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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Glossen eines Deutschen im Auslande.

Anstatt sich demütig von Odysseus züchtigen zu lassen, hätte er feierlich erklären
sollen, es sei ihm garnicht eingefallen, mit der Beschuldigung, daß Agamemnon
sich mit Geschenken mäste und die Griechen ins Unglück stürze, denselben per¬
sönlich beleidigen zu wollen, und die Griechen habe er nnr theoretisch der Feigheit
geziehen. Darauf würde Odysseus gesagt haben, einem Manne wie Thersites
müsse muss Wort geglaubt werden, und die peinliche Exekution, über welche
gemütsrohe sekundärer zu lachen Pflegen, wäre unterblieben. Oder er hätte
sich mit einem schlechten Witz aus der Affaire ziehen könne", wie jener Mar¬
burger Student, welcher, vor den Universitätsrichter geladen, weil er seinen Hund
Nilmar genannt hatte, behauptete, daß eine Verwechslung vorliege, denn der
damals in Kurhessen gnr mächtige Konsistorialrat schreibe sich mit V, sein Hund
aber mit F. Damals war Herr Mommsen nicht mehr Student, sondern bereits
ein berühmter Professor, und Witze hat er wohl mit Absicht nie gemacht. Da¬
gegen bringt seiue nu die Taktik gewisser Herren "ans Polen" erinnernde Ver¬
teidigung auf eigene etymologische Vermutungen: sollte er etwa eigentlich Mörser
heißen und die erste Silbe ein bescheidener Überrest von Salomon sein? "Ich
soll geschimpft haben? fragt Herr Tinkeles erstaunt; ist mir nicht bewußt,
nud wenn ich geschimpft habe, hab ich mich selber gemeint, soll er mir beweisen,
daß ich ihn gemeint hab!" Und Herr Mommsen verurteilt in seiner römischen
Geschichte sehr energisch "jene wenig beneidenswerte Höhe des Denkens, wo in
der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital," und "die
kurzsichtige Politik" der Regierung und der "beginnenden Demagogie," dnrch freie
Einfuhr und Verteilung des billigen überseeischen Korns den italischen Ackerbau
zu drücken. Am Ende hat er gar unter den Schwindlern die "beginnende
Demagogie" verstanden wissen wollen!

Nach den Ankündigungen und Proben zu schließen wird das Volk der
Denker in den nächsten Wahlen wieder der Welt ein recht lustiges Schauspiel
bieten. Überhaupt, welche Wohlthat ist eine Wahlbewegung, wenn in jedem Nest
die Knppelmaicr zu Dutzenden auftauchen und der fleißige Bürger nicht weiß,
in welches Wirtshaus er zuerst gehen soll, um politische Weisheit frisch vom
Zapfen zu schlürfen. Da jeder, wie sich von selbst versteht, bei seiner gewohnten
Sorte bleibt, und der Eindringling, welcher etwas anderes bieten möchte, ge¬
wöhnlich sofort an die Luft gesetzt wird, so tragen die Versammlungen ganz
unglaubliches zur Klärung der Ansichten bei. Wenn die Wühlen uur uicht so
selten wären. Es liegen gar zu viele grane lind heiße Werkeltage zwischeu deu
wenigen Festtagen, an welchen man sich als Bestandteil des souveränen Volks
fühlt. Selbst in den gesegneten Ländern, welche den ganzen und vollen Parla-
mentarismus genießen, gehen mitunter Jahre hin ohne Ansmischnng durch deu
Wahllärm. Die Herren, welche die kürzesten Legislaturperioden fordern, haben
gewiß Recht. Denn junge Leute wollen auch leben, sagt Falstaff, d. h. andre
Wollen auch auf die Tribüne und auf die Regierungsbauk, und je rascher der


Glossen eines Deutschen im Auslande.

Anstatt sich demütig von Odysseus züchtigen zu lassen, hätte er feierlich erklären
sollen, es sei ihm garnicht eingefallen, mit der Beschuldigung, daß Agamemnon
sich mit Geschenken mäste und die Griechen ins Unglück stürze, denselben per¬
sönlich beleidigen zu wollen, und die Griechen habe er nnr theoretisch der Feigheit
geziehen. Darauf würde Odysseus gesagt haben, einem Manne wie Thersites
müsse muss Wort geglaubt werden, und die peinliche Exekution, über welche
gemütsrohe sekundärer zu lachen Pflegen, wäre unterblieben. Oder er hätte
sich mit einem schlechten Witz aus der Affaire ziehen könne», wie jener Mar¬
burger Student, welcher, vor den Universitätsrichter geladen, weil er seinen Hund
Nilmar genannt hatte, behauptete, daß eine Verwechslung vorliege, denn der
damals in Kurhessen gnr mächtige Konsistorialrat schreibe sich mit V, sein Hund
aber mit F. Damals war Herr Mommsen nicht mehr Student, sondern bereits
ein berühmter Professor, und Witze hat er wohl mit Absicht nie gemacht. Da¬
gegen bringt seiue nu die Taktik gewisser Herren „ans Polen" erinnernde Ver¬
teidigung auf eigene etymologische Vermutungen: sollte er etwa eigentlich Mörser
heißen und die erste Silbe ein bescheidener Überrest von Salomon sein? „Ich
soll geschimpft haben? fragt Herr Tinkeles erstaunt; ist mir nicht bewußt,
nud wenn ich geschimpft habe, hab ich mich selber gemeint, soll er mir beweisen,
daß ich ihn gemeint hab!" Und Herr Mommsen verurteilt in seiner römischen
Geschichte sehr energisch „jene wenig beneidenswerte Höhe des Denkens, wo in
der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital," und „die
kurzsichtige Politik" der Regierung und der „beginnenden Demagogie," dnrch freie
Einfuhr und Verteilung des billigen überseeischen Korns den italischen Ackerbau
zu drücken. Am Ende hat er gar unter den Schwindlern die „beginnende
Demagogie" verstanden wissen wollen!

Nach den Ankündigungen und Proben zu schließen wird das Volk der
Denker in den nächsten Wahlen wieder der Welt ein recht lustiges Schauspiel
bieten. Überhaupt, welche Wohlthat ist eine Wahlbewegung, wenn in jedem Nest
die Knppelmaicr zu Dutzenden auftauchen und der fleißige Bürger nicht weiß,
in welches Wirtshaus er zuerst gehen soll, um politische Weisheit frisch vom
Zapfen zu schlürfen. Da jeder, wie sich von selbst versteht, bei seiner gewohnten
Sorte bleibt, und der Eindringling, welcher etwas anderes bieten möchte, ge¬
wöhnlich sofort an die Luft gesetzt wird, so tragen die Versammlungen ganz
unglaubliches zur Klärung der Ansichten bei. Wenn die Wühlen uur uicht so
selten wären. Es liegen gar zu viele grane lind heiße Werkeltage zwischeu deu
wenigen Festtagen, an welchen man sich als Bestandteil des souveränen Volks
fühlt. Selbst in den gesegneten Ländern, welche den ganzen und vollen Parla-
mentarismus genießen, gehen mitunter Jahre hin ohne Ansmischnng durch deu
Wahllärm. Die Herren, welche die kürzesten Legislaturperioden fordern, haben
gewiß Recht. Denn junge Leute wollen auch leben, sagt Falstaff, d. h. andre
Wollen auch auf die Tribüne und auf die Regierungsbauk, und je rascher der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/155>, abgerufen am 25.08.2024.