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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ich kann mir nichts Schieferes denken als diese Sätze der "Deutschen Haus-
frauen-Zeitung." Es wäre etwas recht Verkehrtes, wollten wir unsern Frauen
zumuten, die operative Behandlung besonders schwerer Leibesschädeu an Stelle
der Spezialärzte zu übernehmen, dagegen die der Sitte entsprechende häusliche
Gesundheitspflege durch die sorgsame Mutter- und Frauenhand unterschätzen.
Nun, nicht minder verkehrt kommt es mir vor, die Behandlung jener in der
Prostitution zu Tage tretenden akuten Krankheitserscheinung als Sache der
Frauen zu erklären, während in verhängnisvollen Grade auf dem durch die
deutsche Sitte von Alters her ihr zugewiesenen Felde nachhaltigster Bekämpfung
der Unsittlichkeit die deutsche Frau uur zu sehr sich bereits entwöhnt hat, ihre
schwerwiegende soziale Aufgabe zu erkennen und zu erfüllen. Nicht im Bruche
mit dem "Hergebrachten und Schicklichen," uicht im "Opfer ihres persönlichen
Friedens und der persönlichen Stellung in der Gesellschaft" sollten mich jene
agitativns- und emanzipationslnstigen absonderlichen Frauennaturen ein an öffent¬
lichen Aufsehen zwar reiches, an sachlicher Wirkung aber um so ärmeres Mar¬
tyrium suchen, wir haben heute in der That bereits eine Agitation nötig, eine
recht nachdrückliche Propaganda, nur die deutsche Hausfrau wieder zum Ver¬
ständnis zurückzuführen für jene sittlich erziehende Wirksamkeit in der ihr un¬
bestritten zugehörenden Sphäre in und außer dem Hause. Nur der Wahl?, in
der Öffentlichkeit bestehe der Hauptwert des Strebens, kann dies verkennen, ein
Wahn, dem gerade die Frauen, haben sie erst einmal die althergebrachte Varriöre
des Mauer ta-vog-t, in keolssw, unter dem verwunderten Beifall der Männer mutig
genommen, uur allzu häufig auhcimfcilleu. Mögen sie sich wohl fühlen in ihrer
Eigenart, diese Frauen der Rednertribüne! Daß aber die deutsche Frau im all¬
gemeinen ihnen nacheifere, das sollen sie nicht verlangen. Unsere Frauen haben
wahrlich Besseres zu thun in ihrem Beruf zur Lösung der sozialen Frage.

Die sittliche Erziehung der des elterlichen Schutzes entbeh¬
renden weiblichen Jngend der arbeitenden Stunde -- das ist die Auf¬
gabe, deren Lösung die sozialen Zustände der Gegenwart unsern Frauen zur
ernsten Pflicht machen, und leider dürfen wir es uns nicht verhehlen, daß es
an der Erfüllung dieser Pflicht um allen Enden in bedenklichem Grade fehlt.
Obenan steht dabei die Erziehung der weiblichen Dienstboten.

Ich bitte den Leser vor allem, einen Blick in die großstädtischen Verhält¬
nisse zu werfen. Man hat in Berlin die Wahrnehmung gemacht, daß häufig
vou auswärts kommende Mädchen, welche in der Reichshauptstadt ihre Arbeits¬
kraft verwerten wollen, schon ans den Bahnhöfen von schlechte" Personen an¬
gelockt und nur zu oft rettungslos auf Abwege geführt werdeu. Es ist deshalb
in neuester Zeit in einem Kreise gebildeter Frauen der Gedanke angeregt worden,
ob nicht durch nachdrückliche öffentliche Warnungen und durch die Einrichtung
einer kostenfreien Stellenvermittelung Abhilfe geschaffen werdeu könne, und be¬
reits sind auch praktische Schritte zur Verwirklichung dieses menschenfreundlichen


Ich kann mir nichts Schieferes denken als diese Sätze der „Deutschen Haus-
frauen-Zeitung." Es wäre etwas recht Verkehrtes, wollten wir unsern Frauen
zumuten, die operative Behandlung besonders schwerer Leibesschädeu an Stelle
der Spezialärzte zu übernehmen, dagegen die der Sitte entsprechende häusliche
Gesundheitspflege durch die sorgsame Mutter- und Frauenhand unterschätzen.
Nun, nicht minder verkehrt kommt es mir vor, die Behandlung jener in der
Prostitution zu Tage tretenden akuten Krankheitserscheinung als Sache der
Frauen zu erklären, während in verhängnisvollen Grade auf dem durch die
deutsche Sitte von Alters her ihr zugewiesenen Felde nachhaltigster Bekämpfung
der Unsittlichkeit die deutsche Frau uur zu sehr sich bereits entwöhnt hat, ihre
schwerwiegende soziale Aufgabe zu erkennen und zu erfüllen. Nicht im Bruche
mit dem „Hergebrachten und Schicklichen," uicht im „Opfer ihres persönlichen
Friedens und der persönlichen Stellung in der Gesellschaft" sollten mich jene
agitativns- und emanzipationslnstigen absonderlichen Frauennaturen ein an öffent¬
lichen Aufsehen zwar reiches, an sachlicher Wirkung aber um so ärmeres Mar¬
tyrium suchen, wir haben heute in der That bereits eine Agitation nötig, eine
recht nachdrückliche Propaganda, nur die deutsche Hausfrau wieder zum Ver¬
ständnis zurückzuführen für jene sittlich erziehende Wirksamkeit in der ihr un¬
bestritten zugehörenden Sphäre in und außer dem Hause. Nur der Wahl?, in
der Öffentlichkeit bestehe der Hauptwert des Strebens, kann dies verkennen, ein
Wahn, dem gerade die Frauen, haben sie erst einmal die althergebrachte Varriöre
des Mauer ta-vog-t, in keolssw, unter dem verwunderten Beifall der Männer mutig
genommen, uur allzu häufig auhcimfcilleu. Mögen sie sich wohl fühlen in ihrer
Eigenart, diese Frauen der Rednertribüne! Daß aber die deutsche Frau im all¬
gemeinen ihnen nacheifere, das sollen sie nicht verlangen. Unsere Frauen haben
wahrlich Besseres zu thun in ihrem Beruf zur Lösung der sozialen Frage.

Die sittliche Erziehung der des elterlichen Schutzes entbeh¬
renden weiblichen Jngend der arbeitenden Stunde — das ist die Auf¬
gabe, deren Lösung die sozialen Zustände der Gegenwart unsern Frauen zur
ernsten Pflicht machen, und leider dürfen wir es uns nicht verhehlen, daß es
an der Erfüllung dieser Pflicht um allen Enden in bedenklichem Grade fehlt.
Obenan steht dabei die Erziehung der weiblichen Dienstboten.

Ich bitte den Leser vor allem, einen Blick in die großstädtischen Verhält¬
nisse zu werfen. Man hat in Berlin die Wahrnehmung gemacht, daß häufig
vou auswärts kommende Mädchen, welche in der Reichshauptstadt ihre Arbeits¬
kraft verwerten wollen, schon ans den Bahnhöfen von schlechte» Personen an¬
gelockt und nur zu oft rettungslos auf Abwege geführt werdeu. Es ist deshalb
in neuester Zeit in einem Kreise gebildeter Frauen der Gedanke angeregt worden,
ob nicht durch nachdrückliche öffentliche Warnungen und durch die Einrichtung
einer kostenfreien Stellenvermittelung Abhilfe geschaffen werdeu könne, und be¬
reits sind auch praktische Schritte zur Verwirklichung dieses menschenfreundlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/123>, abgerufen am 23.07.2024.