste, zweite und dritte dieser Mischung ist der bekannte geistreichelnde Witz, den die aufdringlichen Anpreisungen der jüdisch-deutschen Zeitungen mit ihren „geistvollen Federn erster Schriftsteller" zum Überdruß verkündigen. Als ein Beispiel für viele geben wir einige Sätze aus der Ankündigung des „Ber¬ liner Couriers" (eines Ablegers des „Berliner Börsen-Couriers" übelriechenden Leumunds), der sich nach vierteljährlichen: Bestehen bescheiden die interessanteste Zeitung Berlins nennt: „Der »Berliner Courier« ist eine Zeitung, die in einer bisher in Deutschland > glücklicherweise! > noch nicht bekannten Form vor das Publikum tritt. Leicht und gefällig im Ton, fesselnd und unterhaltend zu sein, das Trockene, Gleichgiltige, Nebensächliche zu vermeiden, das Jnteressanteste zu bieten — das ist sein kurzes Programm. . . . Alles, was diese Behandlung zuläßt, wird im Tone leichter, möglichst geistvoller Plauderei vorgetragen werden..,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/224>, abgerufen am 22.07.2024.