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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Handelsprivilegien.

aber der bestehenden Tendenz, der übermäßigen Ausdehnung des Marktes bis
zu einer Größe, deren Bedürfnisse vom Producenten gar nicht mehr zu über¬
sehen sind, und der fortschreitenden Concertation des Capitals entgegenwirken
würde, leuchtet ohne weiteres ein. Sie würde die Entwicklung der Industrie
in ruhigere Bahnen leiten, indem sie die übermäßige Schärfe in der Concurrenz
etwas abstumpfte, dem Kampfe ums Dasein einen Theil seiner Rücksichtslosig¬
keit benähme. Vor dem entgegengesetzten Fehler aber, einer Versumpfung auf
diesem Gebiete, sind wir in dem Zeitalter der Eisenbahnen und Telegraphen doch
wahrlich gesichert.

"Aber" -- pflegt das Manchesterthum zu sagen -- "seht euch doch den
Aufschwung an, welchen die Industrie infolge des Freihandels gewonnen hat!
Wollt ihr denn die Welt um ein Jahrhundert zurückschrauben?" Als ob nicht
die Vervollkommnung der Technik auf allen Gebieten, insbesondre die Erfindung
der Dampfmaschinen, die Erbauung der Eisenbahnen, die Verwerthung der Elek¬
tricität, die Entdeckungen der Chemie u. s. w., mehr als ausreichend wären, um
diesen Aufschwung auch ohne den sogenannten Freihandel zu erklären! Wir
fragen vielmehr umgekehrt: Wie war es möglich, daß diese wcltumgestaltenden
Verbesserungen die Lage der Menschheit so wenig heben konnten? Unsre Ant¬
wort lautet: Handelsprivilegien haben den Segen in Fluch verwandelt. Nur
wenn es möglich wäre, Handel und Großindustrie ihren Kräften entsprechend
zur Tragung der Staatslasten heranzuziehen, könnte der Fortschritt des letzten
Jahrhunderts, welcher mit dem Freihandel nichts zu thun hat, der Allgemein¬
heit zu Gute kommen. Weit entfernt, diesen Fortschritt zu verkennen, wollen
wir vielmehr nur die Hemmnisse beseitigen, welche die wirkliche Nutzbarmachung
desselben für die Menschheit aufhalten. Die Handelsprivilegicn hatten eine Be¬
rechtigung, so lange Handel und Industrie in ihrer Kindheit standen. Läßt man
doch auch dem Füllen, damit es sich um so kräftiger entwickele, besondre Pflege
und Schonung angedeihen. Wollte man aber dasselbe, auch nachdem es aus¬
gewachsen ist, noch nicht zum Ziehen und Reiten benutzen, so würde der Besitz
desselben nur eine Last sein. Ebenso wäre es, nachdem Handel und Industrie
durch die wirthschaftlichen Neuerungen des letzten Jahrhunderts in so hohem
Grade leistungsfähig geworden find, daß sie Ackerbau und Handwerk zu erdrücken
drohen, die höchste Zeit, dieselben energisch zu deu Staatskosten heranzuziehen.
Hierdurch würde man nicht nur die andern Stände entlasten und lebensfähig
erhalten, sondern der Handel selbst könnte in wirklicher Freiheit von seiner gegen¬
wärtigen, in immer häufiger wiederkehrenden und immer heftigeren Krisen zum
Ausbruch kommenden Ueberreizung gesunden.




Handelsprivilegien.

aber der bestehenden Tendenz, der übermäßigen Ausdehnung des Marktes bis
zu einer Größe, deren Bedürfnisse vom Producenten gar nicht mehr zu über¬
sehen sind, und der fortschreitenden Concertation des Capitals entgegenwirken
würde, leuchtet ohne weiteres ein. Sie würde die Entwicklung der Industrie
in ruhigere Bahnen leiten, indem sie die übermäßige Schärfe in der Concurrenz
etwas abstumpfte, dem Kampfe ums Dasein einen Theil seiner Rücksichtslosig¬
keit benähme. Vor dem entgegengesetzten Fehler aber, einer Versumpfung auf
diesem Gebiete, sind wir in dem Zeitalter der Eisenbahnen und Telegraphen doch
wahrlich gesichert.

„Aber" — pflegt das Manchesterthum zu sagen — „seht euch doch den
Aufschwung an, welchen die Industrie infolge des Freihandels gewonnen hat!
Wollt ihr denn die Welt um ein Jahrhundert zurückschrauben?" Als ob nicht
die Vervollkommnung der Technik auf allen Gebieten, insbesondre die Erfindung
der Dampfmaschinen, die Erbauung der Eisenbahnen, die Verwerthung der Elek¬
tricität, die Entdeckungen der Chemie u. s. w., mehr als ausreichend wären, um
diesen Aufschwung auch ohne den sogenannten Freihandel zu erklären! Wir
fragen vielmehr umgekehrt: Wie war es möglich, daß diese wcltumgestaltenden
Verbesserungen die Lage der Menschheit so wenig heben konnten? Unsre Ant¬
wort lautet: Handelsprivilegien haben den Segen in Fluch verwandelt. Nur
wenn es möglich wäre, Handel und Großindustrie ihren Kräften entsprechend
zur Tragung der Staatslasten heranzuziehen, könnte der Fortschritt des letzten
Jahrhunderts, welcher mit dem Freihandel nichts zu thun hat, der Allgemein¬
heit zu Gute kommen. Weit entfernt, diesen Fortschritt zu verkennen, wollen
wir vielmehr nur die Hemmnisse beseitigen, welche die wirkliche Nutzbarmachung
desselben für die Menschheit aufhalten. Die Handelsprivilegicn hatten eine Be¬
rechtigung, so lange Handel und Industrie in ihrer Kindheit standen. Läßt man
doch auch dem Füllen, damit es sich um so kräftiger entwickele, besondre Pflege
und Schonung angedeihen. Wollte man aber dasselbe, auch nachdem es aus¬
gewachsen ist, noch nicht zum Ziehen und Reiten benutzen, so würde der Besitz
desselben nur eine Last sein. Ebenso wäre es, nachdem Handel und Industrie
durch die wirthschaftlichen Neuerungen des letzten Jahrhunderts in so hohem
Grade leistungsfähig geworden find, daß sie Ackerbau und Handwerk zu erdrücken
drohen, die höchste Zeit, dieselben energisch zu deu Staatskosten heranzuziehen.
Hierdurch würde man nicht nur die andern Stände entlasten und lebensfähig
erhalten, sondern der Handel selbst könnte in wirklicher Freiheit von seiner gegen¬
wärtigen, in immer häufiger wiederkehrenden und immer heftigeren Krisen zum
Ausbruch kommenden Ueberreizung gesunden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/554>, abgerufen am 15.01.2025.