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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Es ist eine Überfülle von tiefen Eindrücken, die hier poetisch bewältigt werden
sollen und darum erscheint nicht alles klar und voll ausgebildet. Aber in allem
ist Blut und energische Haltung, in allein ein besondrer Geist, den es treibt,
auch deu Rätseln des Lebens und der menschlichen Natur nachzugehen und selbst
eine gewisse Vorliebe für das Herbe, Dunkle und Düstere. Daß aber Höfer
andrerseits für das Sonnige, Helle und Heitere im Dasein das offenste Ange
besitzt, erweist das oben erwähnte Skizzenbuch "Schwauwiek," in seiner Art eine
einzige Leistung, ein Idyll in Prosa, wie wenige existiren. Von einer Handlung
ist hier kaum die Rede, wenn auch ein Paar rote Fäden durchlaufen. Es ist
das Leben ans einem norddeutschen, nicht allzuweit von der See gelegenen Gute,
in einem gastfreien Hause, so recht einem warmen, alten, lieben Nest, wie es,
Gott sei Dank, ihrer noch immer etliche in Deutschland giebt, ein Haus, in
welchen? Platz für Gäste und Meuscheu aller Art ist, welches in "Schwauwiek"
in leuchtend hellen Farben dargestellt wird. Der Wechsel der Jahreszeiten und
Tage, der Begebnisse und Stimmungen in einem Alltagsleben, das leise Auf-
und Abwvgeu eines in sich befriedigten Daseins, das Treiben von den Aus¬
flügen zu Land und Wasser, vom Erntefest bis zur "Hochzeit im Schnee," einem
Brauttag, in den die vollste Vlütenpracht eines norddeutschen Frühlings hinein
schimmert, mit vielen nicht besonders hervorragenden, aber liebenswürdigen,
lebenswarmen Menschengestalten tritt nus anschaulich und anheimelnd entgegen
und erweist Hofers entschiedene Fähigkeit für das Idyll. Wenn es nicht nllzn
pointirt klänge, um ganz wahr zu sein, möchten wir sagen, es sei Hofers Mi߬
geschick, daß sich die Doppelneigung sür das reizvolle, farbeuhelle Idyll und für
die tragische von wilder Leidenschaft bewegte Geschichte niemals völlig bei ihm
durchdrungen haben. Gewiß ist, daß es in keinem der großen Romane Hofers
voll geschehen ist. Als Grundstimmung herrscht beinahe in allen seinen Er¬
zählungen die erstbezcichnete vor, in der Regel handelt es sich um ein wildes
Stück Leben, das dnrch den Kontrast mit den Umgebungen noch besonders er¬
greifend wirkt.

Gleich in den Novellen "Aus dem Volke" sind es vor allen die "Erzäh¬
lungen eines alten Tambours," welche diese Eigentümlichkeit und die Meisterschaft,
die Höfer in der Wiedergabe solcher wilden Geschichten besaß, offenbaren. Hier
ist ganz der merkwürdige, bald knappe, bald breite Vortrag, der Ton, aus dem
das verhaltene und zurückgedämmte Gefühl mächtig hervorbricht, hier sind die
satte Farbengebung, die sichere Charakterzeichnung, welche mit wenigen Strichen
die Gestalten vor Angen stellt, die Atmosphäre, welche jeder einzelnen Erzählung
ihre Gesammtstimmung giebt. Man lese beispielsweise nur die "Der Aufruhr"
übcrschriebene Geschichte, um den vollen Eindruck der Eigenart Hofers zu haben.
Verwandte Leistungen vou gleicher Vorzüglichkeit sind die Novellen "Der stille
Kamerad" und "Ein alter Mann" ("Aus alter und neuer Zeit," 1354), die
prachtvolle Erzählung "Aus einer Familie," der sich fast ebenbürtig "Die hellen


Es ist eine Überfülle von tiefen Eindrücken, die hier poetisch bewältigt werden
sollen und darum erscheint nicht alles klar und voll ausgebildet. Aber in allem
ist Blut und energische Haltung, in allein ein besondrer Geist, den es treibt,
auch deu Rätseln des Lebens und der menschlichen Natur nachzugehen und selbst
eine gewisse Vorliebe für das Herbe, Dunkle und Düstere. Daß aber Höfer
andrerseits für das Sonnige, Helle und Heitere im Dasein das offenste Ange
besitzt, erweist das oben erwähnte Skizzenbuch „Schwauwiek," in seiner Art eine
einzige Leistung, ein Idyll in Prosa, wie wenige existiren. Von einer Handlung
ist hier kaum die Rede, wenn auch ein Paar rote Fäden durchlaufen. Es ist
das Leben ans einem norddeutschen, nicht allzuweit von der See gelegenen Gute,
in einem gastfreien Hause, so recht einem warmen, alten, lieben Nest, wie es,
Gott sei Dank, ihrer noch immer etliche in Deutschland giebt, ein Haus, in
welchen? Platz für Gäste und Meuscheu aller Art ist, welches in „Schwauwiek"
in leuchtend hellen Farben dargestellt wird. Der Wechsel der Jahreszeiten und
Tage, der Begebnisse und Stimmungen in einem Alltagsleben, das leise Auf-
und Abwvgeu eines in sich befriedigten Daseins, das Treiben von den Aus¬
flügen zu Land und Wasser, vom Erntefest bis zur „Hochzeit im Schnee," einem
Brauttag, in den die vollste Vlütenpracht eines norddeutschen Frühlings hinein
schimmert, mit vielen nicht besonders hervorragenden, aber liebenswürdigen,
lebenswarmen Menschengestalten tritt nus anschaulich und anheimelnd entgegen
und erweist Hofers entschiedene Fähigkeit für das Idyll. Wenn es nicht nllzn
pointirt klänge, um ganz wahr zu sein, möchten wir sagen, es sei Hofers Mi߬
geschick, daß sich die Doppelneigung sür das reizvolle, farbeuhelle Idyll und für
die tragische von wilder Leidenschaft bewegte Geschichte niemals völlig bei ihm
durchdrungen haben. Gewiß ist, daß es in keinem der großen Romane Hofers
voll geschehen ist. Als Grundstimmung herrscht beinahe in allen seinen Er¬
zählungen die erstbezcichnete vor, in der Regel handelt es sich um ein wildes
Stück Leben, das dnrch den Kontrast mit den Umgebungen noch besonders er¬
greifend wirkt.

Gleich in den Novellen „Aus dem Volke" sind es vor allen die „Erzäh¬
lungen eines alten Tambours," welche diese Eigentümlichkeit und die Meisterschaft,
die Höfer in der Wiedergabe solcher wilden Geschichten besaß, offenbaren. Hier
ist ganz der merkwürdige, bald knappe, bald breite Vortrag, der Ton, aus dem
das verhaltene und zurückgedämmte Gefühl mächtig hervorbricht, hier sind die
satte Farbengebung, die sichere Charakterzeichnung, welche mit wenigen Strichen
die Gestalten vor Angen stellt, die Atmosphäre, welche jeder einzelnen Erzählung
ihre Gesammtstimmung giebt. Man lese beispielsweise nur die „Der Aufruhr"
übcrschriebene Geschichte, um den vollen Eindruck der Eigenart Hofers zu haben.
Verwandte Leistungen vou gleicher Vorzüglichkeit sind die Novellen „Der stille
Kamerad" und „Ein alter Mann" („Aus alter und neuer Zeit," 1354), die
prachtvolle Erzählung „Aus einer Familie," der sich fast ebenbürtig „Die hellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/135>, abgerufen am 01.10.2024.