Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Babyloniertum, Judentum und Christentum.

scheinbar unbegreifliche, weil unvermittelte Originalität der alttestamentlichen
Literatur stützte, ihre Bedeutung genommen; und Wahrmund bezeichnet es
geradezu als den Hauptzweck seiner Schrift, die falschen Voraussetzungen zu zer¬
stören, auf denen sich der unmenschliche Hochmut der jüdischen Ausschließlichkeit
aufgebaut hat, und dadurch gegenüber der künstlichen Schulung, welche die mehr
zu eignem Nutzen der Juden und der übrigen Menschheit Schaden als zu beider
Nutzen vollzogene Ausbildung der jüdischen Eigenart hervorgerufen hat, eine
Gegenschuluug einzuleiten. Deshalb stellt Wahrmund als das Ergebnis seiner
mit den Mitteln der Geschichts- und Sprachwissenschaft unternommenen Unter¬
suchung dem Ansprüche der jüdischen Nation, daß sie "der Welt einen Gott, der
Menschheit die Moral und der Christenheit ihren Religionsstifter gegeben" habe,
die drei Sätze entgegnen, daß der christliche Gott, der alle ethnischen Götter als
Dämonen in Nacht versinken läßt, nicht der jüdische ist, der vielmehr selbst mir
als die dämonenhafte Verkörperung des jüdischen Nationalwesens erscheint;
daß ferner die jüdische Gesetzgebung und Moral, soweit sie menschlich ist, sich,
wie es ja auch selbstverständlich ist, als Erbe, übernommen von ältern Kultur-
völkern, insbesondre den Ägyptern, erwirsen hat, und soweit sie jüdisch ist, den
Stempel hochmütigster Ausschließlichkeit und engherzigster Selbstgerechtigkeit an
sich trägt; daß endlich der Stifter des Christentums, sofern er als Jude gelten
soll, nur durch völlige Abkehr von seiner Nation und die gerade Umkehrung
des jüdischen Wesens zum Stifter der wahren, d. i. der menschlichsten Religion
geworden ist.

Dies ist im wesentlichen der Inhalt der Wahrmundschen Schrift. Müssen
wir auch bezweifeln, daß sich das Judentum unsrer Tage für die von Wahr¬
mund beabsichtigte "Gegenschulung" empfänglich zeigen werde, so kann die
Schrift doch zweifelsohne das Gute haben, daß sie durch ihr wertvolles wissen
schaftliches Material dazu hilft, den bis zum Überdruß wiederholten Prätensionen
jüdischer Schriftsteller wirksam entgegen zu treten.

Ein paar Einzelheiten möchten wir noch hervorheben. Wahrmunds Wür¬
digung der alttestamentlichen Religion bedarf vom rein geschichtlichen Stand¬
punkte aus nach zwei Seiten hin eine nicht unwesentliche Berichtigung. Erstens
tritt bei ihm die Bedeutung der Wirksamkeit der Propheten lind andrer her¬
vorragender Persönlichkeiten der Geschichte Israels während der alttestament-
lichen Zeit nicht genügend hervor. Trotz aller Anlehnung an die im Juden¬
tum bereits vorhandenen sittlich-religiösen Anschauungen, deren nahe Verwandt¬
schaft mit assyrischen und ägyptischen Vorstellungen nicht geleugnet werden soll,
haben dieselben doch anch selbständig den Jdeenkreis ihrer Zeit erweitert und
die religiösen Ideen zu einer bedeutenden Reinheit und Erhabenheit weitergebildet,
wenngleich nicht übersehen werden darf, daß diese Höhe sittlich-religiöser Er¬
kenntnis, der wir vorzugsweise in den Schriften der Propheten begegnen, kaum
jemals allgemeines Besitztum des Gesammtvoltes gewesen ist, und daß diese


Babyloniertum, Judentum und Christentum.

