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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

die Welt, schleicht sie durch die großen Gemächer dahin und besucht regelmäßig
die Kirche, das Ätherfläschchen, die Chininpulver oder die Chlorälkrystalle der
kränklichen und hochmütigen Kousine tragend, und gleich einem Gespenste, gleich
einem Schatten ihrer selbst verbringt sie die letzten Jahre ihrer irdischen
Existenz.

Ednard und Betty erreichten glücklich Neapel und fanden den Fürsten von
Pallavieini voll Genugthuung über Eduards Ankunft und voll Bauplänen, so
daß sich sofort eine umfassende Thätigkeit für den Architekten eröffnete. Das
Paar ist selig, denn sie siud beide für einander geschaffen und in Liebe eins;
dazu noch sind sie beide wenig abhängig von solchen Dingen, mit denen viele
andre Menschen sich das Leben selbst schwer machen. Das Hans, worin sie
wohnen, und das Mobiliar in demselben würde der klugen Sylvia freilich nur
im Bilde und vom Gesicytspuukte des Romantischen aus zusagen. Die große
kühle .Halle, worin Eduard zeichnet, hat einen steinernen Fußboden, und in Bettys
Salon fliegen nicht selten Schwalben ein und aus. Die Draperien vor den
Fenstern sind Weinranken und Nosen, die Teppiche sind ans Stroh geflochten,
die Gesellschaft, deren Füße darauf wandeln, verachtet den Zwang des Cercmo-
niells mehliger und kälter Länder. Aber es sind Leute, die nnr deshalb kommen,
weil sie Vergnügen daran finden. Betty und Eduard sind selig, und das Leben
zieht ihnen dahin wie ein heiterer Traum. Sie haben keinen Wunsch als den,
daß der Traum nie enden möge. Wenn Eduard im Glänze eines italienischen
Morgens den kleinen Engel aus Bettys Schooße sieht, den reizenden Knaben,
der ihm so ähnlich sieht, dann glaubt er an Geistesschwuiig Rafael gleichzu¬
kommen, da er die Madonna mit dem Jesuskinde malte.

Auch Sylvia geht es gut, in ihrer Weise. Sie hat sich mit einem Wirk¬
lichen Geheimen Legationsrat von Adel vermählt und hofft es mit der Zeit
durchzusetzen, Exzellenz zu werden. Weder der geistreiche Salon noch das Boudoir
in der modernsten Farbe haben sich als trügerische Hoffnungen erwiesen. Ihre
Gesellschaft ist die beste, ihre Diners genießen allgemeine Hochachtung, und ihre
Soiröen sind tonangebend. Ihr Vermögen verwaltet sie selbst, und die Papiere,
welche sie lauft, Pflege": in die Höhe zu gehen Kinder hat sie nicht. Zuweilen
läßt sie nachdenklich den Blick auf ihrem Gemahl haften und fragt sich, wie es
möglich sei, daß mauche Dichter so exaltirte Schilderungen von der Liebe machten.
Ihr Gemahl ist mitunter etwas gereizter Stimmung und schiebt die Schuld
darau auf die zweideutige Haltung der russischen Regierung oder die Schwäche
des Kabinets von Se. James. Er hat eine Neigung zum Rheumatismus und
für ausgesuchte Weine, er besucht Ragatz und interessirt sich für Wetterkunde.
Sylvia ist nicht immer seiner Meinung, hat aber die Genugthuung, zuletzt immer
Recht zu behalten. Im ganzen ist sie glücklich. Sie versteht die Welt, und die
Welt versteht sie, jene Welt, welche sich mit Titeln, mit Orden, mit Ehren, mit
seinen Weinen und Zigarren, schwer verdaulichen Soupers, eleganten Möbel"


Bakchen und Thyrsosträger.

die Welt, schleicht sie durch die großen Gemächer dahin und besucht regelmäßig
die Kirche, das Ätherfläschchen, die Chininpulver oder die Chlorälkrystalle der
kränklichen und hochmütigen Kousine tragend, und gleich einem Gespenste, gleich
einem Schatten ihrer selbst verbringt sie die letzten Jahre ihrer irdischen
Existenz.

Ednard und Betty erreichten glücklich Neapel und fanden den Fürsten von
Pallavieini voll Genugthuung über Eduards Ankunft und voll Bauplänen, so
daß sich sofort eine umfassende Thätigkeit für den Architekten eröffnete. Das
Paar ist selig, denn sie siud beide für einander geschaffen und in Liebe eins;
dazu noch sind sie beide wenig abhängig von solchen Dingen, mit denen viele
andre Menschen sich das Leben selbst schwer machen. Das Hans, worin sie
wohnen, und das Mobiliar in demselben würde der klugen Sylvia freilich nur
im Bilde und vom Gesicytspuukte des Romantischen aus zusagen. Die große
kühle .Halle, worin Eduard zeichnet, hat einen steinernen Fußboden, und in Bettys
Salon fliegen nicht selten Schwalben ein und aus. Die Draperien vor den
Fenstern sind Weinranken und Nosen, die Teppiche sind ans Stroh geflochten,
die Gesellschaft, deren Füße darauf wandeln, verachtet den Zwang des Cercmo-
niells mehliger und kälter Länder. Aber es sind Leute, die nnr deshalb kommen,
weil sie Vergnügen daran finden. Betty und Eduard sind selig, und das Leben
zieht ihnen dahin wie ein heiterer Traum. Sie haben keinen Wunsch als den,
daß der Traum nie enden möge. Wenn Eduard im Glänze eines italienischen
Morgens den kleinen Engel aus Bettys Schooße sieht, den reizenden Knaben,
der ihm so ähnlich sieht, dann glaubt er an Geistesschwuiig Rafael gleichzu¬
kommen, da er die Madonna mit dem Jesuskinde malte.

Auch Sylvia geht es gut, in ihrer Weise. Sie hat sich mit einem Wirk¬
lichen Geheimen Legationsrat von Adel vermählt und hofft es mit der Zeit
durchzusetzen, Exzellenz zu werden. Weder der geistreiche Salon noch das Boudoir
in der modernsten Farbe haben sich als trügerische Hoffnungen erwiesen. Ihre
Gesellschaft ist die beste, ihre Diners genießen allgemeine Hochachtung, und ihre
Soiröen sind tonangebend. Ihr Vermögen verwaltet sie selbst, und die Papiere,
welche sie lauft, Pflege»: in die Höhe zu gehen Kinder hat sie nicht. Zuweilen
läßt sie nachdenklich den Blick auf ihrem Gemahl haften und fragt sich, wie es
möglich sei, daß mauche Dichter so exaltirte Schilderungen von der Liebe machten.
Ihr Gemahl ist mitunter etwas gereizter Stimmung und schiebt die Schuld
darau auf die zweideutige Haltung der russischen Regierung oder die Schwäche
des Kabinets von Se. James. Er hat eine Neigung zum Rheumatismus und
für ausgesuchte Weine, er besucht Ragatz und interessirt sich für Wetterkunde.
Sylvia ist nicht immer seiner Meinung, hat aber die Genugthuung, zuletzt immer
Recht zu behalten. Im ganzen ist sie glücklich. Sie versteht die Welt, und die
Welt versteht sie, jene Welt, welche sich mit Titeln, mit Orden, mit Ehren, mit
seinen Weinen und Zigarren, schwer verdaulichen Soupers, eleganten Möbel»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/196>, abgerufen am 03.07.2024.