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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Grziehnng zum Staatsbürger.

seiner Freiheit führen können, da Freiheit nicht ohne Ordnung, Ordnung nicht
ohne Regierung denkbar und jede Negierung außer der monarchischen eine halbe
Regierung, eine solche ist, die nie den wahren Fortschritt fördern kann, sondern
von den Launen der Zeit am Narrenseile hin- und hergezogen wird.

In zweiter Linie wäre die Begründung dafür zu geben, daß die großen
sozialpolitischen Aufgaben des Staates, zu deren Lösung der Reichskanzler die
ersten Schritte gethan hat, nicht sowohl der Initiative der Staatsregierung
entraten können, um der privaten Selbsthilfe des Volkes und der Gemeinde
überlassen oder höchsteus der Staatskvntrvle unterworfen zu werden, sondern
vielmehr als wesentliche Aufgaben der inneren Politik der Staatsregierung er¬
scheinen, einer Politik, zu welcher keine Regierung besser befähigt ist als die
konstitutionelle Monarchie.

Übrigens betrachtet der Verfasser als wesentlich an der sozialpolitischen
Propcideutik, die er im Auge hat, nicht sowohl die änßere Ordnung des zu ver-
cirbeitenden Stoffes als die Art der Behandlung, die sich zu der Konsequenz
zuzuspitzen hat: "Will man Parlament und soziale Reform, so muß man auch
die konstitutionelle Monarchie und deren energische Regierungsfühigkeit in Ini¬
tiative und Exekutive wollen." Das wesentliche Erfordernis zu einem ersten
Versuche mit einer solchen Propcideutik ist vorhanden, die Möglichkeit nämlich,
auf Grundlage der dargelegten leitenden Gesichtspunkte alle sozialpolitischen
Fragen und Verhältnisse nach den Regeln wissenschaftlicher Behandlung in die
Stellung rationeller Wahrheiten und propädeutischer Hilfsmittel zu setzen.
"Selbstverständlich resultirt aus der blosen Möglichkeit eines Versuchs noch
keineswegs die Notwendigkeit seines Erfolgs, der wie in allen Dingen so auch hier
nicht allein von den innern Gründen sachlicher Art, sondern auch vou mancherlei
äußeren abhängig ist. Ja selbst ein Erfolg ist noch kein Beweis dafür, daß
bessere Erfolge unmöglich sind."

Sehr zuversichtlich spricht der Verfasser von seinen Gedanken gegen den
Schluß hiu, indem er sagt: "Das große Werk der äußeren Einigung Deutsch¬
lands ist vollbracht, aber die innere Einheit will sich nicht konsolidiren. Tritt
an Stelle der chaotischen Meinnngszerrissenheit nicht bald eine summarische
NationalüberzenguNg, so ist es auch um die äußere Einheit geschehen. Diese
Nationalllberzeugung ins Leben zu rufen, mag auf verschiedenen Wegen möglich
sein, aber auf keinem dürfte die Sache eine so greifbare Realität gewinnen als
auf dem, wo sie mittelst der sozialpolitischen Propcideutik zu einer Pädagogischen
gemacht wird. Sully sagt: "Fürsten müssen einen bestimmten Zweck haben und
den Verhältnissen gemäß darauf hinarbeiten. Sie müssen alle Parteiungen ver¬
hüten oder sie wenigstens zu beherrsche" suchen und sich keiner allein hingeben."
Darnach dürfte auch im vorliegenden Falle die unmittelbare Initiative der Re¬
gierung angezeigt fein. Das erste und letzte Wort kann in politischen Ange¬
legenheiten nnr die Regierung mit durchschlagenden Erfolge sprechen. Private


Die Grziehnng zum Staatsbürger.

seiner Freiheit führen können, da Freiheit nicht ohne Ordnung, Ordnung nicht
ohne Regierung denkbar und jede Negierung außer der monarchischen eine halbe
Regierung, eine solche ist, die nie den wahren Fortschritt fördern kann, sondern
von den Launen der Zeit am Narrenseile hin- und hergezogen wird.

In zweiter Linie wäre die Begründung dafür zu geben, daß die großen
sozialpolitischen Aufgaben des Staates, zu deren Lösung der Reichskanzler die
ersten Schritte gethan hat, nicht sowohl der Initiative der Staatsregierung
entraten können, um der privaten Selbsthilfe des Volkes und der Gemeinde
überlassen oder höchsteus der Staatskvntrvle unterworfen zu werden, sondern
vielmehr als wesentliche Aufgaben der inneren Politik der Staatsregierung er¬
scheinen, einer Politik, zu welcher keine Regierung besser befähigt ist als die
konstitutionelle Monarchie.

Übrigens betrachtet der Verfasser als wesentlich an der sozialpolitischen
Propcideutik, die er im Auge hat, nicht sowohl die änßere Ordnung des zu ver-
cirbeitenden Stoffes als die Art der Behandlung, die sich zu der Konsequenz
zuzuspitzen hat: „Will man Parlament und soziale Reform, so muß man auch
die konstitutionelle Monarchie und deren energische Regierungsfühigkeit in Ini¬
tiative und Exekutive wollen." Das wesentliche Erfordernis zu einem ersten
Versuche mit einer solchen Propcideutik ist vorhanden, die Möglichkeit nämlich,
auf Grundlage der dargelegten leitenden Gesichtspunkte alle sozialpolitischen
Fragen und Verhältnisse nach den Regeln wissenschaftlicher Behandlung in die
Stellung rationeller Wahrheiten und propädeutischer Hilfsmittel zu setzen.
„Selbstverständlich resultirt aus der blosen Möglichkeit eines Versuchs noch
keineswegs die Notwendigkeit seines Erfolgs, der wie in allen Dingen so auch hier
nicht allein von den innern Gründen sachlicher Art, sondern auch vou mancherlei
äußeren abhängig ist. Ja selbst ein Erfolg ist noch kein Beweis dafür, daß
bessere Erfolge unmöglich sind."

Sehr zuversichtlich spricht der Verfasser von seinen Gedanken gegen den
Schluß hiu, indem er sagt: „Das große Werk der äußeren Einigung Deutsch¬
lands ist vollbracht, aber die innere Einheit will sich nicht konsolidiren. Tritt
an Stelle der chaotischen Meinnngszerrissenheit nicht bald eine summarische
NationalüberzenguNg, so ist es auch um die äußere Einheit geschehen. Diese
Nationalllberzeugung ins Leben zu rufen, mag auf verschiedenen Wegen möglich
sein, aber auf keinem dürfte die Sache eine so greifbare Realität gewinnen als
auf dem, wo sie mittelst der sozialpolitischen Propcideutik zu einer Pädagogischen
gemacht wird. Sully sagt: »Fürsten müssen einen bestimmten Zweck haben und
den Verhältnissen gemäß darauf hinarbeiten. Sie müssen alle Parteiungen ver¬
hüten oder sie wenigstens zu beherrsche» suchen und sich keiner allein hingeben.«
Darnach dürfte auch im vorliegenden Falle die unmittelbare Initiative der Re¬
gierung angezeigt fein. Das erste und letzte Wort kann in politischen Ange¬
legenheiten nnr die Regierung mit durchschlagenden Erfolge sprechen. Private


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/16>, abgerufen am 22.07.2024.