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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

Anspruch zu nehmen. Dagegen erhob sich der Director des Berliner Kupfer-
fticheabinets, Dr. Lippmann, und führte in einem Aufsatze des "Jahrbuchs der
tgi. preußischen Kunstsammlungen" (Bd. II, S. 62) den italienischen Senator,
der etwas von Perugino und Rasfacl verstehe" will, in den urbcmsten Formen
zwar, aber doch so gründlich ab, daß man, wenn diese Wiederlegung auf festen
Füßen steht, in die Kunstkennerschaft Morcllis die ernstesten Zweifel setze" muß.
Uuter ander" schönen Dingen hatte Herr Lippmann dem Signor Morelli den
Vorwurf gemacht, daß er das Werk "eines beliebigen spätern Copisten" für eine
Arbeit Raffaels gehalten hat. Morelli hat zwar in der "Zeitschrift für bil¬
dende Kunst" eine Entgegnung gebracht, in welcher er den Spieß umkehrt und
Herrn Lippmanu seine Hiebe mit Zinsen heimzahlt. Da der letztere aber nichts
darauf erwiedert hat, so muß man annehmen, daß er nach wie vor von der
Stichhaltigkeit seiner Gründe überzeugt ist. Vielleicht nimmt sich ein zweiter
Eisenmann dieser Sache um und fällt in dein Zwiste: Hie Rasfael! Hie Peru-
gi"o! mit "Weder -- "och" das salomonische Urtheil.

In dem zuletzt genannten Aufsatze macht Morelli die Bemerkung, daß
"unter deu verschiedenen Familie", Arte" und Abarten der Menschenkinder, die auf
diesem Erdenhülle sich herumtummeln, wohl, wenn man die Familie der Theologen
und Politiker ausnimmt, die Species der Kunstkritiker die rauflustigste und
bissigste" sei. Der sarkastische Italiener hat leider Recht. Auch Director Lipp¬
mann, der eben noch über Morelli triumphirt, sollte diese bittere Erfahrung
machen.

Daß er einer der ausgezeichnetsten Kenner alter Handzeichnungen ist, galt
so lange für eine unbestrittene Thatsache, bis ein Fcuillctvuartikel der "Neuen
freien Presse" in Wien, welcher mit den Initialen des berühmten Dürerbiographen
Moritz Thausing unterzeichnet war, deu Versuch machte, an dieser Thatsache zu
rütteln. In Dresden war aus Privatbesitz eine Reihe von landschaftliche"
Zeichnungen aufgetaucht, welche Lippmaun und der Dürerfvrscher Charles Ephrussi
für die Neste eines Skizzenbuches erklärten, welches Albrecht Dürer auf einer
Wanderung durch das Elsaß mit sich geführt habe. Jenes Feuilleton des Wiener
Blattes hatte sich nun aus diesem Anlaß die Aufgabe gestellt, unter leicht zu
durchschauenden Masken Lippmann und Ephrussi aufs grimmigste zu ver¬
spotten und ihre Kennerschaft im höchsten Grade lächerlich zu machen. Das
Feuilleton schloß mit der Aufklärung, daß jene beiden Kenner die Hand Dürers
mit der des ihm verwandten Künstlers Baldung Grien, der im Elsaß lebte, ver¬
wechselt hatten.

Durch diese nüchterne Zusammenstellung von Thatsachen haben wir von
Crowe und Cavalcaselle bis Thausing eine Stufenleiter von Kunstkennerschaft
gewonnen, deren erstaunliche Höhe die armen "Künstler und ihre journalistischen
Freunde" schwindelig machen muß. Wir Wollen keinem der genannten zu nahe
treten, da ihre wisse"schaftliche" Verdienste über allen Zweifel erhaben sind und


Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

Anspruch zu nehmen. Dagegen erhob sich der Director des Berliner Kupfer-
fticheabinets, Dr. Lippmann, und führte in einem Aufsatze des „Jahrbuchs der
tgi. preußischen Kunstsammlungen" (Bd. II, S. 62) den italienischen Senator,
der etwas von Perugino und Rasfacl verstehe» will, in den urbcmsten Formen
zwar, aber doch so gründlich ab, daß man, wenn diese Wiederlegung auf festen
Füßen steht, in die Kunstkennerschaft Morcllis die ernstesten Zweifel setze» muß.
Uuter ander» schönen Dingen hatte Herr Lippmann dem Signor Morelli den
Vorwurf gemacht, daß er das Werk „eines beliebigen spätern Copisten" für eine
Arbeit Raffaels gehalten hat. Morelli hat zwar in der „Zeitschrift für bil¬
dende Kunst" eine Entgegnung gebracht, in welcher er den Spieß umkehrt und
Herrn Lippmanu seine Hiebe mit Zinsen heimzahlt. Da der letztere aber nichts
darauf erwiedert hat, so muß man annehmen, daß er nach wie vor von der
Stichhaltigkeit seiner Gründe überzeugt ist. Vielleicht nimmt sich ein zweiter
Eisenmann dieser Sache um und fällt in dein Zwiste: Hie Rasfael! Hie Peru-
gi»o! mit „Weder — »och" das salomonische Urtheil.

In dem zuletzt genannten Aufsatze macht Morelli die Bemerkung, daß
„unter deu verschiedenen Familie», Arte» und Abarten der Menschenkinder, die auf
diesem Erdenhülle sich herumtummeln, wohl, wenn man die Familie der Theologen
und Politiker ausnimmt, die Species der Kunstkritiker die rauflustigste und
bissigste" sei. Der sarkastische Italiener hat leider Recht. Auch Director Lipp¬
mann, der eben noch über Morelli triumphirt, sollte diese bittere Erfahrung
machen.

