Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Eduard von Hartmann als Politiker. Soweit Hartmanns Schrift über die volkswirthschaftlichen Aufgaben Eduard von Hartmann als Politiker. Soweit Hartmanns Schrift über die volkswirthschaftlichen Aufgaben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151267"/> <fw type="header" place="top"> Eduard von Hartmann als Politiker.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1766" next="#ID_1767"> Soweit Hartmanns Schrift über die volkswirthschaftlichen Aufgaben<lb/> unsrer Zeit. Aber auch das, was der Verfasser im zweiten Abschnitte derselben<lb/> über die politischen Zustände, die Gegner und Stützen des Reiches bemerkt, ist<lb/> meistens vortrefflich gesagt. Nachdem er die Gefahren geschildert, die dem letz¬<lb/> teren von der Fortschrittspartei, den Partimlaristen und den Ultramontanen<lb/> drohen, bezeichnet er den Kaiser und den Kanzler als die Säulen des Reichs.<lb/> „Es ist noch lange nicht genug anerkannt," sagt er in Betreff des Fürsten Bis-<lb/> marck, „daß der Kanzler nur einen Endzweck für alle seine politischen Ent¬<lb/> schließungen und Maßregeln hat, die Consolidirung des Reiches. Ob es sich<lb/> um Rechtseinheit, Münzeinheit, Einheit des Zollgebietes, um Niederwerfung des<lb/> schwarzen oder rothen Staates im Staate, um Verstaatlichung von Verkehrs¬<lb/> wegen oder um Zoll- und Steuerreformen handelt, immer ist es nur dieser eine<lb/> Gesichtspunkt, aus dem er die Dinge betrachtet, dieser eine Maßstab, an dem<lb/> er die Streitfragen mißt und ohne Rücksicht auf doctrinäre Vorurtheile und<lb/> Schulweisheit entscheidet. Seine bewunderte Größe liegt wesentlich in dieser<lb/> Respectlosigkeit gegen politische und wissenschaftliche Ueberlieferung, welche für<lb/> Köpfe gewöhnlichen Schlags mit einem Nimbus umkleidet sind, der ihre Mi߬<lb/> achtung zu Gunsten des einen höchsten Endziels verhindert oder doch erschwert...<lb/> Hätte man ihm vor zehn Jahren die parlamentarischen Befugnisse auf zehn<lb/> Jahre als dictatorische Machtvollkommenheit übertragen, um wieviel weiter wäre»<lb/> wir dann heute in der Consolidirung des Reiches, um wieviel einheitlicher Hütte<lb/> sich die ganze Gesetzgebung gestaltet. . . . Nicht als ob Fürst Bismarck un¬<lb/> fehlbar wäre, sondern in dem Sinne, daß es vorläufig gar nicht darauf an¬<lb/> kommt, ob der Ausbau des Reichs in allen Stücken in vollkommener Weise be¬<lb/> wirkt wird, sondern darauf, daß er möglichst rasch vor sich geht. . .. Wie oft<lb/> hat man uns Deutsche verspottet, daß wir unpraktische Idealisten, halsstarrige<lb/> Doctrinäre und unverbesserliche Partimlaristen sind! Nun haben wir endlich<lb/> einen Staatsmann, der, welche Fehler ihm auch anhaften mögen, von diesen<lb/> Grundfehlern des deutschen Michel frei ist. Aber statt nun freudig seiner Füh¬<lb/> rung zu folge», mäkelt jeder an ihm herum, weil derselbe gerade seiner Lieb-<lb/> lingsdoctrin nicht Rechnung trägt, und der Satz: Viele Köpfe, viele Sinne,<lb/> behält auch jetzt seine Geltung. Der deutsche Michel hält Neinsagen für das<lb/> einzig manneswürdige, gesinnungstüchtige und charaktervolle Benehmen, Jasagen<lb/> aber für ein Zeichen feigen Knechtssinns und Unterordnung eigener Schulmei¬<lb/> nungen unter erprobte staatsmännische Einsicht für einen Götzendienst vor dem<lb/> Erfolg. Während das Ausland uns einstimmig um diesen Staatsmann beneidet,<lb/> haben die Deutsche», soweit sie ihn nicht hassen, nur »Anerkennung im Princip«<lb/> für ihn übrig, die aber in jedem Falle der deutschen Krittelsucht Platz macht.<lb/> Während man lange Zeit nach seinem Tode der nachträglichen Enthüllung seiner<lb/> Ansicht über irgend eine schwebende Frage wie einem Orakel lauschen wird, ist<lb/> es soweit gekommen, daß der Lebende mit aller Kunst parlamentarischer Tactik</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0545]
Eduard von Hartmann als Politiker.
