Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Moliüro-Biographien,

In allen drei Stücken kehrt die Liebe eines ältern Mannes zu einer jungen
Frau wieder. In der "Schule der Ehemänner," dem ersten größeren auf die
?i'6e,ihn8ö8 Mieulss folgenden Lustspiel, ist Ariste, wie Moliüre, von Leiden¬
schaft zu einem bedeutend jüngern Mädchen, das er hat aufwachsen sehe", er¬
griffen und schwankt nun zwischen Liebe und Entsagung, zwischen freudiger
Hoffnung und bangem Zweifel, wie Molivre geschwankt haben mag, ehe er den
festen Entschluß zur Ehe faßte. Weniger deutlich ist die Beziehung in der
"Schule der Frauen," Aber es ist doch auffällig, daß Molivre, der inzwischen
geheiratet hat, auch in diesem bald nach der "Schule der Ehemänner" geschrie¬
benen Stücke ganz ebenso wie dort, in getreuer Wiederholung, einen in Liebe
zu dem von ihm aufgezogenen jungen Mädchen entbrannten gereiften Mann
vorführt, und die so beredten Worte, die Aruolphe seiner eifersüchtigen Pein
verleiht, da er sich bei seinem Zögling durch den ersten besten jungen Fant
ausgestochen sieht, deuten darauf hiu, daß schon in den ersten Monaten der
Ehe Mvliüre unter der Gefallsucht seiner jungen Fran schwer zu leide" hatte.
Im "Misanthropen" endlich giebt er in dein vierten Jahre seiner Ehe. da ihm
der Fehlgriff seiner Wahl zur Gewißheit geworden ist, in dem edle" Menschen¬
freund Alceste, der von einem koketten Weibe gequält wird und sich doch nur
schwer von ihr lossagen kann, ein ergreifendes Bild seines eignen, von der
Eifersucht gefolterten und zur Verzweiflung getriebenen Herzens, Selbstver¬
ständlich braucht nicht jedes einzelne Wort, das Alceste oder Arnolphe oder
Ariste sprechen, als ein Selbstbekeuutniß des Dichters aufgefaßt, noch er mit
einem von ihnen völlig identificirt zu werden. Diesen Grad von Subjectivität
des subjeetivsten dramatischen Dichters, wie Lindau Moliöre genannt hat, wird
niemand annehmen wollen. Aber er hat ihnen mit unverkennbarer Deutlichkeit
seiue eignen Empfindungen geliehen und so in poetisch verklärter Weise seinem
gepreßten Herzen Luft gemacht. Indem er sein eignes Leid in komische Be¬
leuchtung rückt, erhebt er sich mit Bewußtsein über dasselbe. Und so mag er
mich bei dem von seinem Weibe betrogenen George Dentin a" sich gedacht
und milde" in der übermüthigen Laune dieser Posse die oft citirten Worte:
Vous l'avö?'voulu,, vairäin! sich selbst zugerufen haben.

Man hat viel über die Schuld oder Unschuld von Armande gestritten, man
hat sie schwer verdammt, man hat sie aber auch warm vertheidigt. Es ist nicht
leicht, über diesen Punkt zu einer Entscheidung zu kommen, da die Hauptquelle
der Beschuldigungen, jene berüchtigte, erst fünfzehn Jahre nach Moliöres Tode
erschienene Schmähschrift 1.3. k^msusö eoinöclignns direct gegen Moliöres Witwe
gerichtet ist, man also ihren Angaben, wo sie nicht durch andre Zeugnisse be¬
stätigt werden, keinen Glauben schenken darf. Mahrenholtz, der sonst in dem
Abwägen für und wider selten zu einer festen Ansicht gelangen kann, entscheidet
sich hier in blindem Hasse wider die Böjarts ohne weiteres gegen Armande.
Er stellt sie als ganz verachtenswerth hin und kann sie nicht genng schmähen.


