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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Männer ihre höheren Anschauungen in Religion und Sitte weniger dnrch eine
Weiterbildung der bereits damals herrschenden exklusiven Ansichten des Volkes
als durch einen Bruch mit denselben gewonnen haben. Zweitens hätte die That¬
sache mehr herausgehoben werde" sollen, daß das spezifisch Jüdische, eben jene
Exklusivität der gesammten Denk- und Sinnesweise, sich in seiner vollen Starr¬
heit erst uach dein Verluste der politischen Selbständigkeit des jüdische" Volkes
ausgebildet hat. Wenn auch Währmund mit Recht bestreitet, daß eine Religion,
welche, wie die jüdische, als eine bloße Volksreligion, mit einem Nationalgott
an der Spitze entstanden ist und welche sich anch heute uoch durch ihren fana-
tischen Haß gegen alle andern Völker (die Gojim) als solche verrät, jemals in
irgend einer Epoche ihrer Entwicklungsgeschichte den Charakter einer Universal¬
religion getragen haben könne, so ist doch andrerseits ebenso sicher, daß die
wahnwitzige Ausschließlichkeit des talmudischen Standpunktes nicht aus einer
naturgemäßen Weiterentwicklung aus deu Tendenzen der Religion des alttestnment-
lichen Prvphetismns hervorgegangen ist, sondern als eine durch ungünstige äußere
Verhältnisse, vor allem durch deu unmenschliche" Druck heidnischer Zwingherren
entstandene Nerkümmernug und Erstarrung ursprünglich reinerer und freierer
Anschauungen zu betrachten ist.

Auch in Einzelheiten bedarf das Urteil Wahrmnnds manchmal einer
Modifikation. Man darf z. B. ans dein Vorhandensein ägyptischer Einflüsse
kurz vor der Zerstörung Jerusalems uicht den Schluß ziehen, als ob eine
solche Einwirkung während des ganzen Bestandes des südlichen Reiches Juda
in deu vorhergehenden Jahrhunderten stattgefunden habe. Vielmehr erklärt sich
diese vorübergehende Beeinflussung der Jsraeliten aus der Allianz der letzten
Herrscher des Reiches Juda mit den Pharaonen, welche jene zu dem Zwecke
eingegangen waren, um sich dadurch dem Joche der seit dem Beginne der baby¬
lonischen Invasionen schwer auf ihnen lastenden Vabylvuieryerrschaft zu eut
ziehen.

Wahrmnnds Schrift ist recht wohl geeignet, zur Klärung der vielfach un¬
klaren Anschauungen über den Ursprung der religiösen Ideen und der sittlichen
Maximen des jüdischen Volkes in alter und neuer Zeit zu dienen. Aber anch
abgesehen von der Judenfrage ist die Schrift von Wert, da sie den Laien über
die neuesten Ergebnisse der ethnographischen, religious- und liternrgeschichtlichen
Forschungen auf dem Gebiete der vorderasiatischen Kulturvölker orientirt. Der
Verfasser hat eine reiche wissenschaftliche Literatur benutzt, und zwar hat er es
"für das Beste gehalten, möglichst viele Autoren aus den verschiedensten Schulen
selbstredend vorzuführen, damit der Leser gleichsam Truppen ans vieler Herren
Ländern und von allen Waffengattungen unter eine Fahne gereiht dem gleichen
Ziele zumarschireu sieht." Trotzdem macht seine Schrift durchaus nicht den
Eindruck einer Kompilation verschiedenartiger Ansichten und Stilarten, vielmehr
dient jenes Verfahren dazu, den Eindruck der auch sonst recht gut geschriebenen


Männer ihre höheren Anschauungen in Religion und Sitte weniger dnrch eine
Weiterbildung der bereits damals herrschenden exklusiven Ansichten des Volkes
als durch einen Bruch mit denselben gewonnen haben. Zweitens hätte die That¬
sache mehr herausgehoben werde» sollen, daß das spezifisch Jüdische, eben jene
Exklusivität der gesammten Denk- und Sinnesweise, sich in seiner vollen Starr¬
heit erst uach dein Verluste der politischen Selbständigkeit des jüdische» Volkes
ausgebildet hat. Wenn auch Währmund mit Recht bestreitet, daß eine Religion,
welche, wie die jüdische, als eine bloße Volksreligion, mit einem Nationalgott
an der Spitze entstanden ist und welche sich anch heute uoch durch ihren fana-
tischen Haß gegen alle andern Völker (die Gojim) als solche verrät, jemals in
irgend einer Epoche ihrer Entwicklungsgeschichte den Charakter einer Universal¬
religion getragen haben könne, so ist doch andrerseits ebenso sicher, daß die
wahnwitzige Ausschließlichkeit des talmudischen Standpunktes nicht aus einer
naturgemäßen Weiterentwicklung aus deu Tendenzen der Religion des alttestnment-
lichen Prvphetismns hervorgegangen ist, sondern als eine durch ungünstige äußere
Verhältnisse, vor allem durch deu unmenschliche« Druck heidnischer Zwingherren
entstandene Nerkümmernug und Erstarrung ursprünglich reinerer und freierer
Anschauungen zu betrachten ist.

