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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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als durch sich selbst durch Gntzkvws "Urbild des Tartüffe." Wenn auch die
Annahme, worauf letzteres beruht, als sei in Tartüffe der Beamte auf die Bühne
gebracht, der in der Folge das Verbot des Stückes aussprach, längst widerlegt
ist, wenn auch Janseuisten und Jesuiten, die beiden damaligen Gegensätze inner¬
halb der französischen katholischen Kirche, sich um die Ehre streiten, von Mv-
livre gemeint zu sein, so ist doch soviel sicher, daß er hier die frommen Heuchler
insgemein, gleichviel von welcher Farbe und welchem Bekenntniß, ins Herz ge¬
troffen hatte, und diese waren damals so mächtig, daß sie, den Präsidenten des
Parlaments und den Erzbischof von Paris an der Spitze, obwohl der König,
wie nicht zu bezweifeln ist, innerlich auf Seiten des Dichters stand, doch eine
öffentliche Aufführung des Stückes unter dein Vorgeben, mit der falschen sei
anch die echte Frömmigkeit dem Spotte preisgegeben, fünf Jahre lang hinter¬
treiben konnten.

Aber noch inmitten dieses Streites, noch während dieses Verbotes ging
Molivre mit großer Unerschrockenheit und Kühnheit aufs neue vor in seinem
"Don Juan" oder, wie er das Stück, einen schon eingebürgerten merkwürdigen
Übersetzungsfehler einfach advptircnd, mit zweitem Titel nannte, seinen I'vLtin
als ?1orr"z. Während er hier ein grausiges Bild der sittlichen Verworfenheit
des damaligen Adels entwirft, nimmt er, indem er zugleich seinem Helden zu
einem anfangs frechen, dann heuchlerischen Religionsspötter macht, den Kampf
gegen die Heuchelei in neuer Gestalt wieder auf. Das Sujet des Stückes, das
Mvliore nicht erfunden hat, ist bei uns hauptsächlich durch Mozarts Oper be¬
kannt geworden. Aber auch sonst ist der Stoff vielfach bearbeitet worden, und
man kann ihn in seinen Waudrnngen und Wandelungen durch die verschie¬
densten Zeiten und Nationen recht wohl mit dein der Faustsage vergleichen, ohne
darum wie Mahrenholtz Molivres "Don Juan" als die "hellste Selbstoffeu-
barung des Dichters" mit Goethes "Faust" in Parallele zu stellen. Diese
Bedeutung hat das Stück nicht, so wenig wie man Mvliüres religiöses Glaubens-
bekenntniß in der beschränkten Auffassung von Don Juans Diener wiederer¬
kennen darf. Aber auch Lotheißen geht zu weit, wenn er in dem Stück schon
ein Wehen revolutionäre" Geistes zu verspüren glaubt und, wenn auch Molisre
unbewußt, das erste ernsthafte Anzeichen der nahenden Revolution -- mehr als
130 Jahre zuvor! -- darin erblicken will. Lotheißen liebt es auch sonst, wie
übrigens vor ihm schon Lindau gethan, Molivre als einen Vorboten und Ver¬
kündiger der Zeiten der Enehelvpädisten und der Erhebung des dritten Standes
hinzustellen. Die Anerkennung, die Mvlisre später bei Camille Desmoulins,
dem Haupte der Bergpartei, gefunden hat, darf dazu nicht verleiten. Moliere
hat hier, wie in dein lächerlich gemachten Marquis, die Aristokratie nicht als
Stand und in ihrer socialen Stellung, sondern nur insoweit sie sich Blößen
gab und moralisch verkommen war, angegriffen, wie er eben alles Schlechte und
Verwerfliche, wo er es fand, an den Pranger gestellt, wie er die Verkehrtheiten


als durch sich selbst durch Gntzkvws „Urbild des Tartüffe." Wenn auch die
Annahme, worauf letzteres beruht, als sei in Tartüffe der Beamte auf die Bühne
gebracht, der in der Folge das Verbot des Stückes aussprach, längst widerlegt
ist, wenn auch Janseuisten und Jesuiten, die beiden damaligen Gegensätze inner¬
halb der französischen katholischen Kirche, sich um die Ehre streiten, von Mv-
livre gemeint zu sein, so ist doch soviel sicher, daß er hier die frommen Heuchler
insgemein, gleichviel von welcher Farbe und welchem Bekenntniß, ins Herz ge¬
troffen hatte, und diese waren damals so mächtig, daß sie, den Präsidenten des
Parlaments und den Erzbischof von Paris an der Spitze, obwohl der König,
wie nicht zu bezweifeln ist, innerlich auf Seiten des Dichters stand, doch eine
öffentliche Aufführung des Stückes unter dein Vorgeben, mit der falschen sei
anch die echte Frömmigkeit dem Spotte preisgegeben, fünf Jahre lang hinter¬
treiben konnten.

Aber noch inmitten dieses Streites, noch während dieses Verbotes ging
Molivre mit großer Unerschrockenheit und Kühnheit aufs neue vor in seinem
„Don Juan" oder, wie er das Stück, einen schon eingebürgerten merkwürdigen
Übersetzungsfehler einfach advptircnd, mit zweitem Titel nannte, seinen I'vLtin
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des damaligen Adels entwirft, nimmt er, indem er zugleich seinem Helden zu
einem anfangs frechen, dann heuchlerischen Religionsspötter macht, den Kampf
gegen die Heuchelei in neuer Gestalt wieder auf. Das Sujet des Stückes, das
Mvliore nicht erfunden hat, ist bei uns hauptsächlich durch Mozarts Oper be¬
kannt geworden. Aber auch sonst ist der Stoff vielfach bearbeitet worden, und
man kann ihn in seinen Waudrnngen und Wandelungen durch die verschie¬
densten Zeiten und Nationen recht wohl mit dein der Faustsage vergleichen, ohne
darum wie Mahrenholtz Molivres „Don Juan" als die „hellste Selbstoffeu-
barung des Dichters" mit Goethes „Faust" in Parallele zu stellen. Diese
Bedeutung hat das Stück nicht, so wenig wie man Mvliüres religiöses Glaubens-
bekenntniß in der beschränkten Auffassung von Don Juans Diener wiederer¬
kennen darf. Aber auch Lotheißen geht zu weit, wenn er in dem Stück schon
ein Wehen revolutionäre» Geistes zu verspüren glaubt und, wenn auch Molisre
unbewußt, das erste ernsthafte Anzeichen der nahenden Revolution — mehr als
130 Jahre zuvor! — darin erblicken will. Lotheißen liebt es auch sonst, wie
übrigens vor ihm schon Lindau gethan, Molivre als einen Vorboten und Ver¬
kündiger der Zeiten der Enehelvpädisten und der Erhebung des dritten Standes
hinzustellen. Die Anerkennung, die Mvlisre später bei Camille Desmoulins,
dem Haupte der Bergpartei, gefunden hat, darf dazu nicht verleiten. Moliere
hat hier, wie in dein lächerlich gemachten Marquis, die Aristokratie nicht als
Stand und in ihrer socialen Stellung, sondern nur insoweit sie sich Blößen
gab und moralisch verkommen war, angegriffen, wie er eben alles Schlechte und
Verwerfliche, wo er es fand, an den Pranger gestellt, wie er die Verkehrtheiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/509>, abgerufen am 16.01.2025.