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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und ThyrsostrLger.

War die Mutter mehr um Alfons besorgt, so war es der Vater mehr um
Ephraim, seinen Liebling, der seinen, Geiste am nächsten stand. Er hatte von
dessen früher Jugend an beobachtet, wie der lebhafte und tief empfindende Sinn
des Kindes dessen Körper zu stark in Mitleidenschaft zog und für sich allein
Kräfte in Anspruch nahm, die doch auch dem Erblühen und der Erhaltung des
Leibes dienen sollten. In dieser Einsicht hatte er das Studiren des Sohnes
möglichst beschränken Wollen und hatte ihn ernährt, in dem schönen Heidelberg
sich mehr der Natur als den Büchern zu widmen. Nun mußte er sehen, wie
machtlos menschliche Berechnung ist, und er sah mit trüben Ahnungen die Ver¬
heerung vor sich, welche die Erfahrungen des Lebens in dem vom Denken er¬
müdeten Nervensystem angerichtet hatten.

Wunderbarer Weise jedoch ward mit jedem Fortschritt, deu die Krankheit
machte, und der sich in zunehmender Schwäche zeigte, das Gemüt Ephraims
immer reiner, klarer und heiterer. Mit einem feierlichen Gefühl der Wunder
der Schöpfung, mit einer Teilnahme, die zwischen Trauer und Freude mitten
inne stand, sah der Vater eine himmlische Sanftmut und Zufriedenheit, ja den
Ausdruck stillen Glücks sich immer beständiger anf den blassen Zügen des Liegen¬
den ausprägen, gleich als blickte die der Befreiung nahe Psyche mit Freuden
dein Jenseits entgegen. Diese Heiterkeit verließ den Kranken nicht mehr seit
dem Tage, an welchem er die Nachricht erhielt, daß sein verwundeter Gegner
außer Gefahr sei und binnen kurzem in seine Garnison zurückkehren werde.

Eine andre Nachricht, die zur selben Zeit im Stahlhardtschen Hanse einlief,
ward Ephraim sorgfältig verschwiegen: es war die Trauerkunde von dem Ende,
welches Alfons genommen hatte. Tagelang ließ sich Frau Clnrn in ihrem über¬
wältigenden Schmerz nicht am Krankenlager sehen.

Ephraims geistige Regsamkeit hielt gleichen Schritt und nahm zu mit der
Ruhe seiner Seele und der Schwäche seines Körpers, so daß er, gegen den
Wunsch des Vaters, täglich stundenlang in wissenschaftliche Arbeit oder in ernste
Gespräche sich vertiefte. Wollte er den Sohn nicht betrüben, so mußte Dr. Stahl-
hardt in ernster Weise auf dessen Fragen und Erörterungen eingehen, und so
verwandelte sich das Krankenzimmer, in welchem der Vater zur besseren Pflege
sein eignes Lager hatte aufschlagen lassen, oft in den Schauplatz philosophischer
Disputation. Nur sah der Vater zu seiner Verwunderung sich selbst immer
Mehr zum Schüler, Ephraim aber zum Lehrer werden und vernahm vorn Sohne
Aufschlüsse in dunkeln Punkten der eignen Wahrnehmungen, die ihn mächtig zum
Denken anregten.

Die Gespräche drehten sich besonders um das phrenologische Werk Dr. Stahl-
hardts, welches Ephraim lebhaft interessirte.

Mein Buch hat wenig Erfolg gehabt, ja ich kann Wohl sagen, es hat kaum
die Aufmerksamkeit erregt, sagte jener eines Tages. Die Gelehrten beschäftigen
sich mit Anatomie, mit Physiologie, mit Anthropologie, mit allen mögliche"


Gronzboteu M. 1882. 18
Bakchen und ThyrsostrLger.

War die Mutter mehr um Alfons besorgt, so war es der Vater mehr um
Ephraim, seinen Liebling, der seinen, Geiste am nächsten stand. Er hatte von
dessen früher Jugend an beobachtet, wie der lebhafte und tief empfindende Sinn
des Kindes dessen Körper zu stark in Mitleidenschaft zog und für sich allein
Kräfte in Anspruch nahm, die doch auch dem Erblühen und der Erhaltung des
Leibes dienen sollten. In dieser Einsicht hatte er das Studiren des Sohnes
möglichst beschränken Wollen und hatte ihn ernährt, in dem schönen Heidelberg
sich mehr der Natur als den Büchern zu widmen. Nun mußte er sehen, wie
machtlos menschliche Berechnung ist, und er sah mit trüben Ahnungen die Ver¬
heerung vor sich, welche die Erfahrungen des Lebens in dem vom Denken er¬
müdeten Nervensystem angerichtet hatten.

Wunderbarer Weise jedoch ward mit jedem Fortschritt, deu die Krankheit
machte, und der sich in zunehmender Schwäche zeigte, das Gemüt Ephraims
immer reiner, klarer und heiterer. Mit einem feierlichen Gefühl der Wunder
der Schöpfung, mit einer Teilnahme, die zwischen Trauer und Freude mitten
inne stand, sah der Vater eine himmlische Sanftmut und Zufriedenheit, ja den
Ausdruck stillen Glücks sich immer beständiger anf den blassen Zügen des Liegen¬
den ausprägen, gleich als blickte die der Befreiung nahe Psyche mit Freuden
dein Jenseits entgegen. Diese Heiterkeit verließ den Kranken nicht mehr seit
dem Tage, an welchem er die Nachricht erhielt, daß sein verwundeter Gegner
außer Gefahr sei und binnen kurzem in seine Garnison zurückkehren werde.

