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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ägypten und die heutigen Ägypter.

Baumwollentuch gewunden ist, an den Füßen rote oder gelbe Schnabelschuhe,
in der Hand einen langen Stab, der aus der Mittelrippe der Dattelpalme ge¬
schulten ist. Die Frauen kleiden sich gewöhnlich nur in das erwähnte blaue
Baumwollenhemd und verhüllen sich Kopf und Gesicht mit einem Tuche, von
welchem ein schmaler Schleier von dunkler Farbe herabhängt, der nur einen
Teil der Stirn und die Augen freiläßt. Häufig sieht man sie mit silbernen
Arm- und Fußkuöchelringeu geschmückt.

Im Altertum beutete die Despotie der Fürsten und Priester die Arbeits¬
kraft der Bauern des Nilthals ans. Später waren sie Lasttiere der Sultane
und der Statthalter des Landes, die sie rücksichtslos anssvgen. In der neuesten
Zeit milderte sich dieser Druck und diese Aufsaugung wenigstens insofern, als
nur noch die, welche nicht lesen und schreiben konnten, für die Negierung zu
arbeiten gezwungen werden konnten, und nnter der von Europa geübten Kon-
trole hörte endlich auch die willkürliche Auflegung von Steuern auf, die bis
dahin nur zu häufig von Beamten mit dem aus Nashoruhaut gefertigten Kur-
batsch eingetrieben worden war. Diese Tyrannei zeigt ihre Folgen im Charakter
der Fellahin noch jetzt. In jüngern Jahren aufgeweckt, klug und rührig, ver¬
loren sie in dem Bewußtsein, es bei allem Fleiße zu nichts bringen zu können,
mit der Zeit alle Munterkeit und Spannkraft und wurden eigensinnig, ver¬
drießlich und verstockt. Der Fellah arbeitet eifrig und unverdrossen, er leistet
auf seinem Felde, da dieses einen großen Teil des Jahres künstliche Bewässerung
verlangt, mehr als unsre Landleute. Andrerseits aber ist ihm jede Bemühung
um ein besseres Loos und jedes Streben nach Vervollkommung seiner Erwerbs¬
methode fremd. Sobald das Notwendigste besorgt ist, ruht er und raucht dazu.
Es ist eben, wie er meint, im Rate Allahs beschlösset?, daß er über seine Lage
nicht hinaus kommen soll, und dieser Ratschluß ist unabänderlich. Sonst ist
der ägyptische Bauer friedfertig, wohlwollend und hilfreich, namentlich gegen
seinesgleichen, fast immer ein liebevoller Vater und Gatte, und Diebereien
kommen in seinen Kreisen seltener vor als in den gleichen Gesellschaftsschichten
Europas.

Der Fellah hängt an der Religion seines Propheten, von der er indeß
nicht viel weiß. Der Franke fällt nach seiner Meinung uach dem Tode der
ewigen Verdammnis anheim, diesseits aber ist er um so besser gestellt, reich, im
Besitz alles Wissens und sehr mächtig. Er wird bald über die ganze Welt ge¬
bieten. Der Islam wird keine zwölf Jahrhunderte alt werden. Sein Unter¬
gang ist, wie man aus dem Eindringen fränkischen Wesens in das Land, aus
der Vermehrung der Eisenbahnen und Telegraphen und andern Neuerungen
erkennt, bereits ganz nahe. Teuerung und Zuchtlosigkeit werden ihm vorangehen.
Dann werden die Moskof den Padischa aus Stambul vertreiben, und er wird
nach Ägypten flüchten. Hier aber wird er vom König von Habesch angegriffen
und besiegt werden oder nach andern von den Engländern. Dann kommt, wie


Ägypten und die heutigen Ägypter.

Baumwollentuch gewunden ist, an den Füßen rote oder gelbe Schnabelschuhe,
in der Hand einen langen Stab, der aus der Mittelrippe der Dattelpalme ge¬
schulten ist. Die Frauen kleiden sich gewöhnlich nur in das erwähnte blaue
Baumwollenhemd und verhüllen sich Kopf und Gesicht mit einem Tuche, von
welchem ein schmaler Schleier von dunkler Farbe herabhängt, der nur einen
Teil der Stirn und die Augen freiläßt. Häufig sieht man sie mit silbernen
Arm- und Fußkuöchelringeu geschmückt.

Im Altertum beutete die Despotie der Fürsten und Priester die Arbeits¬
kraft der Bauern des Nilthals ans. Später waren sie Lasttiere der Sultane
und der Statthalter des Landes, die sie rücksichtslos anssvgen. In der neuesten
Zeit milderte sich dieser Druck und diese Aufsaugung wenigstens insofern, als
nur noch die, welche nicht lesen und schreiben konnten, für die Negierung zu
arbeiten gezwungen werden konnten, und nnter der von Europa geübten Kon-
trole hörte endlich auch die willkürliche Auflegung von Steuern auf, die bis
dahin nur zu häufig von Beamten mit dem aus Nashoruhaut gefertigten Kur-
batsch eingetrieben worden war. Diese Tyrannei zeigt ihre Folgen im Charakter
der Fellahin noch jetzt. In jüngern Jahren aufgeweckt, klug und rührig, ver¬
loren sie in dem Bewußtsein, es bei allem Fleiße zu nichts bringen zu können,
mit der Zeit alle Munterkeit und Spannkraft und wurden eigensinnig, ver¬
drießlich und verstockt. Der Fellah arbeitet eifrig und unverdrossen, er leistet
auf seinem Felde, da dieses einen großen Teil des Jahres künstliche Bewässerung
verlangt, mehr als unsre Landleute. Andrerseits aber ist ihm jede Bemühung
um ein besseres Loos und jedes Streben nach Vervollkommung seiner Erwerbs¬
methode fremd. Sobald das Notwendigste besorgt ist, ruht er und raucht dazu.
Es ist eben, wie er meint, im Rate Allahs beschlösset?, daß er über seine Lage
nicht hinaus kommen soll, und dieser Ratschluß ist unabänderlich. Sonst ist
der ägyptische Bauer friedfertig, wohlwollend und hilfreich, namentlich gegen
seinesgleichen, fast immer ein liebevoller Vater und Gatte, und Diebereien
kommen in seinen Kreisen seltener vor als in den gleichen Gesellschaftsschichten
Europas.