Soweit Hartmanns Schrift über die volkswirthschaftlichen Aufgaben
unsrer Zeit. Aber auch das, was der Verfasser im zweiten Abschnitte derselben
über die politischen Zustände, die Gegner und Stützen des Reiches bemerkt, ist
meistens vortrefflich gesagt. Nachdem er die Gefahren geschildert, die dem letz¬
teren von der Fortschrittspartei, den Partimlaristen und den Ultramontanen
drohen, bezeichnet er den Kaiser und den Kanzler als die Säulen des Reichs.
„Es ist noch lange nicht genug anerkannt," sagt er in Betreff des Fürsten Bis-
marck, „daß der Kanzler nur einen Endzweck für alle seine politischen Ent¬
schließungen und Maßregeln hat, die Consolidirung des Reiches. Ob es sich
um Rechtseinheit, Münzeinheit, Einheit des Zollgebietes, um Niederwerfung des
schwarzen oder rothen Staates im Staate, um Verstaatlichung von Verkehrs¬
wegen oder um Zoll- und Steuerreformen handelt, immer ist es nur dieser eine
Gesichtspunkt, aus dem er die Dinge betrachtet, dieser eine Maßstab, an dem
er die Streitfragen mißt und ohne Rücksicht auf doctrinäre Vorurtheile und
Schulweisheit entscheidet. Seine bewunderte Größe liegt wesentlich in dieser
Respectlosigkeit gegen politische und wissenschaftliche Ueberlieferung, welche für
Köpfe gewöhnlichen Schlags mit einem Nimbus umkleidet sind, der ihre Mi߬
achtung zu Gunsten des einen höchsten Endziels verhindert oder doch erschwert...
Hätte man ihm vor zehn Jahren die parlamentarischen Befugnisse auf zehn
Jahre als dictatorische Machtvollkommenheit übertragen, um wieviel weiter wäre»
wir dann heute in der Consolidirung des Reiches, um wieviel einheitlicher Hütte
sich die ganze Gesetzgebung gestaltet. . . . Nicht als ob Fürst Bismarck un¬
fehlbar wäre, sondern in dem Sinne, daß es vorläufig gar nicht darauf an¬
kommt, ob der Ausbau des Reichs in allen Stücken in vollkommener Weise be¬
wirkt wird, sondern darauf, daß er möglichst rasch vor sich geht. . .. Wie oft
hat man uns Deutsche verspottet, daß wir unpraktische Idealisten, halsstarrige
Doctrinäre und unverbesserliche Partimlaristen sind! Nun haben wir endlich
einen Staatsmann, der, welche Fehler ihm auch anhaften mögen, von diesen
Grundfehlern des deutschen Michel frei ist. Aber statt nun freudig seiner Füh¬
rung zu folge», mäkelt jeder an ihm herum, weil derselbe gerade seiner Lieb-
lingsdoctrin nicht Rechnung trägt, und der Satz: Viele Köpfe, viele Sinne,
behält auch jetzt seine Geltung. Der deutsche Michel hält Neinsagen für das
einzig manneswürdige, gesinnungstüchtige und charaktervolle Benehmen, Jasagen
aber für ein Zeichen feigen Knechtssinns und Unterordnung eigener Schulmei¬
nungen unter erprobte staatsmännische Einsicht für einen Götzendienst vor dem
Erfolg. Während das Ausland uns einstimmig um diesen Staatsmann beneidet,
haben die Deutsche», soweit sie ihn nicht hassen, nur »Anerkennung im Princip«
für ihn übrig, die aber in jedem Falle der deutschen Krittelsucht Platz macht.
Während man lange Zeit nach seinem Tode der nachträglichen Enthüllung seiner
Ansicht über irgend eine schwebende Frage wie einem Orakel lauschen wird, ist
es soweit gekommen, daß der Lebende mit aller Kunst parlamentarischer Tactik
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