Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Heilige Allianz.

mit einer Art von Grauen dachten sie an die Möglichkeit seines Zusammen¬
bruchs. "Man kann sich nicht verhehlen, schreibt Gentz im März 1818, daß
der Sturz des jetzigen Systems, mag darauf ein andres folgen, welches es sei,
sofort einen Zustand der Unsicherheit, Angst und Gefahr erzeugen und die
Bcchuen zu einem neuen allgemeinen Brande offnen wird. Solange diese Art
allgemeiner Föderation besteht, werden sich die schwierigsten Fragen immer auf
eine oder die andre Weise ohne nllzuheftige Erschütterungen nppleniren; aber
die Auflösung des Systems wird einer der kritischste" und furchtbarsten Augen¬
blicke sein, die unser warte"."

Darum also, um das ans Sand gebaute europäische System von 1815 vor
Erschütterungen zu bewahren, die keinem Staate verhängnisvoller werden mußten
als Osterreich, ließ es sich Metternich so große Mühe koste", Alexander vo"
seinen ketzerischen, politischen Ideen zu der allein wahren legitimen Lehre zu
bekehren, die niemand salbungsvoller zu predigen verstand als er selbst. An
Gegenwirkungen aus des Kaisers nächster Umgebung hat es nicht gefehlt; zeit¬
weise gestalteten sich die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich förmlich
zu einem persönliche" Ringkampf zwischen Capodistrias und Metternich, dessen
Ausgang mehr als einmal schwankte. Aber die bittern Erfahrungen, die Alexander
mit seinen Reformplänen im Innern bisher gemacht hatte, erleichterten Metternich
sein Werk. Schon ans dem Kongreß zu Aachen war der Kaiser soweit, daß er
selbst die Einsetzung von einer Art europäischen Amphiktyonenrats, einen Ver¬
trag der fünf Mächte zu gegenseitiger Verbürgung des Besitzstandes und der
Legitimität der hergestellten Regierungen, in Vorschlag brachte, und wenn man
mich diesen Gedanken ans Englands Einsprache fallen lassen mußte, so gab doch
das im Tone der Heiligen Allianz gehaltene Zirkular vom 15. November 1818
der dnrch Frankreichs Beitritt aufs neue verbürgten Einigkeit und Friedensliebe
der Großmächte feierlichen Ausdruck.

Wer war froher als Metternich! Nun, meinte er, könne "jeder hingehen
und lange Zeit hindurch ruhig seinen Kohl banen, und wenn den Gesandten
Verbote" würde, an ihre Höfe zu berichten. so würde die einzige Ursache der
Differenzen beseitigt sein." Wie schnell sollte er seines Irrtums inne werden!
Die Ermordung Kotzebues zeigte, welche unheimlichem Kräfte den Boden unter¬
wühlten, und als Metternich die unselige That K. Sands auszubeuten eilte,
um die konstitutionellen Einrichtungen in den deutschen Staaten auszurotten
und die Suprematie Österreichs über Deutschland ebenso fest zu gründen, wie
ihm dies schon über Italien gelungen war, stieß er hier wie dort auf die Gegen¬
wirkungen des treuen Verbündeten. "Während die russischen Agenten in Deutsch¬
land ermordet werden, Präsidiren sie in Italien den Klubs der Carbonari! Diesen:
Greuel wird auch bald Einhalt geschehen" schrieb er in Hellem Verdruß. Der
Versuch vou Alexander, eine ausdrückliche Anerkennung der Karlsbader Beschlüsse
zu erlangen, war ganz vergeblich, dagegen kehrte der König von Würtemberg,


Die Heilige Allianz.

mit einer Art von Grauen dachten sie an die Möglichkeit seines Zusammen¬
bruchs. „Man kann sich nicht verhehlen, schreibt Gentz im März 1818, daß
der Sturz des jetzigen Systems, mag darauf ein andres folgen, welches es sei,
sofort einen Zustand der Unsicherheit, Angst und Gefahr erzeugen und die
Bcchuen zu einem neuen allgemeinen Brande offnen wird. Solange diese Art
allgemeiner Föderation besteht, werden sich die schwierigsten Fragen immer auf
eine oder die andre Weise ohne nllzuheftige Erschütterungen nppleniren; aber
die Auflösung des Systems wird einer der kritischste» und furchtbarsten Augen¬
blicke sein, die unser warte»."

