Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.bürger über ihre Ziele begnügen, wie sie es jetzt von Fall zu Fall gethan; denn Mit andern Worten: Was uns notthut, ist nicht der von Zeit zu Zeit Zu diesen Betrachtungen bewegt uns eine soeben erschienene Schrift: "Die bürger über ihre Ziele begnügen, wie sie es jetzt von Fall zu Fall gethan; denn Mit andern Worten: Was uns notthut, ist nicht der von Zeit zu Zeit Zu diesen Betrachtungen bewegt uns eine soeben erschienene Schrift: „Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193351"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_12" prev="#ID_11"> bürger über ihre Ziele begnügen, wie sie es jetzt von Fall zu Fall gethan; denn<lb/> sie, die über den Parteien stehen soll, erscheint dadurch als neben diese gestellt,<lb/> ans ihre Einwirknng sällt dann dasselbe Licht tendenziöser Beeinflussung des<lb/> Urteils der Masse, in welchem wir die hierauf gerichteten Umtriebe der verschie-<lb/> denen Fraktionen erblicken. Die Negierung darf ferner nicht dnrch solche je¬<lb/> weilig g.et roe, erfolgende Einwirknng auf das politische Urteil des Staatsbür¬<lb/> gers dessen Selbständigkeit schmälern, sondern muß vielmehr diese Selbständigkeit<lb/> nach Möglichkeit erstreben, sodaß jedwede Parteibeeinflussung unmöglich wird.<lb/> Sie muß zu diesem Zwecke von vornherein dafür Sorge tragen, daß jeder in<lb/> politischen Fragen selbst denken, sein Urteil über die oder jene Frage selbst finden<lb/> lernt, und zu diesem Ende muß sie ihm nicht wie die Parteien bereits fertige<lb/> Gedanken liefern, sondern nur das Material, das elementarische Wissen be¬<lb/> schaffen und ihm die Mittel und Wege zu dessen Anwendung und Verarbeitung<lb/> für die einzelnen Fragen andeuten. Dann ist der archimedische Punkt gewonnen,<lb/> auf dem das Volk der Parteiagitativn mit ihren Vorurteilen, Entstellungen und<lb/> Verdächtigungen gegenüber Fuß fassen kann. Das Übrige darf man getrost dem<lb/> gesunden Menschenverstand der Wähler überlassen, und nur in besonders kri¬<lb/> tischen Fällen wird dann noch Nachhilfe mit dem offiziösen Apparat erforder¬<lb/> lich sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_13"> Mit andern Worten: Was uns notthut, ist nicht der von Zeit zu Zeit<lb/> wiederholte Versuch, Fühlung mit dem Volksverstande zu gewinnen, nicht je¬<lb/> weilige Beleuchtung einzelner Gesichtspunkte, sondern dauernde Fühlung und die<lb/> Ermöglichung richtigen Sehens in allen politischen Angelegenheiten, eines so¬<lb/> zusagen instinktmäßiger Herausfindens der Wahrheit und Gerechtigkeit. Eine<lb/> solche Fühlung aber und eine solche Bereicherung des Volksverstandes ist nur<lb/> durch eine staatliche, ordnungsmäßige Einrichtung zu erzielen und zu erfassen,<lb/> durch Verständigung auf dem Wege sozialpolitischer Vildungsmittel und Unter¬<lb/> richtsanstalten. Wie die Regierungen früher die Verbreitung allgemeinen Wissens<lb/> nicht deu Gemeinden, die Förderung christlicher Überzeugung uicht der Kirche<lb/> allein überließen, so scheint es jetzt geboten, auch zur Förderung politischen Sach¬<lb/> verständnisses offizielle Schritte zu thu»; selbst daran Ware zu denken, daß we¬<lb/> nigstens die einfachsten Regeln politischen Denkens und Urteilens, die nicht vom<lb/> Wandel der Zeiten abhängen, allgemeinverständlich festgestellt, sich nützlich er¬<lb/> weisen würden. Die Selbständigkeit des Urteils würde dadurch nicht beeinträch¬<lb/> tigt; denn deu Betreffenden bliebe die Anwendung dieser Grundprinzipien ans<lb/> die konkreten Fälle, auf die einzelnen Erscheinungen, Fragen und Gesetzvorschläge<lb/> überlassen. Es wäre vielmehr eine Befreiung von dem Einflüsse der Partei-<lb/> phraseu, die sich dem Wühler aufdringen und den ungeschulten und nngerüsteten<lb/> leicht gefangen nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_14" next="#ID_15"> Zu diesen Betrachtungen bewegt uns eine soeben erschienene Schrift: „Die<lb/> Notwendigkeit einer sozialpolitischen Propädeutik" von Dr. F. S.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