Zwei Moliüro-Biographien,

In allen drei Stücken kehrt die Liebe eines ältern Mannes zu einer jungen
Frau wieder. In der „Schule der Ehemänner," dem ersten größeren auf die
?i'6e,ihn8ö8 Mieulss folgenden Lustspiel, ist Ariste, wie Moliüre, von Leiden¬
schaft zu einem bedeutend jüngern Mädchen, das er hat aufwachsen sehe», er¬
griffen und schwankt nun zwischen Liebe und Entsagung, zwischen freudiger
Hoffnung und bangem Zweifel, wie Molivre geschwankt haben mag, ehe er den
festen Entschluß zur Ehe faßte. Weniger deutlich ist die Beziehung in der
„Schule der Frauen," Aber es ist doch auffällig, daß Molivre, der inzwischen
geheiratet hat, auch in diesem bald nach der „Schule der Ehemänner" geschrie¬
benen Stücke ganz ebenso wie dort, in getreuer Wiederholung, einen in Liebe
zu dem von ihm aufgezogenen jungen Mädchen entbrannten gereiften Mann
vorführt, und die so beredten Worte, die Aruolphe seiner eifersüchtigen Pein
verleiht, da er sich bei seinem Zögling durch den ersten besten jungen Fant
ausgestochen sieht, deuten darauf hiu, daß schon in den ersten Monaten der
Ehe Mvliüre unter der Gefallsucht seiner jungen Fran schwer zu leide» hatte.
Im „Misanthropen" endlich giebt er in dein vierten Jahre seiner Ehe. da ihm
der Fehlgriff seiner Wahl zur Gewißheit geworden ist, in dem edle» Menschen¬
freund Alceste, der von einem koketten Weibe gequält wird und sich doch nur
schwer von ihr lossagen kann, ein ergreifendes Bild seines eignen, von der
Eifersucht gefolterten und zur Verzweiflung getriebenen Herzens, Selbstver¬
ständlich braucht nicht jedes einzelne Wort, das Alceste oder Arnolphe oder
Ariste sprechen, als ein Selbstbekeuutniß des Dichters aufgefaßt, noch er mit
einem von ihnen völlig identificirt zu werden. Diesen Grad von Subjectivität
des subjeetivsten dramatischen Dichters, wie Lindau Moliöre genannt hat, wird
niemand annehmen wollen. Aber er hat ihnen mit unverkennbarer Deutlichkeit
seiue eignen Empfindungen geliehen und so in poetisch verklärter Weise seinem
gepreßten Herzen Luft gemacht. Indem er sein eignes Leid in komische Be¬
leuchtung rückt, erhebt er sich mit Bewußtsein über dasselbe. Und so mag er
mich bei dem von seinem Weibe betrogenen George Dentin a» sich gedacht
und milde» in der übermüthigen Laune dieser Posse die oft citirten Worte:
Vous l'avö?'voulu,, vairäin! sich selbst zugerufen haben.

Man hat viel über die Schuld oder Unschuld von Armande gestritten, man
hat sie schwer verdammt, man hat sie aber auch warm vertheidigt. Es ist nicht
leicht, über diesen Punkt zu einer Entscheidung zu kommen, da die Hauptquelle
der Beschuldigungen, jene berüchtigte, erst fünfzehn Jahre nach Moliöres Tode
erschienene Schmähschrift 1.3. k^msusö eoinöclignns direct gegen Moliöres Witwe
gerichtet ist, man also ihren Angaben, wo sie nicht durch andre Zeugnisse be¬
stätigt werden, keinen Glauben schenken darf. Mahrenholtz, der sonst in dem
Abwägen für und wider selten zu einer festen Ansicht gelangen kann, entscheidet
sich hier in blindem Hasse wider die Böjarts ohne weiteres gegen Armande.