Darum also, um das ans Sand gebaute europäische System von 1815 vor
Erschütterungen zu bewahren, die keinem Staate verhängnisvoller werden mußten
als Osterreich, ließ es sich Metternich so große Mühe koste», Alexander vo»
seinen ketzerischen, politischen Ideen zu der allein wahren legitimen Lehre zu
bekehren, die niemand salbungsvoller zu predigen verstand als er selbst. An
Gegenwirkungen aus des Kaisers nächster Umgebung hat es nicht gefehlt; zeit¬
weise gestalteten sich die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich förmlich
zu einem persönliche» Ringkampf zwischen Capodistrias und Metternich, dessen
Ausgang mehr als einmal schwankte. Aber die bittern Erfahrungen, die Alexander
mit seinen Reformplänen im Innern bisher gemacht hatte, erleichterten Metternich
sein Werk. Schon ans dem Kongreß zu Aachen war der Kaiser soweit, daß er
selbst die Einsetzung von einer Art europäischen Amphiktyonenrats, einen Ver¬
trag der fünf Mächte zu gegenseitiger Verbürgung des Besitzstandes und der
Legitimität der hergestellten Regierungen, in Vorschlag brachte, und wenn man
mich diesen Gedanken ans Englands Einsprache fallen lassen mußte, so gab doch
das im Tone der Heiligen Allianz gehaltene Zirkular vom 15. November 1818
der dnrch Frankreichs Beitritt aufs neue verbürgten Einigkeit und Friedensliebe
der Großmächte feierlichen Ausdruck.