scheinbar unbegreifliche, weil unvermittelte Originalität der alttestamentlichen
Literatur stützte, ihre Bedeutung genommen; und Wahrmund bezeichnet es
geradezu als den Hauptzweck seiner Schrift, die falschen Voraussetzungen zu zer¬
stören, auf denen sich der unmenschliche Hochmut der jüdischen Ausschließlichkeit
aufgebaut hat, und dadurch gegenüber der künstlichen Schulung, welche die mehr
zu eignem Nutzen der Juden und der übrigen Menschheit Schaden als zu beider
Nutzen vollzogene Ausbildung der jüdischen Eigenart hervorgerufen hat, eine
Gegenschuluug einzuleiten. Deshalb stellt Wahrmund als das Ergebnis seiner
mit den Mitteln der Geschichts- und Sprachwissenschaft unternommenen Unter¬
suchung dem Ansprüche der jüdischen Nation, daß sie „der Welt einen Gott, der
Menschheit die Moral und der Christenheit ihren Religionsstifter gegeben" habe,
die drei Sätze entgegnen, daß der christliche Gott, der alle ethnischen Götter als
Dämonen in Nacht versinken läßt, nicht der jüdische ist, der vielmehr selbst mir
als die dämonenhafte Verkörperung des jüdischen Nationalwesens erscheint;
daß ferner die jüdische Gesetzgebung und Moral, soweit sie menschlich ist, sich,
wie es ja auch selbstverständlich ist, als Erbe, übernommen von ältern Kultur-
völkern, insbesondre den Ägyptern, erwirsen hat, und soweit sie jüdisch ist, den
Stempel hochmütigster Ausschließlichkeit und engherzigster Selbstgerechtigkeit an
sich trägt; daß endlich der Stifter des Christentums, sofern er als Jude gelten
soll, nur durch völlige Abkehr von seiner Nation und die gerade Umkehrung
des jüdischen Wesens zum Stifter der wahren, d. i. der menschlichsten Religion
geworden ist.

Dies ist im wesentlichen der Inhalt der Wahrmundschen Schrift. Müssen
wir auch bezweifeln, daß sich das Judentum unsrer Tage für die von Wahr¬
mund beabsichtigte „Gegenschulung" empfänglich zeigen werde, so kann die
Schrift doch zweifelsohne das Gute haben, daß sie durch ihr wertvolles wissen
schaftliches Material dazu hilft, den bis zum Überdruß wiederholten Prätensionen
jüdischer Schriftsteller wirksam entgegen zu treten.

