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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ägypten und die heutigen Ägypter.

als Beisitzer teilnehmen sollen, während der Kadi sein Gutachten nach dem Koran
abzugeben hat. Rechtsgelehrsamkeit schmückt die Beamten des Gerichts nicht,
und die Versuche der Regierung, wirkliche Juristen aus Eingebornen zu bilden,
welche uach dem Code Napoleon urteilen würden, werden noch lange erfolglos
bleiben. Der Mudir hat so viel mit der Eintreibung der Steuern und mit der Sorge
für die vizeköniglichen Güter zu thun, daß ihm nicht viel Zeit für die Gerechtig¬
keitspflege bleibt. "Vertrauen auf gerechte Schlichtung der Prozesse," sagt
Klunzinger, einer der besten Kenner Ägyptens, "hegt der Bürgersmann und der
Bauer gar nicht; dagegen sorgt die Regierung nach Kräften für die öffentliche
Sicherheit und für energische Bestrafung der Verbrecher." Fast alle wichtigeren
Beamten, die zu "siegeln" berechtigt siud, d. h. die eine Exekutive haben, sind
Türken, teils ans den europäischen Provinzen der Pforte gekommen, teils im
Lande geboren, einige auch freigelassene tscherkcssische Sklaven. Ausgenommen
sind hiervon nur die Posten, welche Wissenschaft erfordern wie die der Gesund¬
heitspolizei und des Baufachs. Die Seele aller Divans aber sind die siegel¬
losen koptischen Schreiber, die lebenden Gesetzbücher der Provinz. Denn jene
Türken und Tscherkessen haben, meist der Armee oder höheren Privatzirkeln ent¬
nommen, keinerlei Rechtskenntnis und auch wenig Neigung, sich mit Studien
der Art zu befassen. Sie lernen sich durch die Praxis ein und schalten und
walten, geleitet von ungelehrten Instinkt und den Rat ihrer Schreiber, was
einige Vorteile, aber weit mehr Nachteile ergab, sodaß man in der letzten Zeit
begonnen hat, kräftiger auf Schulung der Beamten hinzuarbeiten. Der Ge¬
schäftsgang ist, wenn ihn nicht, wie häufig der Fall, ein Machtspruch türkischer
Justiz beschleunigt, sehr schleppend, es wird viel Tinte verschrieben, auch muß
in vielen Fällen Bakschisch treiben helfen. Vor ungefähr zehn Jahren versuchte
man die türkischen Beamten vom Mudir bis zum Polizeidiener herab durch
Ägypter zu ersetzen, aber diese entwickelten wenig Energie und desto mehr Rück¬
sicht auf Vettern und gute Freunde, auch hatten die Landeskinder keinen Respekt
vor ihresgleichen, und so kehrte man bald zu dem alten Systeme zurück. Besser
bewährten sich die ans der Zahl der Europäer genommenen Beamten, deren es
in diesem Jahre in Ägypten 1280 gab. Von diesen waren 165 bei den Gerichts¬
höfen zu Kairo und Alexandrien, 111 in der Generaldirektion des Katasters,
105 im Ministerium der öffentliche" Arbeiten, ebensoviele beim PostWesen und
93 bei den Eisenbahnen angestellt. Im unmittelbaren Dienste des Chedive ar¬
beiteten vier Ausländer, zwei Sekretäre, von denen der eine ein Franzose, der
andre ein Italiener war, ein Bibliothekar und ein Zeremonienmeister. Nach
den Nationalitäten verteilte sich die Gesammtzcchl wie folgt: 358 Italiener,
328 Franzosen, 269 Engländer, 118 Griechen, 93 Österreicher, 41 Angehörige
des deutschen Reiches, 73 Holländer, Belgier, Schweizer. Spanier, Rumänen
Russen und Amerikaner. Die Franzosen waren vorzüglich in Jnstizdieust, die
Italiener im Finanzministerium angestellt, die meisten erst seit Einsetzung der