Wer war froher als Metternich! Nun, meinte er, könne „jeder hingehen
und lange Zeit hindurch ruhig seinen Kohl banen, und wenn den Gesandten
Verbote» würde, an ihre Höfe zu berichten. so würde die einzige Ursache der
Differenzen beseitigt sein." Wie schnell sollte er seines Irrtums inne werden!
Die Ermordung Kotzebues zeigte, welche unheimlichem Kräfte den Boden unter¬
wühlten, und als Metternich die unselige That K. Sands auszubeuten eilte,
um die konstitutionellen Einrichtungen in den deutschen Staaten auszurotten
und die Suprematie Österreichs über Deutschland ebenso fest zu gründen, wie
ihm dies schon über Italien gelungen war, stieß er hier wie dort auf die Gegen¬
wirkungen des treuen Verbündeten. „Während die russischen Agenten in Deutsch¬
land ermordet werden, Präsidiren sie in Italien den Klubs der Carbonari! Diesen:
Greuel wird auch bald Einhalt geschehen" schrieb er in Hellem Verdruß. Der
Versuch vou Alexander, eine ausdrückliche Anerkennung der Karlsbader Beschlüsse
zu erlangen, war ganz vergeblich, dagegen kehrte der König von Würtemberg,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193549"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Heilige Allianz.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_661" prev="#ID_660"> mit einer Art von Grauen dachten sie an die Möglichkeit seines Zusammen¬<lb/>
bruchs. &#x201E;Man kann sich nicht verhehlen, schreibt Gentz im März 1818, daß<lb/>
der Sturz des jetzigen Systems, mag darauf ein andres folgen, welches es sei,<lb/>
sofort einen Zustand der Unsicherheit, Angst und Gefahr erzeugen und die<lb/>
Bcchuen zu einem neuen allgemeinen Brande offnen wird. Solange diese Art<lb/>
allgemeiner Föderation besteht, werden sich die schwierigsten Fragen immer auf<lb/>
eine oder die andre Weise ohne nllzuheftige Erschütterungen nppleniren; aber<lb/>
die Auflösung des Systems wird einer der kritischste» und furchtbarsten Augen¬<lb/>
blicke sein, die unser warte»."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662"> Darum also, um das ans Sand gebaute europäische System von 1815 vor<lb/>
Erschütterungen zu bewahren, die keinem Staate verhängnisvoller werden mußten<lb/>
als Osterreich, ließ es sich Metternich so große Mühe koste», Alexander vo»<lb/>
seinen ketzerischen, politischen Ideen zu der allein wahren legitimen Lehre zu<lb/>
bekehren, die niemand salbungsvoller zu predigen verstand als er selbst. An<lb/>
Gegenwirkungen aus des Kaisers nächster Umgebung hat es nicht gefehlt; zeit¬<lb/>
weise gestalteten sich die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich förmlich<lb/>
zu einem persönliche» Ringkampf zwischen Capodistrias und Metternich, dessen<lb/>
Ausgang mehr als einmal schwankte. Aber die bittern Erfahrungen, die Alexander<lb/>
mit seinen Reformplänen im Innern bisher gemacht hatte, erleichterten Metternich<lb/>
sein Werk. Schon ans dem Kongreß zu Aachen war der Kaiser soweit, daß er<lb/>
selbst die Einsetzung von einer Art europäischen Amphiktyonenrats, einen Ver¬<lb/>
trag der fünf Mächte zu gegenseitiger Verbürgung des Besitzstandes und der<lb/>
Legitimität der hergestellten Regierungen, in Vorschlag brachte, und wenn man<lb/>
mich diesen Gedanken ans Englands Einsprache fallen lassen mußte, so gab doch<lb/>
das im Tone der Heiligen Allianz gehaltene Zirkular vom 15. November 1818<lb/>
der dnrch Frankreichs Beitritt aufs neue verbürgten Einigkeit und Friedensliebe<lb/>
der Großmächte feierlichen Ausdruck.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_663" next="#ID_664"> Wer war froher als Metternich! Nun, meinte er, könne &#x201E;jeder hingehen<lb/>
und lange Zeit hindurch ruhig seinen Kohl banen, und wenn den Gesandten<lb/>
Verbote» würde, an ihre Höfe zu berichten. so würde die einzige Ursache der<lb/>
Differenzen beseitigt sein." Wie schnell sollte er seines Irrtums inne werden!<lb/>
Die Ermordung Kotzebues zeigte, welche unheimlichem Kräfte den Boden unter¬<lb/>
wühlten, und als Metternich die unselige That K. Sands auszubeuten eilte,<lb/>
um die konstitutionellen Einrichtungen in den deutschen Staaten auszurotten<lb/>
und die Suprematie Österreichs über Deutschland ebenso fest zu gründen, wie<lb/>
ihm dies schon über Italien gelungen war, stieß er hier wie dort auf die Gegen¬<lb/>
wirkungen des treuen Verbündeten. &#x201E;Während die russischen Agenten in Deutsch¬<lb/>
land ermordet werden, Präsidiren sie in Italien den Klubs der Carbonari! Diesen:<lb/>
Greuel wird auch bald Einhalt geschehen" schrieb er in Hellem Verdruß. Der<lb/>
Versuch vou Alexander, eine ausdrückliche Anerkennung der Karlsbader Beschlüsse<lb/>
zu erlangen, war ganz vergeblich, dagegen kehrte der König von Würtemberg,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] Die Heilige Allianz. mit einer Art von Grauen dachten sie an die Möglichkeit seines Zusammen¬ bruchs. „Man kann sich nicht verhehlen, schreibt Gentz im März 1818, daß der Sturz des jetzigen Systems, mag darauf ein andres folgen, welches es sei, sofort einen Zustand der Unsicherheit, Angst und Gefahr erzeugen und die Bcchuen zu einem neuen allgemeinen Brande offnen wird. Solange diese Art allgemeiner Föderation besteht, werden sich die schwierigsten Fragen immer auf eine oder die andre Weise ohne nllzuheftige Erschütterungen nppleniren; aber die Auflösung des Systems wird einer der kritischste» und furchtbarsten Augen¬ blicke sein, die unser warte»." Darum also, um das ans Sand gebaute europäische System von 1815 vor Erschütterungen zu bewahren, die keinem Staate verhängnisvoller werden mußten als Osterreich, ließ es sich Metternich so große Mühe koste», Alexander vo» seinen ketzerischen, politischen Ideen zu der allein wahren legitimen Lehre zu bekehren, die niemand salbungsvoller zu predigen verstand als er selbst. An Gegenwirkungen aus des Kaisers nächster Umgebung hat es nicht gefehlt; zeit¬ weise gestalteten sich die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich förmlich zu einem persönliche» Ringkampf zwischen Capodistrias und Metternich, dessen Ausgang mehr als einmal schwankte. Aber die bittern Erfahrungen, die Alexander mit seinen Reformplänen im Innern bisher gemacht hatte, erleichterten Metternich sein Werk. Schon ans dem Kongreß zu Aachen war der Kaiser soweit, daß er selbst die Einsetzung von einer Art europäischen Amphiktyonenrats, einen Ver¬ trag der fünf Mächte zu gegenseitiger Verbürgung des Besitzstandes und der Legitimität der hergestellten Regierungen, in Vorschlag brachte, und wenn man mich diesen Gedanken ans Englands Einsprache fallen lassen mußte, so gab doch das im Tone der Heiligen Allianz gehaltene Zirkular vom 15. November 1818 der dnrch Frankreichs Beitritt aufs neue verbürgten Einigkeit und Friedensliebe der Großmächte feierlichen Ausdruck. Wer war froher als Metternich! Nun, meinte er, könne „jeder hingehen und lange Zeit hindurch ruhig seinen Kohl banen, und wenn den Gesandten Verbote» würde, an ihre Höfe zu berichten. so würde die einzige Ursache der Differenzen beseitigt sein." Wie schnell sollte er seines Irrtums inne werden! Die Ermordung Kotzebues zeigte, welche unheimlichem Kräfte den Boden unter¬ wühlten, und als Metternich die unselige That K. Sands auszubeuten eilte, um die konstitutionellen Einrichtungen in den deutschen Staaten auszurotten und die Suprematie Österreichs über Deutschland ebenso fest zu gründen, wie ihm dies schon über Italien gelungen war, stieß er hier wie dort auf die Gegen¬ wirkungen des treuen Verbündeten. „Während die russischen Agenten in Deutsch¬ land ermordet werden, Präsidiren sie in Italien den Klubs der Carbonari! Diesen: Greuel wird auch bald Einhalt geschehen" schrieb er in Hellem Verdruß. Der Versuch vou Alexander, eine ausdrückliche Anerkennung der Karlsbader Beschlüsse zu erlangen, war ganz vergeblich, dagegen kehrte der König von Würtemberg,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/208>, abgerufen am 03.07.2024.