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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Pflege des Bodens zu ihrer ersten Pflicht, gleichsam zur Basis ihrer Religion
machen, darüber herrscht nur eine Stimme.

Angesichts dieser Thatsache könnte sich die Vermutung bilden, daß sich bei
allen Sekten gemeinsam das Bedürfnis herausgestellt haben müsse, sich behufs
ungehinderter Ausübung ihres Kultus von der übrigen Welt zurückzuziehen,
daß sie ans diese Weise gezwungen worden wären, in unwirtliche, entlegene
Gegenden auszuwandern und notgedrungen, um leben zu können, den Boden
sorgfältig und fleißig zu bebauen. Aber diese Erklärung reicht nicht aus, weil
mau bei näherer Nachforschung einerseits findet, daß sehr viele sektirerische Ge¬
meinden inmitten ver kultivirten Staaten geblieben waren, und andrerseits sieht,
daß auch bei deu bereits reich gewordenen Sekten die Arbeit, die Bodenkultur
erste und heiligste Pflicht geblieben ist, gleichsam ein praktischer Gottesdienst.
Ja es steht fest, daß bei manchen Sekten, namentlich bei den Mormonen, den
Zitterern, den Bibelleuten und andern, es als eine Art von Dogma gilt, daß
der Fluch, welcher durch Adams Verschulden die Erde getroffen habe, durch den
Ackerbau getilgt werde, so daß dieser die Erlösung von der Sünde bilde. Die
Bearbeitung des Bodens an sich selbst gilt als Segen und trägt ihr Glück und
ihren Lohn in sich selbst, ganz abgesehen von dem materiellen Nutzen, den ihr
Ertrag bringt. Der Gewinn durch die Produktion steht deu Sekten durchaus
in zweiter Linie; sie würden eben so fleißig arbeiten, wenn sie auch uicht reich
dadurch würden. Der Müssiggang ist in allen uns bekannt gewordenen Sekten
so streng untersagt, daß sich niemand, auch nur um des Studireus willen, von
einer täglichen mehrstündigen Handarbeit frei machen darf.

Robert Schlagintweit schreibt: "Ans das strengste wird darauf geachtet,
daß jeder Mormone, gleichviel, ob er dein starken oder schwachen Geschlechte
angehört, mit größtem Ernste irgend eine seinen Fähigkeiten angemessene nützliche
Beschäftigung treibe. Ein Träger oder Fauler kann kein Christ sein und nicht
selig werden, schließt das mormonische Glaubensbekenntnis. In dem Bienen¬
korbe, dem Wappen der Mormonen, dem jeder Heilige Ehre zu machen bestrebt
sein muß, werden keine Drohnen geduldet."

"Arbeit," sagt Moritz Busch in seiner Geschichte der Mormonen, "ist ihnen
heilig und religiöse Pflicht, die Verwandlung der Erde durch sie ist die Ver¬
edlung oder, wie sie sagen, Erlösung derselben vom Fluche."

Dixou schreibt vou deu Zitterern: "Sie erlangen von der Erde durch Liebe
mehr als durch List. Diese Thatsache ist nichts, was bestritten oder weg¬
geleugnet werden könnte, denn der Beweis ist in hundert Waarenspeichern am
Broadway und hundert Luder in London zu finden. Wenn wir leugnen, daß
die Erde Liebe durch Liebe vergilt, dann können wir die Schönheit und Frucht¬
barkeit der von den Zitterern bearbeiteten Grundstücke nicht erklären. Wenn ein
Bekehrter in die Gemeinde aufgenommen wird, betrachtet er nicht länger die
Erde als eine Bente, die zu gewinnen, sondern als ein Pfand, welches aufzu-


Pflege des Bodens zu ihrer ersten Pflicht, gleichsam zur Basis ihrer Religion
machen, darüber herrscht nur eine Stimme.

Angesichts dieser Thatsache könnte sich die Vermutung bilden, daß sich bei
allen Sekten gemeinsam das Bedürfnis herausgestellt haben müsse, sich behufs
ungehinderter Ausübung ihres Kultus von der übrigen Welt zurückzuziehen,
daß sie ans diese Weise gezwungen worden wären, in unwirtliche, entlegene
Gegenden auszuwandern und notgedrungen, um leben zu können, den Boden
sorgfältig und fleißig zu bebauen. Aber diese Erklärung reicht nicht aus, weil
mau bei näherer Nachforschung einerseits findet, daß sehr viele sektirerische Ge¬
meinden inmitten ver kultivirten Staaten geblieben waren, und andrerseits sieht,
daß auch bei deu bereits reich gewordenen Sekten die Arbeit, die Bodenkultur
erste und heiligste Pflicht geblieben ist, gleichsam ein praktischer Gottesdienst.
Ja es steht fest, daß bei manchen Sekten, namentlich bei den Mormonen, den
Zitterern, den Bibelleuten und andern, es als eine Art von Dogma gilt, daß
der Fluch, welcher durch Adams Verschulden die Erde getroffen habe, durch den
Ackerbau getilgt werde, so daß dieser die Erlösung von der Sünde bilde. Die
Bearbeitung des Bodens an sich selbst gilt als Segen und trägt ihr Glück und
ihren Lohn in sich selbst, ganz abgesehen von dem materiellen Nutzen, den ihr
Ertrag bringt. Der Gewinn durch die Produktion steht deu Sekten durchaus
in zweiter Linie; sie würden eben so fleißig arbeiten, wenn sie auch uicht reich
dadurch würden. Der Müssiggang ist in allen uns bekannt gewordenen Sekten
so streng untersagt, daß sich niemand, auch nur um des Studireus willen, von
einer täglichen mehrstündigen Handarbeit frei machen darf.

Robert Schlagintweit schreibt: „Ans das strengste wird darauf geachtet,
daß jeder Mormone, gleichviel, ob er dein starken oder schwachen Geschlechte
angehört, mit größtem Ernste irgend eine seinen Fähigkeiten angemessene nützliche
Beschäftigung treibe. Ein Träger oder Fauler kann kein Christ sein und nicht
selig werden, schließt das mormonische Glaubensbekenntnis. In dem Bienen¬
korbe, dem Wappen der Mormonen, dem jeder Heilige Ehre zu machen bestrebt
sein muß, werden keine Drohnen geduldet."

„Arbeit," sagt Moritz Busch in seiner Geschichte der Mormonen, „ist ihnen
heilig und religiöse Pflicht, die Verwandlung der Erde durch sie ist die Ver¬
edlung oder, wie sie sagen, Erlösung derselben vom Fluche."

Dixou schreibt vou deu Zitterern: „Sie erlangen von der Erde durch Liebe
mehr als durch List. Diese Thatsache ist nichts, was bestritten oder weg¬
geleugnet werden könnte, denn der Beweis ist in hundert Waarenspeichern am
Broadway und hundert Luder in London zu finden. Wenn wir leugnen, daß
die Erde Liebe durch Liebe vergilt, dann können wir die Schönheit und Frucht¬
barkeit der von den Zitterern bearbeiteten Grundstücke nicht erklären. Wenn ein
Bekehrter in die Gemeinde aufgenommen wird, betrachtet er nicht länger die
Erde als eine Bente, die zu gewinnen, sondern als ein Pfand, welches aufzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/22>, abgerufen am 23.07.2024.