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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Molivre-Biographien,

der Bourgeoisie nicht minder gegeißelt hat. Die Absicht, an einer Erhebung
des dritten Standes, der damals noch gar nicht existirte, zu größerm Ansehen
und politischer Bedeutsamkeit zu arbeiten, lag ihm gewiß ganz fern, und auch
unbewußt hat er kaum in diesem Sinne gewirkt. Wenn seine Angriffe auf die
sittenlosen Edelleute und die heuchlerische Geistlichkeit eine heftigere Form und
größere Dimensionen annahmen als die gegen die Verkehrtheiten des Bttrger-
thnms gerichteten, so lag das an der hervorragenden und politisch bedeutsameren
Stellung des angegriffenen Standes, an der größern Gemeiuschndlichkeit der
von dorther ausgeübten Wirkung und an dem Widerstande, auf den er dabei
stieß. Ihn deshalb mit Lindau zu einem politischen Dichter zu stempeln, der
er niemals gewesen, ist sicherlich verkehrt.

Am wenigsten konnte Moliere daran denken, in dem Adel die "festeste
Stütze des Königthums" anzugreifen. Denn wenn diese ihm von Lotheißen bei¬
gelegte Bezeichnung kaum jetzt ganz zutreffend ist, so war sie es damals gar
nicht und erst recht nicht in Frankreich, wo die Zeiten der Fronde eben erst
vorüber waren und die königliche Macht sich gerade im Kampfe mit der Fendal-
aristokratie zum ausschlaggebenden Factor des politischen Lebens emporgerungen
hatte. Verkehrt ist es daher auch, wenn Lindau mit dem "Don Juun" den "Mi¬
santhropen" in Parallele stellt und in letzterm eine direct gegen den Hof gerich¬
tete feindselige Tendenz erblicken will. Der Menschenfeind haßt alles Schein-
Wesen, alles Falsche, Gemachte, Herzlose, und dies muß er natürlich zumeist in
einer Sphäre finden, wo die Convenienz vorherrscht, wo die strenge Etikette
das Verbergen aller vom Herkömmlichen sich entfernenden lebenswarmen Em¬
pfindungen geradezu zur Pflicht macht; dort muß er zumeist durch seine un¬
geschminkte, derbe Natur anstoßen und in komische Conflicte gerathen. Das ist
der Grund, weshalb ihn Mvliörc auf diesen Boden verpflanzt hat, aber nicht
um sich selber gegen die höfischen Formen in Opposition zu stellen und Front
zu machen gegen den Hof überhaupt, der sein dankbares Publicum war und in
dem er auch mit einem bedeutenden Theile seines Wesens wurzelte. Zudem war
der Hof doch die Umgebung und tägliche Gesellschaft des Königs, dem Mvliöre
zeitlebens treu ergeben war. Dieser tief monarchische Sinn, der ihn auszeich¬
nete, ging nicht bloß aus seinem persönlichen Verhältniß zu Ludwig XIV. hervor,
sondern beruhte auf innerster Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und Heil¬
samkeit eines starken Königthums. Mehrfach hat er König Ludwig indirect in
seinen Stücken hoch gepriesen, so namentlich um Schlüsse des "Tartüffe." Hier
hat der als vsus in^onin^ eingreifende König allerdings der ästhetischen
Wirkung Abbruch gethan, und auch Mahrenholtz gesteht, daß seine "Molisre-
bcgeisterung nicht groß genng sei," um den uudramatischen Schluß zu billigen.
Allein Molivres Lob ist immer ein feines, wohl motivirtes, auch ihm selber
zur Ehre gereichendes und zeichnet sich dadurch aufs vortheilhafteste aus vor den
damals üblichen plumpen Schmeicheleien und kriechenden Ueberschwenglichkeiten


Zwei Molivre-Biographien,

der Bourgeoisie nicht minder gegeißelt hat. Die Absicht, an einer Erhebung
des dritten Standes, der damals noch gar nicht existirte, zu größerm Ansehen
und politischer Bedeutsamkeit zu arbeiten, lag ihm gewiß ganz fern, und auch
unbewußt hat er kaum in diesem Sinne gewirkt. Wenn seine Angriffe auf die
sittenlosen Edelleute und die heuchlerische Geistlichkeit eine heftigere Form und
größere Dimensionen annahmen als die gegen die Verkehrtheiten des Bttrger-
thnms gerichteten, so lag das an der hervorragenden und politisch bedeutsameren
Stellung des angegriffenen Standes, an der größern Gemeiuschndlichkeit der
von dorther ausgeübten Wirkung und an dem Widerstande, auf den er dabei
stieß. Ihn deshalb mit Lindau zu einem politischen Dichter zu stempeln, der
er niemals gewesen, ist sicherlich verkehrt.

Am wenigsten konnte Moliere daran denken, in dem Adel die „festeste
Stütze des Königthums" anzugreifen. Denn wenn diese ihm von Lotheißen bei¬
gelegte Bezeichnung kaum jetzt ganz zutreffend ist, so war sie es damals gar
nicht und erst recht nicht in Frankreich, wo die Zeiten der Fronde eben erst
vorüber waren und die königliche Macht sich gerade im Kampfe mit der Fendal-
aristokratie zum ausschlaggebenden Factor des politischen Lebens emporgerungen
hatte. Verkehrt ist es daher auch, wenn Lindau mit dem „Don Juun" den „Mi¬
santhropen" in Parallele stellt und in letzterm eine direct gegen den Hof gerich¬
tete feindselige Tendenz erblicken will. Der Menschenfeind haßt alles Schein-
Wesen, alles Falsche, Gemachte, Herzlose, und dies muß er natürlich zumeist in
einer Sphäre finden, wo die Convenienz vorherrscht, wo die strenge Etikette
das Verbergen aller vom Herkömmlichen sich entfernenden lebenswarmen Em¬
pfindungen geradezu zur Pflicht macht; dort muß er zumeist durch seine un¬
geschminkte, derbe Natur anstoßen und in komische Conflicte gerathen. Das ist
der Grund, weshalb ihn Mvliörc auf diesen Boden verpflanzt hat, aber nicht
um sich selber gegen die höfischen Formen in Opposition zu stellen und Front
zu machen gegen den Hof überhaupt, der sein dankbares Publicum war und in
dem er auch mit einem bedeutenden Theile seines Wesens wurzelte. Zudem war
der Hof doch die Umgebung und tägliche Gesellschaft des Königs, dem Mvliöre
zeitlebens treu ergeben war. Dieser tief monarchische Sinn, der ihn auszeich¬
nete, ging nicht bloß aus seinem persönlichen Verhältniß zu Ludwig XIV. hervor,
sondern beruhte auf innerster Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und Heil¬
samkeit eines starken Königthums. Mehrfach hat er König Ludwig indirect in
seinen Stücken hoch gepriesen, so namentlich um Schlüsse des „Tartüffe." Hier
hat der als vsus in^onin^ eingreifende König allerdings der ästhetischen
Wirkung Abbruch gethan, und auch Mahrenholtz gesteht, daß seine „Molisre-
bcgeisterung nicht groß genng sei," um den uudramatischen Schluß zu billigen.
Allein Molivres Lob ist immer ein feines, wohl motivirtes, auch ihm selber
zur Ehre gereichendes und zeichnet sich dadurch aufs vortheilhafteste aus vor den
damals üblichen plumpen Schmeicheleien und kriechenden Ueberschwenglichkeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/510>, abgerufen am 16.01.2025.