Er stellt sie als ganz verachtenswerth hin und kann sie nicht genng schmähen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151235"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei Moliüro-Biographien,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1676"> In allen drei Stücken kehrt die Liebe eines ältern Mannes zu einer jungen<lb/>
Frau wieder. In der &#x201E;Schule der Ehemänner," dem ersten größeren auf die<lb/>
?i'6e,ihn8ö8 Mieulss folgenden Lustspiel, ist Ariste, wie Moliüre, von Leiden¬<lb/>
schaft zu einem bedeutend jüngern Mädchen, das er hat aufwachsen sehe», er¬<lb/>
griffen und schwankt nun zwischen Liebe und Entsagung, zwischen freudiger<lb/>
Hoffnung und bangem Zweifel, wie Molivre geschwankt haben mag, ehe er den<lb/>
festen Entschluß zur Ehe faßte. Weniger deutlich ist die Beziehung in der<lb/>
&#x201E;Schule der Frauen," Aber es ist doch auffällig, daß Molivre, der inzwischen<lb/>
geheiratet hat, auch in diesem bald nach der &#x201E;Schule der Ehemänner" geschrie¬<lb/>
benen Stücke ganz ebenso wie dort, in getreuer Wiederholung, einen in Liebe<lb/>
zu dem von ihm aufgezogenen jungen Mädchen entbrannten gereiften Mann<lb/>
vorführt, und die so beredten Worte, die Aruolphe seiner eifersüchtigen Pein<lb/>
verleiht, da er sich bei seinem Zögling durch den ersten besten jungen Fant<lb/>
ausgestochen sieht, deuten darauf hiu, daß schon in den ersten Monaten der<lb/>
Ehe Mvliüre unter der Gefallsucht seiner jungen Fran schwer zu leide» hatte.<lb/>
Im &#x201E;Misanthropen" endlich giebt er in dein vierten Jahre seiner Ehe. da ihm<lb/>
der Fehlgriff seiner Wahl zur Gewißheit geworden ist, in dem edle» Menschen¬<lb/>
freund Alceste, der von einem koketten Weibe gequält wird und sich doch nur<lb/>
schwer von ihr lossagen kann, ein ergreifendes Bild seines eignen, von der<lb/>
Eifersucht gefolterten und zur Verzweiflung getriebenen Herzens, Selbstver¬<lb/>
ständlich braucht nicht jedes einzelne Wort, das Alceste oder Arnolphe oder<lb/>
Ariste sprechen, als ein Selbstbekeuutniß des Dichters aufgefaßt, noch er mit<lb/>
einem von ihnen völlig identificirt zu werden. Diesen Grad von Subjectivität<lb/>
des subjeetivsten dramatischen Dichters, wie Lindau Moliöre genannt hat, wird<lb/>
niemand annehmen wollen. Aber er hat ihnen mit unverkennbarer Deutlichkeit<lb/>
seiue eignen Empfindungen geliehen und so in poetisch verklärter Weise seinem<lb/>
gepreßten Herzen Luft gemacht. Indem er sein eignes Leid in komische Be¬<lb/>
leuchtung rückt, erhebt er sich mit Bewußtsein über dasselbe. Und so mag er<lb/>
mich bei dem von seinem Weibe betrogenen George Dentin a» sich gedacht<lb/>
und milde» in der übermüthigen Laune dieser Posse die oft citirten Worte:<lb/>
Vous l'avö?'voulu,, vairäin! sich selbst zugerufen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1677" next="#ID_1678"> Man hat viel über die Schuld oder Unschuld von Armande gestritten, man<lb/>
hat sie schwer verdammt, man hat sie aber auch warm vertheidigt. Es ist nicht<lb/>
leicht, über diesen Punkt zu einer Entscheidung zu kommen, da die Hauptquelle<lb/>
der Beschuldigungen, jene berüchtigte, erst fünfzehn Jahre nach Moliöres Tode<lb/>
erschienene Schmähschrift 1.3. k^msusö eoinöclignns direct gegen Moliöres Witwe<lb/>
gerichtet ist, man also ihren Angaben, wo sie nicht durch andre Zeugnisse be¬<lb/>
stätigt werden, keinen Glauben schenken darf. Mahrenholtz, der sonst in dem<lb/>