Ein paar Einzelheiten möchten wir noch hervorheben. Wahrmunds Wür¬
digung der alttestamentlichen Religion bedarf vom rein geschichtlichen Stand¬
punkte aus nach zwei Seiten hin eine nicht unwesentliche Berichtigung. Erstens
tritt bei ihm die Bedeutung der Wirksamkeit der Propheten lind andrer her¬
vorragender Persönlichkeiten der Geschichte Israels während der alttestament-
lichen Zeit nicht genügend hervor. Trotz aller Anlehnung an die im Juden¬
tum bereits vorhandenen sittlich-religiösen Anschauungen, deren nahe Verwandt¬
schaft mit assyrischen und ägyptischen Vorstellungen nicht geleugnet werden soll,
haben dieselben doch anch selbständig den Jdeenkreis ihrer Zeit erweitert und
die religiösen Ideen zu einer bedeutenden Reinheit und Erhabenheit weitergebildet,
wenngleich nicht übersehen werden darf, daß diese Höhe sittlich-religiöser Er¬
kenntnis, der wir vorzugsweise in den Schriften der Propheten begegnen, kaum
jemals allgemeines Besitztum des Gesammtvoltes gewesen ist, und daß diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193460"/>
          <fw type="header" place="top"> Babyloniertum, Judentum und Christentum.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_377" prev="#ID_376"> scheinbar unbegreifliche, weil unvermittelte Originalität der alttestamentlichen<lb/>
Literatur stützte, ihre Bedeutung genommen; und Wahrmund bezeichnet es<lb/>
geradezu als den Hauptzweck seiner Schrift, die falschen Voraussetzungen zu zer¬<lb/>
stören, auf denen sich der unmenschliche Hochmut der jüdischen Ausschließlichkeit<lb/>
aufgebaut hat, und dadurch gegenüber der künstlichen Schulung, welche die mehr<lb/>
zu eignem Nutzen der Juden und der übrigen Menschheit Schaden als zu beider<lb/>
Nutzen vollzogene Ausbildung der jüdischen Eigenart hervorgerufen hat, eine<lb/>
Gegenschuluug einzuleiten. Deshalb stellt Wahrmund als das Ergebnis seiner<lb/>
mit den Mitteln der Geschichts- und Sprachwissenschaft unternommenen Unter¬<lb/>
suchung dem Ansprüche der jüdischen Nation, daß sie &#x201E;der Welt einen Gott, der<lb/>
Menschheit die Moral und der Christenheit ihren Religionsstifter gegeben" habe,<lb/>
die drei Sätze entgegnen, daß der christliche Gott, der alle ethnischen Götter als<lb/>
Dämonen in Nacht versinken läßt, nicht der jüdische ist, der vielmehr selbst mir<lb/>
als die dämonenhafte Verkörperung des jüdischen Nationalwesens erscheint;<lb/>
daß ferner die jüdische Gesetzgebung und Moral, soweit sie menschlich ist, sich,<lb/>
wie es ja auch selbstverständlich ist, als Erbe, übernommen von ältern Kultur-<lb/>
völkern, insbesondre den Ägyptern, erwirsen hat, und soweit sie jüdisch ist, den<lb/>
Stempel hochmütigster Ausschließlichkeit und engherzigster Selbstgerechtigkeit an<lb/>
sich trägt; daß endlich der Stifter des Christentums, sofern er als Jude gelten<lb/>
soll, nur durch völlige Abkehr von seiner Nation und die gerade Umkehrung<lb/>
des jüdischen Wesens zum Stifter der wahren, d. i. der menschlichsten Religion<lb/>
geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_378"> Dies ist im wesentlichen der Inhalt der Wahrmundschen Schrift. Müssen<lb/>
wir auch bezweifeln, daß sich das Judentum unsrer Tage für die von Wahr¬<lb/>
mund beabsichtigte &#x201E;Gegenschulung" empfänglich zeigen werde, so kann die<lb/>
Schrift doch zweifelsohne das Gute haben, daß sie durch ihr wertvolles wissen<lb/>
schaftliches Material dazu hilft, den bis zum Überdruß wiederholten Prätensionen<lb/>
jüdischer Schriftsteller wirksam entgegen zu treten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_379" next="#ID_380"> Ein paar Einzelheiten möchten wir noch hervorheben. Wahrmunds Wür¬<lb/>
digung der alttestamentlichen Religion bedarf vom rein geschichtlichen Stand¬<lb/>
punkte aus nach zwei Seiten hin eine nicht unwesentliche Berichtigung. Erstens<lb/>
tritt bei ihm die Bedeutung der Wirksamkeit der Propheten lind andrer her¬<lb/>
vorragender Persönlichkeiten der Geschichte Israels während der alttestament-<lb/>
