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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Einzelstudien, aus denen sie viel Wesens machen und die sie Wissenschaften
nennen, obwohl dieselben, wenn auch klarer als das Glauben, doch dunkler sind
als das Wissen. Nur wenige aber lassen sich auf die Philosophie ein, der doch
schließlich alle Einzelstndien dienen müssen. So wollen auch nur wenige die
Bedeutung der Phrenologie als Naturwissenschaft des menschlichen Geistes und
damit als echte Philosophie einsehen.

Wundert dich das, mein Vater? fragte Ephraim lächelnd. Als die Freier
der Penelope die Königin selber unzugänglich fanden, da wandten sie den Diene¬
rinnen, die willfähriger waren, ihre Liebesbeweise zu. So machen es anch ge¬
meiniglich die Gelehrten, wenn sie ihre Spezialfächer für etwas wichtiges halten,
und nicht ihr Wille ist es, daß die Wahrheit ihnen verschlossen bleibt.

Ich möchte dir da ans meinen phrenologischen Erfahrungen eine kleine
Geschichte erzählen, warf der Vater ein, indem er bestrebt war, von angreifenden
Gespräch abzulenken. Ich besuche zuweilen die naturwissenschaftliche Gesellschaft,
der unser Arzt angehört, und war vor einigen Wochen mit ihm zusammen dort.
Er hielt eiuen Vortrag materialistischer Tendenz, wie er der in der Gesellschaft
herrschenden Richtung entsprach. Doch ist sein Kopf hoch gewölbt, so daß sein
Haar, wie du vielleicht bemerkt hast, sich in der Mitte scheitelt, und es kam mir
deshalb so vor, als stimmte er nnr aus Scheu für ungebildet zu gelten jener
Richtung zu. Ich wollte ihn auf die Probe stellen, und auf dem Wege nach
Hause, als wir beiden allein waren, blieb ich stehen, legte meine Hand auf seinen
Arm und sagte: Sie haben heute sehr hübsch gesprochen, lieber Doktor, aber
ich für meine Person kann mich von der Überzeugung nicht losmachen, daß es
doch einen Gott giebt. Da sah er mich mit freudigem Blicke an, und mit tiefem
Aufathmen, gleich als fiele ein Stein von seinem Herzen, antwortete er: Ja,
Sie habe:, Recht, es giebt einen Gott, das glaube ich auch aus tiefster Seele.

Das bringt mich auf mancherlei Gedanken, sagte Ephraim nach einer
Pause. Unter anderm fällt mir das Bildnis Kants ein. Sein Kopf ist das
Gegenstück zu dem des Doktors, die Stirn mächtig entwickelt, der Oberkopf flach.
Was wirst du daraus schließen, daß der eine Mensch mit völliger Gewißheit
das Dasein Gottes fühlt, während der andre den vollendeten Beweis führt,
daß der Begriff eines Gottes jenseits der Sphäre unsrer Vernunft liegt?

Daraus kann ich zunächst nur schließe", daß verschiedenen Organen unsres
Geistes verschiedene Aufgaben obliegen.

Aber in Bezug auf die Erkenntnis Gottes, wie schließest du da? Unsre
Materialisten und Idealisten kommen mir angesichts dieser phrenologischen That¬
sache wie Clowns vor, die mit hölzernen Schwertern fechten.

O v, mein Kind, du gehst scharf vor, sagte der Alte. Bedenke, daß doch
immer einem jeden ein jedes Organ eigen und nur dessen Stärke verschieden ist.
Wenn einem Menschen ein einziges Organ ganz fehlte, so würde er kein Mensch
sein. Allen ist uns die Verehrung Gottes angeboren, und daß ein Organ dafür


Einzelstudien, aus denen sie viel Wesens machen und die sie Wissenschaften
nennen, obwohl dieselben, wenn auch klarer als das Glauben, doch dunkler sind
als das Wissen. Nur wenige aber lassen sich auf die Philosophie ein, der doch
schließlich alle Einzelstndien dienen müssen. So wollen auch nur wenige die
Bedeutung der Phrenologie als Naturwissenschaft des menschlichen Geistes und
damit als echte Philosophie einsehen.

Wundert dich das, mein Vater? fragte Ephraim lächelnd. Als die Freier
der Penelope die Königin selber unzugänglich fanden, da wandten sie den Diene¬
rinnen, die willfähriger waren, ihre Liebesbeweise zu. So machen es anch ge¬
meiniglich die Gelehrten, wenn sie ihre Spezialfächer für etwas wichtiges halten,
und nicht ihr Wille ist es, daß die Wahrheit ihnen verschlossen bleibt.

Ich möchte dir da ans meinen phrenologischen Erfahrungen eine kleine
Geschichte erzählen, warf der Vater ein, indem er bestrebt war, von angreifenden
Gespräch abzulenken. Ich besuche zuweilen die naturwissenschaftliche Gesellschaft,
der unser Arzt angehört, und war vor einigen Wochen mit ihm zusammen dort.
Er hielt eiuen Vortrag materialistischer Tendenz, wie er der in der Gesellschaft
herrschenden Richtung entsprach. Doch ist sein Kopf hoch gewölbt, so daß sein
Haar, wie du vielleicht bemerkt hast, sich in der Mitte scheitelt, und es kam mir
deshalb so vor, als stimmte er nnr aus Scheu für ungebildet zu gelten jener
Richtung zu. Ich wollte ihn auf die Probe stellen, und auf dem Wege nach
Hause, als wir beiden allein waren, blieb ich stehen, legte meine Hand auf seinen
Arm und sagte: Sie haben heute sehr hübsch gesprochen, lieber Doktor, aber
ich für meine Person kann mich von der Überzeugung nicht losmachen, daß es
doch einen Gott giebt. Da sah er mich mit freudigem Blicke an, und mit tiefem
Aufathmen, gleich als fiele ein Stein von seinem Herzen, antwortete er: Ja,
Sie habe:, Recht, es giebt einen Gott, das glaube ich auch aus tiefster Seele.