Eine andre Nachricht, die zur selben Zeit im Stahlhardtschen Hanse einlief,
ward Ephraim sorgfältig verschwiegen: es war die Trauerkunde von dem Ende,
welches Alfons genommen hatte. Tagelang ließ sich Frau Clnrn in ihrem über¬
wältigenden Schmerz nicht am Krankenlager sehen.

Ephraims geistige Regsamkeit hielt gleichen Schritt und nahm zu mit der
Ruhe seiner Seele und der Schwäche seines Körpers, so daß er, gegen den
Wunsch des Vaters, täglich stundenlang in wissenschaftliche Arbeit oder in ernste
Gespräche sich vertiefte. Wollte er den Sohn nicht betrüben, so mußte Dr. Stahl-
hardt in ernster Weise auf dessen Fragen und Erörterungen eingehen, und so
verwandelte sich das Krankenzimmer, in welchem der Vater zur besseren Pflege
sein eignes Lager hatte aufschlagen lassen, oft in den Schauplatz philosophischer
Disputation. Nur sah der Vater zu seiner Verwunderung sich selbst immer
Mehr zum Schüler, Ephraim aber zum Lehrer werden und vernahm vorn Sohne
Aufschlüsse in dunkeln Punkten der eignen Wahrnehmungen, die ihn mächtig zum
Denken anregten.

Die Gespräche drehten sich besonders um das phrenologische Werk Dr. Stahl-
hardts, welches Ephraim lebhaft interessirte.

Mein Buch hat wenig Erfolg gehabt, ja ich kann Wohl sagen, es hat kaum
die Aufmerksamkeit erregt, sagte jener eines Tages. Die Gelehrten beschäftigen
sich mit Anatomie, mit Physiologie, mit Anthropologie, mit allen mögliche»


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[0145] Bakchen und ThyrsostrLger. War die Mutter mehr um Alfons besorgt, so war es der Vater mehr um Ephraim, seinen Liebling, der seinen, Geiste am nächsten stand. Er hatte von dessen früher Jugend an beobachtet, wie der lebhafte und tief empfindende Sinn des Kindes dessen Körper zu stark in Mitleidenschaft zog und für sich allein Kräfte in Anspruch nahm, die doch auch dem Erblühen und der Erhaltung des Leibes dienen sollten. In dieser Einsicht hatte er das Studiren des Sohnes möglichst beschränken Wollen und hatte ihn ernährt, in dem schönen Heidelberg sich mehr der Natur als den Büchern zu widmen. Nun mußte er sehen, wie machtlos menschliche Berechnung ist, und er sah mit trüben Ahnungen die Ver¬ heerung vor sich, welche die Erfahrungen des Lebens in dem vom Denken er¬ müdeten Nervensystem angerichtet hatten. Wunderbarer Weise jedoch ward mit jedem Fortschritt, deu die Krankheit machte, und der sich in zunehmender Schwäche zeigte, das Gemüt Ephraims immer reiner, klarer und heiterer. Mit einem feierlichen Gefühl der Wunder der Schöpfung, mit einer Teilnahme, die zwischen Trauer und Freude mitten inne stand, sah der Vater eine himmlische Sanftmut und Zufriedenheit, ja den Ausdruck stillen Glücks sich immer beständiger anf den blassen Zügen des Liegen¬ den ausprägen, gleich als blickte die der Befreiung nahe Psyche mit Freuden dein Jenseits entgegen. Diese Heiterkeit verließ den Kranken nicht mehr seit dem Tage, an welchem er die Nachricht erhielt, daß sein verwundeter Gegner außer Gefahr sei und binnen kurzem in seine Garnison zurückkehren werde. Eine andre Nachricht, die zur selben Zeit im Stahlhardtschen Hanse einlief, ward Ephraim sorgfältig verschwiegen: es war die Trauerkunde von dem Ende, welches Alfons genommen hatte. Tagelang ließ sich Frau Clnrn in ihrem über¬ wältigenden Schmerz nicht am Krankenlager sehen. Ephraims geistige Regsamkeit hielt gleichen Schritt und nahm zu mit der Ruhe seiner Seele und der Schwäche seines Körpers, so daß er, gegen den Wunsch des Vaters, täglich stundenlang in wissenschaftliche Arbeit oder in ernste Gespräche sich vertiefte. Wollte er den Sohn nicht betrüben, so mußte Dr. Stahl- hardt in ernster Weise auf dessen Fragen und Erörterungen eingehen, und so verwandelte sich das Krankenzimmer, in welchem der Vater zur besseren Pflege sein eignes Lager hatte aufschlagen lassen, oft in den Schauplatz philosophischer Disputation. Nur sah der Vater zu seiner Verwunderung sich selbst immer Mehr zum Schüler, Ephraim aber zum Lehrer werden und vernahm vorn Sohne Aufschlüsse in dunkeln Punkten der eignen Wahrnehmungen, die ihn mächtig zum Denken anregten. Die Gespräche drehten sich besonders um das phrenologische Werk Dr. Stahl- hardts, welches Ephraim lebhaft interessirte. Mein Buch hat wenig Erfolg gehabt, ja ich kann Wohl sagen, es hat kaum die Aufmerksamkeit erregt, sagte jener eines Tages. Die Gelehrten beschäftigen sich mit Anatomie, mit Physiologie, mit Anthropologie, mit allen mögliche» Gronzboteu M. 1882. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/145>, abgerufen am 22.07.2024.