Ägypten und die heutigen Ägypter.

als Beisitzer teilnehmen sollen, während der Kadi sein Gutachten nach dem Koran
abzugeben hat. Rechtsgelehrsamkeit schmückt die Beamten des Gerichts nicht,
und die Versuche der Regierung, wirkliche Juristen aus Eingebornen zu bilden,
welche uach dem Code Napoleon urteilen würden, werden noch lange erfolglos
bleiben. Der Mudir hat so viel mit der Eintreibung der Steuern und mit der Sorge
für die vizeköniglichen Güter zu thun, daß ihm nicht viel Zeit für die Gerechtig¬
keitspflege bleibt. „Vertrauen auf gerechte Schlichtung der Prozesse," sagt
Klunzinger, einer der besten Kenner Ägyptens, „hegt der Bürgersmann und der
Bauer gar nicht; dagegen sorgt die Regierung nach Kräften für die öffentliche
Sicherheit und für energische Bestrafung der Verbrecher." Fast alle wichtigeren
Beamten, die zu „siegeln" berechtigt siud, d. h. die eine Exekutive haben, sind
Türken, teils ans den europäischen Provinzen der Pforte gekommen, teils im
Lande geboren, einige auch freigelassene tscherkcssische Sklaven. Ausgenommen
sind hiervon nur die Posten, welche Wissenschaft erfordern wie die der Gesund¬
heitspolizei und des Baufachs. Die Seele aller Divans aber sind die siegel¬
losen koptischen Schreiber, die lebenden Gesetzbücher der Provinz. Denn jene
Türken und Tscherkessen haben, meist der Armee oder höheren Privatzirkeln ent¬
nommen, keinerlei Rechtskenntnis und auch wenig Neigung, sich mit Studien
der Art zu befassen. Sie lernen sich durch die Praxis ein und schalten und
walten, geleitet von ungelehrten Instinkt und den Rat ihrer Schreiber, was
einige Vorteile, aber weit mehr Nachteile ergab, sodaß man in der letzten Zeit
begonnen hat, kräftiger auf Schulung der Beamten hinzuarbeiten. Der Ge¬
schäftsgang ist, wenn ihn nicht, wie häufig der Fall, ein Machtspruch türkischer
Justiz beschleunigt, sehr schleppend, es wird viel Tinte verschrieben, auch muß
in vielen Fällen Bakschisch treiben helfen. Vor ungefähr zehn Jahren versuchte
man die türkischen Beamten vom Mudir bis zum Polizeidiener herab durch
Ägypter zu ersetzen, aber diese entwickelten wenig Energie und desto mehr Rück¬
sicht auf Vettern und gute Freunde, auch hatten die Landeskinder keinen Respekt
vor ihresgleichen, und so kehrte man bald zu dem alten Systeme zurück. Besser
bewährten sich die ans der Zahl der Europäer genommenen Beamten, deren es
in diesem Jahre in Ägypten 1280 gab. Von diesen waren 165 bei den Gerichts¬
höfen zu Kairo und Alexandrien, 111 in der Generaldirektion des Katasters,
105 im Ministerium der öffentliche» Arbeiten, ebensoviele beim PostWesen und
93 bei den Eisenbahnen angestellt. Im unmittelbaren Dienste des Chedive ar¬
beiteten vier Ausländer, zwei Sekretäre, von denen der eine ein Franzose, der
andre ein Italiener war, ein Bibliothekar und ein Zeremonienmeister. Nach
den Nationalitäten verteilte sich die Gesammtzcchl wie folgt: 358 Italiener,
328 Franzosen, 269 Engländer, 118 Griechen, 93 Österreicher, 41 Angehörige
des deutschen Reiches, 73 Holländer, Belgier, Schweizer. Spanier, Rumänen
Russen und Amerikaner. Die Franzosen waren vorzüglich in Jnstizdieust, die
Italiener im Finanzministerium angestellt, die meisten erst seit Einsetzung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/114>, abgerufen am 26.08.2024.