Daß er einer der ausgezeichnetsten Kenner alter Handzeichnungen ist, galt
so lange für eine unbestrittene Thatsache, bis ein Fcuillctvuartikel der „Neuen
freien Presse" in Wien, welcher mit den Initialen des berühmten Dürerbiographen
Moritz Thausing unterzeichnet war, deu Versuch machte, an dieser Thatsache zu
rütteln. In Dresden war aus Privatbesitz eine Reihe von landschaftliche»
Zeichnungen aufgetaucht, welche Lippmaun und der Dürerfvrscher Charles Ephrussi
für die Neste eines Skizzenbuches erklärten, welches Albrecht Dürer auf einer
Wanderung durch das Elsaß mit sich geführt habe. Jenes Feuilleton des Wiener
Blattes hatte sich nun aus diesem Anlaß die Aufgabe gestellt, unter leicht zu
durchschauenden Masken Lippmann und Ephrussi aufs grimmigste zu ver¬
spotten und ihre Kennerschaft im höchsten Grade lächerlich zu machen. Das
Feuilleton schloß mit der Aufklärung, daß jene beiden Kenner die Hand Dürers
mit der des ihm verwandten Künstlers Baldung Grien, der im Elsaß lebte, ver¬
wechselt hatten.

Durch diese nüchterne Zusammenstellung von Thatsachen haben wir von
Crowe und Cavalcaselle bis Thausing eine Stufenleiter von Kunstkennerschaft
gewonnen, deren erstaunliche Höhe die armen „Künstler und ihre journalistischen
Freunde" schwindelig machen muß. Wir Wollen keinem der genannten zu nahe
treten, da ihre wisse»schaftliche» Verdienste über allen Zweifel erhaben sind und


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[0524] Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie. Anspruch zu nehmen. Dagegen erhob sich der Director des Berliner Kupfer- fticheabinets, Dr. Lippmann, und führte in einem Aufsatze des „Jahrbuchs der tgi. preußischen Kunstsammlungen" (Bd. II, S. 62) den italienischen Senator, der etwas von Perugino und Rasfacl verstehe» will, in den urbcmsten Formen zwar, aber doch so gründlich ab, daß man, wenn diese Wiederlegung auf festen Füßen steht, in die Kunstkennerschaft Morcllis die ernstesten Zweifel setze» muß. Uuter ander» schönen Dingen hatte Herr Lippmann dem Signor Morelli den Vorwurf gemacht, daß er das Werk „eines beliebigen spätern Copisten" für eine Arbeit Raffaels gehalten hat. Morelli hat zwar in der „Zeitschrift für bil¬ dende Kunst" eine Entgegnung gebracht, in welcher er den Spieß umkehrt und Herrn Lippmanu seine Hiebe mit Zinsen heimzahlt. Da der letztere aber nichts darauf erwiedert hat, so muß man annehmen, daß er nach wie vor von der Stichhaltigkeit seiner Gründe überzeugt ist. Vielleicht nimmt sich ein zweiter Eisenmann dieser Sache um und fällt in dein Zwiste: Hie Rasfael! Hie Peru- gi»o! mit „Weder — »och" das salomonische Urtheil. In dem zuletzt genannten Aufsatze macht Morelli die Bemerkung, daß „unter deu verschiedenen Familie», Arte» und Abarten der Menschenkinder, die auf diesem Erdenhülle sich herumtummeln, wohl, wenn man die Familie der Theologen und Politiker ausnimmt, die Species der Kunstkritiker die rauflustigste und bissigste" sei. Der sarkastische Italiener hat leider Recht. Auch Director Lipp¬ mann, der eben noch über Morelli triumphirt, sollte diese bittere Erfahrung machen. Daß er einer der ausgezeichnetsten Kenner alter Handzeichnungen ist, galt so lange für eine unbestrittene Thatsache, bis ein Fcuillctvuartikel der „Neuen freien Presse" in Wien, welcher mit den Initialen des berühmten Dürerbiographen Moritz Thausing unterzeichnet war, deu Versuch machte, an dieser Thatsache zu rütteln. In Dresden war aus Privatbesitz eine Reihe von landschaftliche» Zeichnungen aufgetaucht, welche Lippmaun und der Dürerfvrscher Charles Ephrussi für die Neste eines Skizzenbuches erklärten, welches Albrecht Dürer auf einer Wanderung durch das Elsaß mit sich geführt habe. Jenes Feuilleton des Wiener Blattes hatte sich nun aus diesem Anlaß die Aufgabe gestellt, unter leicht zu durchschauenden Masken Lippmann und Ephrussi aufs grimmigste zu ver¬ spotten und ihre Kennerschaft im höchsten Grade lächerlich zu machen. Das Feuilleton schloß mit der Aufklärung, daß jene beiden Kenner die Hand Dürers mit der des ihm verwandten Künstlers Baldung Grien, der im Elsaß lebte, ver¬ wechselt hatten. Durch diese nüchterne Zusammenstellung von Thatsachen haben wir von Crowe und Cavalcaselle bis Thausing eine Stufenleiter von Kunstkennerschaft gewonnen, deren erstaunliche Höhe die armen „Künstler und ihre journalistischen Freunde" schwindelig machen muß. Wir Wollen keinem der genannten zu nahe treten, da ihre wisse»schaftliche» Verdienste über allen Zweifel erhaben sind und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/524>, abgerufen am 16.01.2025.