Das bringt mich auf mancherlei Gedanken, sagte Ephraim nach einer
Pause. Unter anderm fällt mir das Bildnis Kants ein. Sein Kopf ist das
Gegenstück zu dem des Doktors, die Stirn mächtig entwickelt, der Oberkopf flach.
Was wirst du daraus schließen, daß der eine Mensch mit völliger Gewißheit
das Dasein Gottes fühlt, während der andre den vollendeten Beweis führt,
daß der Begriff eines Gottes jenseits der Sphäre unsrer Vernunft liegt?

Daraus kann ich zunächst nur schließe», daß verschiedenen Organen unsres
Geistes verschiedene Aufgaben obliegen.

Aber in Bezug auf die Erkenntnis Gottes, wie schließest du da? Unsre
Materialisten und Idealisten kommen mir angesichts dieser phrenologischen That¬
sache wie Clowns vor, die mit hölzernen Schwertern fechten.

O v, mein Kind, du gehst scharf vor, sagte der Alte. Bedenke, daß doch
immer einem jeden ein jedes Organ eigen und nur dessen Stärke verschieden ist.
Wenn einem Menschen ein einziges Organ ganz fehlte, so würde er kein Mensch
sein. Allen ist uns die Verehrung Gottes angeboren, und daß ein Organ dafür


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[0146] Einzelstudien, aus denen sie viel Wesens machen und die sie Wissenschaften nennen, obwohl dieselben, wenn auch klarer als das Glauben, doch dunkler sind als das Wissen. Nur wenige aber lassen sich auf die Philosophie ein, der doch schließlich alle Einzelstndien dienen müssen. So wollen auch nur wenige die Bedeutung der Phrenologie als Naturwissenschaft des menschlichen Geistes und damit als echte Philosophie einsehen. Wundert dich das, mein Vater? fragte Ephraim lächelnd. Als die Freier der Penelope die Königin selber unzugänglich fanden, da wandten sie den Diene¬ rinnen, die willfähriger waren, ihre Liebesbeweise zu. So machen es anch ge¬ meiniglich die Gelehrten, wenn sie ihre Spezialfächer für etwas wichtiges halten, und nicht ihr Wille ist es, daß die Wahrheit ihnen verschlossen bleibt. Ich möchte dir da ans meinen phrenologischen Erfahrungen eine kleine Geschichte erzählen, warf der Vater ein, indem er bestrebt war, von angreifenden Gespräch abzulenken. Ich besuche zuweilen die naturwissenschaftliche Gesellschaft, der unser Arzt angehört, und war vor einigen Wochen mit ihm zusammen dort. Er hielt eiuen Vortrag materialistischer Tendenz, wie er der in der Gesellschaft herrschenden Richtung entsprach. Doch ist sein Kopf hoch gewölbt, so daß sein Haar, wie du vielleicht bemerkt hast, sich in der Mitte scheitelt, und es kam mir deshalb so vor, als stimmte er nnr aus Scheu für ungebildet zu gelten jener Richtung zu. Ich wollte ihn auf die Probe stellen, und auf dem Wege nach Hause, als wir beiden allein waren, blieb ich stehen, legte meine Hand auf seinen Arm und sagte: Sie haben heute sehr hübsch gesprochen, lieber Doktor, aber ich für meine Person kann mich von der Überzeugung nicht losmachen, daß es doch einen Gott giebt. Da sah er mich mit freudigem Blicke an, und mit tiefem Aufathmen, gleich als fiele ein Stein von seinem Herzen, antwortete er: Ja, Sie habe:, Recht, es giebt einen Gott, das glaube ich auch aus tiefster Seele. Das bringt mich auf mancherlei Gedanken, sagte Ephraim nach einer Pause. Unter anderm fällt mir das Bildnis Kants ein. Sein Kopf ist das Gegenstück zu dem des Doktors, die Stirn mächtig entwickelt, der Oberkopf flach. Was wirst du daraus schließen, daß der eine Mensch mit völliger Gewißheit das Dasein Gottes fühlt, während der andre den vollendeten Beweis führt, daß der Begriff eines Gottes jenseits der Sphäre unsrer Vernunft liegt? Daraus kann ich zunächst nur schließe», daß verschiedenen Organen unsres Geistes verschiedene Aufgaben obliegen. Aber in Bezug auf die Erkenntnis Gottes, wie schließest du da? Unsre Materialisten und Idealisten kommen mir angesichts dieser phrenologischen That¬ sache wie Clowns vor, die mit hölzernen Schwertern fechten. O v, mein Kind, du gehst scharf vor, sagte der Alte. Bedenke, daß doch immer einem jeden ein jedes Organ eigen und nur dessen Stärke verschieden ist. Wenn einem Menschen ein einziges Organ ganz fehlte, so würde er kein Mensch sein. Allen ist uns die Verehrung Gottes angeboren, und daß ein Organ dafür

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/146>, abgerufen am 22.07.2024.