lichen Zeit nicht genügend hervor. Trotz aller Anlehnung an die im Juden¬<lb/>
tum bereits vorhandenen sittlich-religiösen Anschauungen, deren nahe Verwandt¬<lb/>
schaft mit assyrischen und ägyptischen Vorstellungen nicht geleugnet werden soll,<lb/>
haben dieselben doch anch selbständig den Jdeenkreis ihrer Zeit erweitert und<lb/>
die religiösen Ideen zu einer bedeutenden Reinheit und Erhabenheit weitergebildet,<lb/>
wenngleich nicht übersehen werden darf, daß diese Höhe sittlich-religiöser Er¬<lb/>
kenntnis, der wir vorzugsweise in den Schriften der Propheten begegnen, kaum<lb/>
jemals allgemeines Besitztum des Gesammtvoltes gewesen ist, und daß diese</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] Babyloniertum, Judentum und Christentum. scheinbar unbegreifliche, weil unvermittelte Originalität der alttestamentlichen Literatur stützte, ihre Bedeutung genommen; und Wahrmund bezeichnet es geradezu als den Hauptzweck seiner Schrift, die falschen Voraussetzungen zu zer¬ stören, auf denen sich der unmenschliche Hochmut der jüdischen Ausschließlichkeit aufgebaut hat, und dadurch gegenüber der künstlichen Schulung, welche die mehr zu eignem Nutzen der Juden und der übrigen Menschheit Schaden als zu beider Nutzen vollzogene Ausbildung der jüdischen Eigenart hervorgerufen hat, eine Gegenschuluug einzuleiten. Deshalb stellt Wahrmund als das Ergebnis seiner mit den Mitteln der Geschichts- und Sprachwissenschaft unternommenen Unter¬ suchung dem Ansprüche der jüdischen Nation, daß sie „der Welt einen Gott, der Menschheit die Moral und der Christenheit ihren Religionsstifter gegeben" habe, die drei Sätze entgegnen, daß der christliche Gott, der alle ethnischen Götter als Dämonen in Nacht versinken läßt, nicht der jüdische ist, der vielmehr selbst mir als die dämonenhafte Verkörperung des jüdischen Nationalwesens erscheint; daß ferner die jüdische Gesetzgebung und Moral, soweit sie menschlich ist, sich, wie es ja auch selbstverständlich ist, als Erbe, übernommen von ältern Kultur- völkern, insbesondre den Ägyptern, erwirsen hat, und soweit sie jüdisch ist, den Stempel hochmütigster Ausschließlichkeit und engherzigster Selbstgerechtigkeit an sich trägt; daß endlich der Stifter des Christentums, sofern er als Jude gelten soll, nur durch völlige Abkehr von seiner Nation und die gerade Umkehrung des jüdischen Wesens zum Stifter der wahren, d. i. der menschlichsten Religion geworden ist. Dies ist im wesentlichen der Inhalt der Wahrmundschen Schrift. Müssen wir auch bezweifeln, daß sich das Judentum unsrer Tage für die von Wahr¬ mund beabsichtigte „Gegenschulung" empfänglich zeigen werde, so kann die Schrift doch zweifelsohne das Gute haben, daß sie durch ihr wertvolles wissen schaftliches Material dazu hilft, den bis zum Überdruß wiederholten Prätensionen jüdischer Schriftsteller wirksam entgegen zu treten. Ein paar Einzelheiten möchten wir noch hervorheben. Wahrmunds Wür¬ digung der alttestamentlichen Religion bedarf vom rein geschichtlichen Stand¬ punkte aus nach zwei Seiten hin eine nicht unwesentliche Berichtigung. Erstens tritt bei ihm die Bedeutung der Wirksamkeit der Propheten lind andrer her¬ vorragender Persönlichkeiten der Geschichte Israels während der alttestament- lichen Zeit nicht genügend hervor. Trotz aller Anlehnung an die im Juden¬ tum bereits vorhandenen sittlich-religiösen Anschauungen, deren nahe Verwandt¬ schaft mit assyrischen und ägyptischen Vorstellungen nicht geleugnet werden soll, haben dieselben doch anch selbständig den Jdeenkreis ihrer Zeit erweitert und die religiösen Ideen zu einer bedeutenden Reinheit und Erhabenheit weitergebildet, wenngleich nicht übersehen werden darf, daß diese Höhe sittlich-religiöser Er¬ kenntnis, der wir vorzugsweise in den Schriften der Propheten begegnen, kaum jemals allgemeines Besitztum des Gesammtvoltes gewesen ist, und daß diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/119>, abgerufen am 23.07.2024.