Auch in Einzelheiten bedarf das Urteil Wahrmnnds manchmal einer
Modifikation. Man darf z. B. ans dein Vorhandensein ägyptischer Einflüsse
kurz vor der Zerstörung Jerusalems uicht den Schluß ziehen, als ob eine
solche Einwirkung während des ganzen Bestandes des südlichen Reiches Juda
in deu vorhergehenden Jahrhunderten stattgefunden habe. Vielmehr erklärt sich
diese vorübergehende Beeinflussung der Jsraeliten aus der Allianz der letzten
Herrscher des Reiches Juda mit den Pharaonen, welche jene zu dem Zwecke
eingegangen waren, um sich dadurch dem Joche der seit dem Beginne der baby¬
lonischen Invasionen schwer auf ihnen lastenden Vabylvuieryerrschaft zu eut
ziehen.

Wahrmnnds Schrift ist recht wohl geeignet, zur Klärung der vielfach un¬
klaren Anschauungen über den Ursprung der religiösen Ideen und der sittlichen
Maximen des jüdischen Volkes in alter und neuer Zeit zu dienen. Aber anch
abgesehen von der Judenfrage ist die Schrift von Wert, da sie den Laien über
die neuesten Ergebnisse der ethnographischen, religious- und liternrgeschichtlichen
Forschungen auf dem Gebiete der vorderasiatischen Kulturvölker orientirt. Der
Verfasser hat eine reiche wissenschaftliche Literatur benutzt, und zwar hat er es
„für das Beste gehalten, möglichst viele Autoren aus den verschiedensten Schulen
selbstredend vorzuführen, damit der Leser gleichsam Truppen ans vieler Herren
Ländern und von allen Waffengattungen unter eine Fahne gereiht dem gleichen
Ziele zumarschireu sieht." Trotzdem macht seine Schrift durchaus nicht den
Eindruck einer Kompilation verschiedenartiger Ansichten und Stilarten, vielmehr
dient jenes Verfahren dazu, den Eindruck der auch sonst recht gut geschriebenen


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[0120] Männer ihre höheren Anschauungen in Religion und Sitte weniger dnrch eine Weiterbildung der bereits damals herrschenden exklusiven Ansichten des Volkes als durch einen Bruch mit denselben gewonnen haben. Zweitens hätte die That¬ sache mehr herausgehoben werde» sollen, daß das spezifisch Jüdische, eben jene Exklusivität der gesammten Denk- und Sinnesweise, sich in seiner vollen Starr¬ heit erst uach dein Verluste der politischen Selbständigkeit des jüdische» Volkes ausgebildet hat. Wenn auch Währmund mit Recht bestreitet, daß eine Religion, welche, wie die jüdische, als eine bloße Volksreligion, mit einem Nationalgott an der Spitze entstanden ist und welche sich anch heute uoch durch ihren fana- tischen Haß gegen alle andern Völker (die Gojim) als solche verrät, jemals in irgend einer Epoche ihrer Entwicklungsgeschichte den Charakter einer Universal¬ religion getragen haben könne, so ist doch andrerseits ebenso sicher, daß die wahnwitzige Ausschließlichkeit des talmudischen Standpunktes nicht aus einer naturgemäßen Weiterentwicklung aus deu Tendenzen der Religion des alttestnment- lichen Prvphetismns hervorgegangen ist, sondern als eine durch ungünstige äußere Verhältnisse, vor allem durch deu unmenschliche« Druck heidnischer Zwingherren entstandene Nerkümmernug und Erstarrung ursprünglich reinerer und freierer Anschauungen zu betrachten ist. Auch in Einzelheiten bedarf das Urteil Wahrmnnds manchmal einer Modifikation. Man darf z. B. ans dein Vorhandensein ägyptischer Einflüsse kurz vor der Zerstörung Jerusalems uicht den Schluß ziehen, als ob eine solche Einwirkung während des ganzen Bestandes des südlichen Reiches Juda in deu vorhergehenden Jahrhunderten stattgefunden habe. Vielmehr erklärt sich diese vorübergehende Beeinflussung der Jsraeliten aus der Allianz der letzten Herrscher des Reiches Juda mit den Pharaonen, welche jene zu dem Zwecke eingegangen waren, um sich dadurch dem Joche der seit dem Beginne der baby¬ lonischen Invasionen schwer auf ihnen lastenden Vabylvuieryerrschaft zu eut ziehen. Wahrmnnds Schrift ist recht wohl geeignet, zur Klärung der vielfach un¬ klaren Anschauungen über den Ursprung der religiösen Ideen und der sittlichen Maximen des jüdischen Volkes in alter und neuer Zeit zu dienen. Aber anch abgesehen von der Judenfrage ist die Schrift von Wert, da sie den Laien über die neuesten Ergebnisse der ethnographischen, religious- und liternrgeschichtlichen Forschungen auf dem Gebiete der vorderasiatischen Kulturvölker orientirt. Der Verfasser hat eine reiche wissenschaftliche Literatur benutzt, und zwar hat er es „für das Beste gehalten, möglichst viele Autoren aus den verschiedensten Schulen selbstredend vorzuführen, damit der Leser gleichsam Truppen ans vieler Herren Ländern und von allen Waffengattungen unter eine Fahne gereiht dem gleichen Ziele zumarschireu sieht." Trotzdem macht seine Schrift durchaus nicht den Eindruck einer Kompilation verschiedenartiger Ansichten und Stilarten, vielmehr dient jenes Verfahren dazu, den Eindruck der auch sonst recht gut geschriebenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/120>, abgerufen am 23.07.2024.