bürger über ihre Ziele begnügen, wie sie es jetzt von Fall zu Fall gethan; denn
sie, die über den Parteien stehen soll, erscheint dadurch als neben diese gestellt,
ans ihre Einwirknng sällt dann dasselbe Licht tendenziöser Beeinflussung des
Urteils der Masse, in welchem wir die hierauf gerichteten Umtriebe der verschie-
denen Fraktionen erblicken. Die Negierung darf ferner nicht dnrch solche je¬
weilig g.et roe, erfolgende Einwirknng auf das politische Urteil des Staatsbür¬
gers dessen Selbständigkeit schmälern, sondern muß vielmehr diese Selbständigkeit
nach Möglichkeit erstreben, sodaß jedwede Parteibeeinflussung unmöglich wird.
Sie muß zu diesem Zwecke von vornherein dafür Sorge tragen, daß jeder in
politischen Fragen selbst denken, sein Urteil über die oder jene Frage selbst finden
lernt, und zu diesem Ende muß sie ihm nicht wie die Parteien bereits fertige
Gedanken liefern, sondern nur das Material, das elementarische Wissen be¬
schaffen und ihm die Mittel und Wege zu dessen Anwendung und Verarbeitung
für die einzelnen Fragen andeuten. Dann ist der archimedische Punkt gewonnen,
auf dem das Volk der Parteiagitativn mit ihren Vorurteilen, Entstellungen und
Verdächtigungen gegenüber Fuß fassen kann. Das Übrige darf man getrost dem
gesunden Menschenverstand der Wähler überlassen, und nur in besonders kri¬
tischen Fällen wird dann noch Nachhilfe mit dem offiziösen Apparat erforder¬
lich sein.
Mit andern Worten: Was uns notthut, ist nicht der von Zeit zu Zeit
wiederholte Versuch, Fühlung mit dem Volksverstande zu gewinnen, nicht je¬
weilige Beleuchtung einzelner Gesichtspunkte, sondern dauernde Fühlung und die
Ermöglichung richtigen Sehens in allen politischen Angelegenheiten, eines so¬
zusagen instinktmäßiger Herausfindens der Wahrheit und Gerechtigkeit. Eine
solche Fühlung aber und eine solche Bereicherung des Volksverstandes ist nur
durch eine staatliche, ordnungsmäßige Einrichtung zu erzielen und zu erfassen,
durch Verständigung auf dem Wege sozialpolitischer Vildungsmittel und Unter¬
richtsanstalten. Wie die Regierungen früher die Verbreitung allgemeinen Wissens
nicht deu Gemeinden, die Förderung christlicher Überzeugung uicht der Kirche
allein überließen, so scheint es jetzt geboten, auch zur Förderung politischen Sach¬
verständnisses offizielle Schritte zu thu»; selbst daran Ware zu denken, daß we¬
nigstens die einfachsten Regeln politischen Denkens und Urteilens, die nicht vom
Wandel der Zeiten abhängen, allgemeinverständlich festgestellt, sich nützlich er¬
weisen würden. Die Selbständigkeit des Urteils würde dadurch nicht beeinträch¬
tigt; denn deu Betreffenden bliebe die Anwendung dieser Grundprinzipien ans
die konkreten Fälle, auf die einzelnen Erscheinungen, Fragen und Gesetzvorschläge
überlassen. Es wäre vielmehr eine Befreiung von dem Einflüsse der Partei-
phraseu, die sich dem Wühler aufdringen und den ungeschulten und nngerüsteten
leicht gefangen nehmen.
Zu diesen Betrachtungen bewegt uns eine soeben erschienene Schrift: „Die
Notwendigkeit einer sozialpolitischen Propädeutik" von Dr. F. S.
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