Abwägen für und wider selten zu einer festen Ansicht gelangen kann, entscheidet<lb/>
sich hier in blindem Hasse wider die Böjarts ohne weiteres gegen Armande.<lb/>
Er stellt sie als ganz verachtenswerth hin und kann sie nicht genng schmähen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] Zwei Moliüro-Biographien, In allen drei Stücken kehrt die Liebe eines ältern Mannes zu einer jungen Frau wieder. In der „Schule der Ehemänner," dem ersten größeren auf die ?i'6e,ihn8ö8 Mieulss folgenden Lustspiel, ist Ariste, wie Moliüre, von Leiden¬ schaft zu einem bedeutend jüngern Mädchen, das er hat aufwachsen sehe», er¬ griffen und schwankt nun zwischen Liebe und Entsagung, zwischen freudiger Hoffnung und bangem Zweifel, wie Molivre geschwankt haben mag, ehe er den festen Entschluß zur Ehe faßte. Weniger deutlich ist die Beziehung in der „Schule der Frauen," Aber es ist doch auffällig, daß Molivre, der inzwischen geheiratet hat, auch in diesem bald nach der „Schule der Ehemänner" geschrie¬ benen Stücke ganz ebenso wie dort, in getreuer Wiederholung, einen in Liebe zu dem von ihm aufgezogenen jungen Mädchen entbrannten gereiften Mann vorführt, und die so beredten Worte, die Aruolphe seiner eifersüchtigen Pein verleiht, da er sich bei seinem Zögling durch den ersten besten jungen Fant ausgestochen sieht, deuten darauf hiu, daß schon in den ersten Monaten der Ehe Mvliüre unter der Gefallsucht seiner jungen Fran schwer zu leide» hatte. Im „Misanthropen" endlich giebt er in dein vierten Jahre seiner Ehe. da ihm der Fehlgriff seiner Wahl zur Gewißheit geworden ist, in dem edle» Menschen¬ freund Alceste, der von einem koketten Weibe gequält wird und sich doch nur schwer von ihr lossagen kann, ein ergreifendes Bild seines eignen, von der Eifersucht gefolterten und zur Verzweiflung getriebenen Herzens, Selbstver¬ ständlich braucht nicht jedes einzelne Wort, das Alceste oder Arnolphe oder Ariste sprechen, als ein Selbstbekeuutniß des Dichters aufgefaßt, noch er mit einem von ihnen völlig identificirt zu werden. Diesen Grad von Subjectivität des subjeetivsten dramatischen Dichters, wie Lindau Moliöre genannt hat, wird niemand annehmen wollen. Aber er hat ihnen mit unverkennbarer Deutlichkeit seiue eignen Empfindungen geliehen und so in poetisch verklärter Weise seinem gepreßten Herzen Luft gemacht. Indem er sein eignes Leid in komische Be¬ leuchtung rückt, erhebt er sich mit Bewußtsein über dasselbe. Und so mag er mich bei dem von seinem Weibe betrogenen George Dentin a» sich gedacht und milde» in der übermüthigen Laune dieser Posse die oft citirten Worte: Vous l'avö?'voulu,, vairäin! sich selbst zugerufen haben. Man hat viel über die Schuld oder Unschuld von Armande gestritten, man hat sie schwer verdammt, man hat sie aber auch warm vertheidigt. Es ist nicht leicht, über diesen Punkt zu einer Entscheidung zu kommen, da die Hauptquelle der Beschuldigungen, jene berüchtigte, erst fünfzehn Jahre nach Moliöres Tode erschienene Schmähschrift 1.3. k^msusö eoinöclignns direct gegen Moliöres Witwe gerichtet ist, man also ihren Angaben, wo sie nicht durch andre Zeugnisse be¬ stätigt werden, keinen Glauben schenken darf. Mahrenholtz, der sonst in dem Abwägen für und wider selten zu einer festen Ansicht gelangen kann, entscheidet sich hier in blindem Hasse wider die Böjarts ohne weiteres gegen Armande. Er stellt sie als ganz verachtenswerth hin und kann sie nicht genng schmähen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/513>, abgerufen am 16.01.2025.