Der Fellah hängt an der Religion seines Propheten, von der er indeß
nicht viel weiß. Der Franke fällt nach seiner Meinung uach dem Tode der
ewigen Verdammnis anheim, diesseits aber ist er um so besser gestellt, reich, im
Besitz alles Wissens und sehr mächtig. Er wird bald über die ganze Welt ge¬
bieten. Der Islam wird keine zwölf Jahrhunderte alt werden. Sein Unter¬
gang ist, wie man aus dem Eindringen fränkischen Wesens in das Land, aus
der Vermehrung der Eisenbahnen und Telegraphen und andern Neuerungen
erkennt, bereits ganz nahe. Teuerung und Zuchtlosigkeit werden ihm vorangehen.
Dann werden die Moskof den Padischa aus Stambul vertreiben, und er wird
nach Ägypten flüchten. Hier aber wird er vom König von Habesch angegriffen
und besiegt werden oder nach andern von den Engländern. Dann kommt, wie


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[0107] Ägypten und die heutigen Ägypter. Baumwollentuch gewunden ist, an den Füßen rote oder gelbe Schnabelschuhe, in der Hand einen langen Stab, der aus der Mittelrippe der Dattelpalme ge¬ schulten ist. Die Frauen kleiden sich gewöhnlich nur in das erwähnte blaue Baumwollenhemd und verhüllen sich Kopf und Gesicht mit einem Tuche, von welchem ein schmaler Schleier von dunkler Farbe herabhängt, der nur einen Teil der Stirn und die Augen freiläßt. Häufig sieht man sie mit silbernen Arm- und Fußkuöchelringeu geschmückt. Im Altertum beutete die Despotie der Fürsten und Priester die Arbeits¬ kraft der Bauern des Nilthals ans. Später waren sie Lasttiere der Sultane und der Statthalter des Landes, die sie rücksichtslos anssvgen. In der neuesten Zeit milderte sich dieser Druck und diese Aufsaugung wenigstens insofern, als nur noch die, welche nicht lesen und schreiben konnten, für die Negierung zu arbeiten gezwungen werden konnten, und nnter der von Europa geübten Kon- trole hörte endlich auch die willkürliche Auflegung von Steuern auf, die bis dahin nur zu häufig von Beamten mit dem aus Nashoruhaut gefertigten Kur- batsch eingetrieben worden war. Diese Tyrannei zeigt ihre Folgen im Charakter der Fellahin noch jetzt. In jüngern Jahren aufgeweckt, klug und rührig, ver¬ loren sie in dem Bewußtsein, es bei allem Fleiße zu nichts bringen zu können, mit der Zeit alle Munterkeit und Spannkraft und wurden eigensinnig, ver¬ drießlich und verstockt. Der Fellah arbeitet eifrig und unverdrossen, er leistet auf seinem Felde, da dieses einen großen Teil des Jahres künstliche Bewässerung verlangt, mehr als unsre Landleute. Andrerseits aber ist ihm jede Bemühung um ein besseres Loos und jedes Streben nach Vervollkommung seiner Erwerbs¬ methode fremd. Sobald das Notwendigste besorgt ist, ruht er und raucht dazu. Es ist eben, wie er meint, im Rate Allahs beschlösset?, daß er über seine Lage nicht hinaus kommen soll, und dieser Ratschluß ist unabänderlich. Sonst ist der ägyptische Bauer friedfertig, wohlwollend und hilfreich, namentlich gegen seinesgleichen, fast immer ein liebevoller Vater und Gatte, und Diebereien kommen in seinen Kreisen seltener vor als in den gleichen Gesellschaftsschichten Europas. Der Fellah hängt an der Religion seines Propheten, von der er indeß nicht viel weiß. Der Franke fällt nach seiner Meinung uach dem Tode der ewigen Verdammnis anheim, diesseits aber ist er um so besser gestellt, reich, im Besitz alles Wissens und sehr mächtig. Er wird bald über die ganze Welt ge¬ bieten. Der Islam wird keine zwölf Jahrhunderte alt werden. Sein Unter¬ gang ist, wie man aus dem Eindringen fränkischen Wesens in das Land, aus der Vermehrung der Eisenbahnen und Telegraphen und andern Neuerungen erkennt, bereits ganz nahe. Teuerung und Zuchtlosigkeit werden ihm vorangehen. Dann werden die Moskof den Padischa aus Stambul vertreiben, und er wird nach Ägypten flüchten. Hier aber wird er vom König von Habesch angegriffen und besiegt werden oder nach andern von den Engländern. Dann kommt, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/107>, abgerufen am 01.10.2024.